Prozessauftakt:Staat gegen Gier

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Am Landgericht Bonn beginnt der erste Strafprozess im Cum-Ex-Steuerskandal. Erstmals wird ein deutsches Gericht die Frage klären, inwiefern Aktiengeschäfte zulasten des Fiskus strafbar waren. Die Aufmerksamkeit ist hoch.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Es wird dies der erste Tag sein, an dem Anne Brorhilker öffentlich über ihre Ermittlungen spricht. Nun wird es Bilder geben von der Frau, die seit Jahren einigen der gewieftesten Steuertrickser nachspürt, die jemals in der Finanzindustrie unterwegs waren. Die zusammen mit Kriminalbeamten und Steuerfahndern Stück für Stück ein Geflecht aus Geschäften ausleuchtet, mit denen sich eine Vielzahl von Aktienhändlern, Banken und vermögenden Privatleuten am Geld der Steuerzahler illegal bedient haben sollen. Bis die Politik dem ein Ende bereitete, sind bei diesen Geschäften mit Namen Cum-Ex bis 2012 nach Schätzungen von Steuerfahndern mehr als zehn Milliarden Euro aus der Staatskasse abgeflossen. Wie das im Einzelnen ablief, haben unter anderem die beiden Finanzmanager geschildert, die sich vom heutigen Mittwoch an am Landgericht Bonn auf der Anklagebank sitzen. Nick D., 38, und Martin S., 41, einst Händler der Hypo-Vereinsbank, sollen zuerst dort und später bei einer Firmengruppe namens Ballance Aktiengeschäfte zulasten deutscher Steuerzahler geplant und umgesetzt haben. Die beiden haben mit der Staatsanwaltschaft kooperiert und in insgesamt fast 50 Vernehmungen umfassend ausgesagt. Anhand ihrer Fälle wird jetzt erstmals eine Strafkammer über Cum-Ex-Geschäfte urteilen. Das Bonner Landgericht ist in diesem Fall zuständig, weil das Bundeszentralamt für Steuern in der Stadt sitzt.

Beim Handel von Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Dividendenanspruch, so die Erkenntnisse der Ermittler, sollen S. und D. und etliche weitere Akteure darauf abgezielt haben, sich nach vorheriger Absprache mehr Kapitalertragsteuer erstatten zu lassen, als sie gezahlt hatten. Die Anklage benennt 33 Fälle schwerer Steuerhinterziehung, an denen die zwei Angeklagten beteiligt gewesen sein sollen. In einem Fall soll es beim Versuch geblieben sein. Der Schaden für den Fiskus beläuft sich demnach auf mehr als 440 Millionen Euro.

Fünf Banken und Fondsgesellschaften sind mit dabei: Sie müssen am Ende womöglich für die Geschäfte haften

In ihren Vernehmungen haben S. und D. zahlreiche Banken und Geschäftspartner schwer belastet. Den Ablauf dieser Aktiendeals - Finanzmarktakteure entwerfen Handelsmuster, um sich Steuergelder zu erschleichen - bestreiten sie nicht. Sollte das Gericht das ebenso wie die Anklage für strafbar halten, wird es darauf ankommen, wie es die subjektive Seite beurteilt: Haben die Angeklagten vorsätzlich den Fiskus um Geld betrogen? Oder konnten sie aufgrund fragwürdiger juristischer Gutachten davon ausgehen, legal zu agieren?

Außer den beiden Angeklagten werden fünf Banken und Fondsfirmen im Gerichtssaal vertreten sein. Das Gericht hat zwei Gesellschaften der Warburg-Gruppe, eine Tochter der französischen Bank Société Générale, eine Tochter der US-Bank BNY Mellon und die Hamburger Fondsfirma Hansainvest als Verfahrensbeteiligte benannt. Weil diese Firmen von den angeklagten Taten profitiert haben sollen, hält die Kammer es für wahrscheinlich, Vermögen von ihnen einziehen zu können. Möglich machen das neue Paragrafen im Strafrecht. Warburg bestreitet die Vorwürfe, BNY Mellon und Société Générale äußern sich nicht. Hansainvest teilte mit, nie Kapitalertragsteuern erhalten, also nicht selbst von den Transaktionen profitiert zu haben.

Vom Umgang mit den Verfahrensbeteiligten hängt für viele in der Finanzindustrie ab, welche Haftungsrisiken Cum-Ex für sie noch bedeuten wird. Bislang haben erst fünf der 1655 von der Bafin beaufsichtigen deutschen Banken Rückstellungen wegen Cum-Ex gebildet, ergab eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag. Es könnten noch deutlich mehr werden. Banken, die an fraglichen Geschäften beteiligt waren, haben 60 Anwälte als Prozessbeobachter entsandt.

Bislang sind 32 Termine bis Mitte Januar angesetzt.

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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