Süddeutsche Zeitung

Prozess in Bielefeld:Clemens Tönnies verliert doppeltes Stimmrecht im Fleischimperium

Machtkampf beim größten deutschen Fleischfabrikanten: Wer hat das Sagen beim Familienunternehmen Tönnies? Robert siegt vor Gericht gegen seinen Onkel Clemens - dessen Macht ist nun angeschlagen.

Von Elisabeth Dostert

Robert Tönnies ist ein braver Sohn. Er hat, wie sein zwei älterer Bruder Clemens jr., das gemacht, was sein 1994 verstorbener Vater Bernd im Testament verlangte: erst eine Metzgerlehre, dann eine kaufmännische Ausbildung. Und Onkel Clemens, 58, war "anfangs eine Art Vaterersatz", sagte der Neffe in einem Zeitungsinterview. Das Kämpfen hat Robert erst lernen müssen. Auf den Streit, der mittlerweile im mit 5,6 Milliarden Euro Umsatz größten deutschen Schlachtkonzern Tönnies tobt, hat ihn niemand vorbereitet. Robert zofft sich mit seinem Onkel Clemens, der derzeit den Konzern führt, um die Macht. Am Freitag hat Robert Tönnies den ersten Sieg für sich eingestrichen. Das Landgericht Bielefeld sprach dem Onkel das doppelte Stimmrecht ab. Dessen Macht ist nun angeschlagen.

Es ist so eine dieser schmutzig-tragischen Geschichten aus deutschen Familienunternehmen. Sie erzählt von den Reibungen, die entstehen, wenn zwei Welten aufeinanderprallen. Auf der einen Seite die Familie, Hort großer Gefühle, auf der anderen Seite das Unternehmen, das einer Sache, einem Zweck dient oder zumindest dienen sollte. Die Brüder Bernd und Clemens Tönnies standen sich einmal sehr nahe.

So nahe, dass Bernd seinen jüngeren Bruder Clemens in den von ihm 1971 gegründeten Fleischgroßhandel holte und ihn mit 40 Prozent beteiligte. So nahe, dass Clemens der Patenonkel von Bernds beiden Söhnen wurde. So nah, dass Bernd seinen ältesten Sohn Clemens nannte. So nahe, dass der Bruder die Geschäfte weiterführte, als Bernd Tönnies 1994 im Alter von nur 42 Jahren nach einer Nierentransplantation starb. Bernds Söhne waren noch zu jung zur Nachfolge. Zwar erbten sie, damals noch Teenager, die Gesellschaftsanteile unter Aufsicht eines Testamentsverwalters, mitreden dürfen im Geschäft sollten sie allerdings erst mit Erreichen des 30. Lebensjahres.

Sechs Verträge beim Notar

Es vergingen Jahre, in denen Clemens Tönnies den Konzern und seine Macht ausbaute. Weihnachten 2002 trafen sich Onkel, Neffen und Testamentsvollstrecker Josef Schnusenberg beim Notar Horst-Dieter Swienty. Sechs Verträge sollten beurkundet werden, wichtig sind Nummer vier, fünf und sechs. Zuerst stimmten alle zu, dass künftig die heutige Tönnies Holding GmbH & Co. KG die Führungsgesellschaft der Gruppe sein sollte, nicht mehr wie bisher die B&C Tönnies Fleischwerk GmbH & Co. KG.

Die Vertragsparteien willigten auch ein, dass Onkel Clemens künftig ein Doppelstimmrecht zukommen solle. Die Urkunde bezieht sich allerdings auf die alte Führungsgesellschaft und nicht auf die neue Tönnies Holding. Das Doppelstimmrecht sei der Wunsch der Banken gewesen, sollen Onkel Clemens und Testamentsvollstrecker Schnusenberg der Familie des verstorbenen Bruders erklärt haben. Faktisch habe es keine Bedeutung. So vermerkte es auch Notar Swienty in einer offiziellen Aktennotiz am 24. April 2003, aus der Robert Tönnies' Anwalt Mark Binz zitiert. Es habe sich nur um eine "Augenblickslösung zur Beruhigung der Banken gehandelt, nicht um eine Regelung auf Dauer".

Clemens Tönnies und Schnusenberg verbindet vieles. Sie sind beide Fans des FC Schalke. Clemens Tönnies ist dort Aufsichtsratschef, Schnusenberg war von 1994 bis 2007 Finanzvorstand und bis zu seiner Entmachtung 2010 Präsident des Klubs. 2012 durchsuchten Steuerfahnder des Büros von Schnusenberg und Tönnies wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Das Verfahren wurde laut Staatsanwaltschaft Bielefeld in diesem Frühjahr gegen Geldauflage vorläufig eingestellt. Immer wieder fällt Clemens Tönnies unangenehm auf: Mal hat er dem Kartellamt bei einer Übernahme Informationen verschwiegen, mal soll er Hackfleisch falsch etikettiert haben. Viele Fälle werden nicht endgültig vor Gericht geklärt. Tönnies zahlt eine Geldauflage, und Ruhe ist.

Das nun gekippte Doppelstimmrecht reichte dem Onkel auch nicht. Irgendwann erinnerte er die Neffen daran, dass Bernd Tönnies auf dem Sterbebett den Wunsch geäußert habe, dass die Söhne jeweils fünf Prozentpunkte ihrer Beteiligung an den Onkel übertragen. Auch dem Wunsch kamen Robert und Clemens Tönnies junior 2008 nach. Obwohl sie die Geschäfte des Onkels mit den Jahren, so schildert es ein Sprechers Roberts, immer misstrauischer beäugten. Einige Geschäfte, so unterstellen die Neffen, tätige der Onkel auf eigene Rechnung außerhalb des Konzerns, zum Beispiel in Russland.

Es läuft noch eine andere, vielleicht viel entscheidendere Klage

Am aktiven Kampf gegen den Onkel beteiligt sich Clemens Tönnies junior nicht mehr. Ende 2011, wenige Monate bevor Robert beim Bielefelder Landgericht den Feststellungsantrag gegen das Doppelstimmrecht einreichte, übertrug er seinen 25-Prozent-Anteil dem Bruder. Clemens leidet unter einer schweren Nierenerkrankung. Der Kampf ist mit dem Urteil vom Freitag auch nicht zu Ende. Es wird erwartet, dass die unterlegene Partei in die nächste Instanz zieht.

Und es läuft noch eine andere, vielleicht viel entscheidendere Klage ebenfalls am Landgericht in Bielefeld. Ende 2012 stellte Robert Tönnies bei der Kammer für Handelssachen dort den Antrag, seine Schenkung an den Onkel rückgängig zu machen, wegen "grobem Undank". Die Kammer verwies das Verfahren an eine allgemeine Zivilkammer des Landgerichts. Noch werden nur Schriftsätze ausgetauscht. Ein Verhandlungstermin steht noch aus. Auch dieser Prozess dürfte sich, sollten die verfeindeten Parteien bis zum Bundesgerichtshof gehen, über Jahre hinziehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1980026
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/bbr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.