Süddeutsche Zeitung

Autoindustrie:Glimmen oder Glühen

An diesem Samstag entsteht der viertgrößte Autohersteller der Welt - Peugeot und Fiat-Chrysler fusionieren. 14 Marken sind nun vereint, auch im Kampf untereinander. Mittendrin: Opel.

Von Max Hägler und Leo Klimm

"Wir müssen diese Operation schaffen, alle müssen voll motiviert sein", hat Robert Peugeot neulich beschwörend gesagt. Der Zusammenschluss von PSA, Mutterkonzern unter anderem von Peugeot und Opel, mit Fiat-Chrysler soll unbedingt gelingen.

Robert Peugeot, Clanführer der französischen Autodynastie gleichen Namens, weiß nur zu gut, was schiefgehen kann, wenn zwei Hersteller verschmelzen sollen. 45 Jahre ist es her, dass sich Peugeot mit dem heimischen Rivalen Citroën zusammentat. Doch es dauerte Jahrzehnte, bis innerhalb des Konzerns der Rang der Marken geklärt war und die Animositäten zwischen früheren Peugeotlern und Ex-Citroën-Leuten ausgeräumt waren. Es soll sogar zu Handgreiflichkeiten in Betriebskantinen gekommen sein. "So etwas will ich nicht noch mal erleben", sagt Robert Peugeot.

An diesem Samstag nun wagt sein Unternehmen dennoch die Fusion mit Fiat-Chrysler - und die ist noch viel umfangreicher als die einst mit Citroën. Es entsteht der nach Absatz viertgrößte Autohersteller der Welt, nach Umsatz wird es sogar der drittgrößte hinter Volkswagen und Toyota. Der Konzern, in dem beide Seiten finanziell gleich bewertet werden, zählt mehr als 400 000 Mitarbeiter. Sein Name: Stellantis. Das aus dem Lateinischen abgeleitete Kunstwort soll, heißt es blumig bei den Fusionspartnern, an den Sternenschein erinnern und steht für "die verheißungsvolle Aneinanderreihung legendärer Automarken". Die Marken sind die Sterne, versteht sich. Es sind 14 an der Zahl. Ehrwürdige Namen, von Alfa Romeo über Maserati bis zu Jeep und natürlich Peugeot, Fiat und Chrysler. Aber nicht alle strahlen noch hell.

Und viele Marken bedeuten erhöhtes Risiko kultureller Komplexität, interner Kämpfe, eines Kriegs der Sterne. Mittendrin befindet sich die deutsche Traditionsmarke Opel. Der Hersteller aus Rüsselsheim wurde 2017 zusammen mit der britischen Schwester Vauxhall von PSA übernommen und unter Anleitung des ausgesprochen effizienzorientierten Konzernchefs Carlos Tavares blitzsaniert. Das kostete Arbeitsplätze und Freiheit; dafür bietet die zurückgewonnene Profitabilität etwas Sicherheit, jetzt, da die interne Konkurrenz schärfer wird: Opel-Werke in Deutschland und Spanien haben von Tavares die Produktion neuer Modelle zugeteilt bekommen, darunter auch solche der Marke Peugeot. "Dank der harten Arbeit und des Engagements aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat Opel in den letzten dreieinhalb Jahren seine Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessert", sagt Opel-Chef Michael Lohscheller. Die Marke werde von der Stellantis-Kraft profitieren.

Da ist sich der Pariser Auto-Analyst Bernard Jullien vom Expertennetzwerk Gerpisa nicht ganz so sicher: "Opel wird als eine Art Unter-Peugeot im Konzern etabliert." In diesem Segment gebe es jedoch starke interne Konkurrenz mit Fiat und Citroën. "Ein echtes Problem", sagt Jullien. Die Autos sind ähnlich - und sie sind auf ähnliche Käuferschichten ausgerichtet, und Experimente gibt es nicht. Ziel der Fusion ist, jährlich fünf Milliarden Euro einzusparen. Damit will Tavares die enormen Kosten für die Entwicklung alternativer Antriebe und die Computerisierung finanzieren.

Gewissen Schutz dürfte Opel sein Alleinstellungsmerkmal als einzige deutsche Marke im Stellantis-Universum bieten. Tavares wurde nach der Übernahme durch PSA nicht müde zu erklären, wie sehr er auf die "Germanness" des Herstellers zähle, auf das Qualitätsimage deutschen Autobaus, um Opel zu entwickeln. "In der Praxis läuft es aber nicht auf Expansion, sondern auf eine geografische Einhegung der Marken hinaus", sagt Analyst Jullien. "Opel soll sich in seinem mitteleuropäischen Stammmarkt behaupten, während Fiat und Citroën den Süden und Westen bearbeiten." Doch Corona hat den Kampf um Verkäufe nochmals erschwert. Um 35 Prozent ist der Opel-Absatz im vergangenen Jahr eingebrochen, auf nur noch 633 000 Fahrzeuge.

Und nun ist auch noch die Hege durch den selbsterklärten "Performance-Psychopathen" Tavares vorbei, er wird durch den prominenten Zukauf viel Arbeit erhalten: Fiat ist stark abhängig vom berühmten 500er-Modell und hat seit Jahren zu wenig in andere Fahrzeuge und saubere Antriebe investiert.

Der Durchschnitts-CO₂-Ausstoß bei Fiat und damit der Spritverbrauch lag in Deutschland im Jahr 2020 sogar über jenem von Porsche, hat der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer ausgerechnet. Das miese Ergebnis liegt zum Teil an großen Wohnmobilen, aber ist doch beispielhaft für etliche Probleme. Der Fiat-Marktanteil in Europa brach binnen eines Jahrzehnts von sieben auf vier Prozent ein - das ist so niedrig wie jener von Opel. Schon vor der Pandemie, heißt es in der Branche, sollen die italienischen Werke eine Auslastung von nur etwa 60 Prozent aufgewiesen haben. Das liegt auch an Alfa Romeo und Lancia, deren Absatzzahlen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen. Die legendäre Sportwagenschmiede Maserati droht ebenfalls den Anschluss zu verlieren. Trotz alledem verspricht Tavares, ähnlich wie vor der Opel-Sanierung, es werde "im Zusammenhang mit der Transaktion keine Werksschließungen" geben. Branchenbeobachter Dudenhöffer mag daran nicht recht glauben: Es gebe die Möglichkeit von Abspaltungen, Verkäufen und Jobkürzungen. Die drohten auch bei den Entwicklern: "Kein Autokonzern braucht vier große Entwicklungszentren in den USA, Turin, Paris und Rüsselsheim."

Dass Fiat-Chrysler - die eine Hälfte von Stellantis - zuletzt profitabel war, ist dem amerikanischen Unternehmensteil zu verdanken. Doch auch hier warten Schwierigkeiten. Während die wenig klimafreundlichen, aber hoch rentablen Geländewagen von Jeep und Ram Erfolg haben, dümpeln die Traditionsmarken Chrysler und Dodge vor sich hin. Und dann ist da Asien, der größte Automarkt. Dort setzen weder PSA noch Fiat-Chrysler nennenswerte Stückzahlen ab.

"Ich glaube nicht, dass Stellantis mit allen Marken und allen Werken bestehen kann", sagt Autoexperte Jullien. 54 Montagefabriken zählt das Konglomerat. "Früher oder später kommt die Bereinigung, mindestens vier Marken sind zu viel." Die Frage sei: Welche Sterne erlöschen?

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