Prozess gegen Fleischproduzent Tönnies:"Infiziert und kontaminiert"

"Willkür", "Manipulation" und "Amtsmissbrauch": Im Prozess gegen den Fleischproduzenten Clemens Tönnies geht die Verteidigung mit den Strafermittlern hart ins Gericht. Sie verletzten das Rechtsstaatsprinzip "grob".

Johannes Nitschmann, Düsseldorf

In dem schmucklosen Schwurgerichtssaal 101 des Essener Landgerichts warten an diesem Dienstagmorgen 13 Angeklagte und ein Großaufgebot von Strafverteidigern auf die Prozesseröffnung. Doch die Kameraleute und Fotografen nehmen mit ihren Objektiven alleine den schwarzhaarigen Mann im stahlblauen Anzug ins Visier.

Der Hauptangeklagte Clemens Tönnies, der sich für die Medienmeute ein müdes Lächeln abringt, ist Europas größter Schweinefleischvermarkter mit einem Jahresumsatz von zuletzt 4,3 Milliarden Euro. Bundesweit bekannt ist der 54-jährige Westfale aus Rheda-Wiedenbrück aber vor allem als Aufsichtsratsvorsitzender des Fußball-Bundesligisten Schalke 04.

Obwohl es in dem Essener Prozess um angeblichen Etikettenschwindel beim Hackfleischverkauf geht, haben Medienvertreter rasch eine Parallele zum Fußball entdeckt. In demselben Saal 101, in dem jetzt Tönnies und zwölf seiner leitenden Angestellten der Prozess gemacht wird, hat vor 40 Jahren fast die komplette Schalker Mannschaft auf der Anklagebank gesessen.

Wegen Meineid in dem 1971 aufgedeckten Bundesliga-Skandal um verschobene Meisterschaftsspiele. Für Tönnies, den der Boulevard zum "Kotelett-Kaiser von Schalke" adelte, geht es in diesem Verfahren aber nicht um Punkte, Tore, Meisterschaft, sondern um sein Renommee als Fleischfabrikant.

Hastig verliest der Bochumer Oberstaatsanwalt Gerrit Gabriel die dünne Anklageschrift "wegen des vorsätzlichen Inverkehrbringens von Lebensmitteln unter irreführender Bezeichnung". Tönnies und seine Manager hätten an große bundesdeutsche Discountketten wie Aldi und Lidl gemischtes Hackfleisch geliefert, das weniger Rindfleisch enthielt als vertraglich vereinbart und auf den Packungen angegeben war. Somit sei "falsch etikettierte Ware an gutgläubige Kunden verkauft" worden.

Biliges, dunkles Sauenfleisch

Nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft hätte das gemischte Hackfleisch zu 45 Prozent aus Rindfleisch und zu 55 Prozent aus Schweinefleisch bestehen sollen. Mit Hilfe von Laboruntersuchungen wollen die Ermittler der Einsatzkommission "Fish" - was als Abkürzung für Fraud in Slaughterhouse, Betrug im Schlachthaus, steht - herausgefunden haben, dass der Rindfleischanteil aber nur 25 bis 36 Prozent betragen hat.

"Entsprechend der Produktionsanweisung von Tönnies" sei das hochwertigere Rindfleisch durch billiges, dunkles Sauenfleisch ersetzt worden, "damit es optisch nicht auffällt", sagt Oberstaatsanwalt Gabriel. Laut Anklage wurden zwischen 2005 und 2007 mehr als 175 Millionen Packungen des falsch deklarierten Hackfleisches an Discounter verkauft.

Tönnies selbst schweigt am ersten Verhandlungstag zu den Vorwürfen. Er lässt seinen Verteidiger, den Düsseldorfer Staranwalt Sven Thomas reden. Und der beantragt unmittelbar die Einstellung des Verfahrens. Das verfassungsrechtlich verbriefte Rechtsstaatsprinzip eines "fairen Verfahrens" sei in diesem Strafprozess "grob verletzt" worden, donnert Thomas. Den Strafermittlern wirft er "Willkür", "Manipulation" und "Amtsmissbrauch" vor.

Anonyme Anzeige

Das Strafermittlungsverfahren gegen Tönnies sei vor dreieinhalb Jahren durch eine anonyme Anzeige ausgelöst worden, erklärt Thomas. Dokumente in den Ermittlungsakten belegten, dass diese anonyme Anzeige von dem damaligen Oldenburger Staatsanwalt Bernhard Südbeck "geheim mitformuliert" worden sei.

"So etwas hat es in einem deutschen Strafverfahren bisher nicht gegeben", empört sich der Tönnies-Advokat. Als Verfasser dieser anonymen Anzeige seien später ein ehemaliger Tönnies-Mitarbeiter und dessen Lebensgefährtin geoutet worden. Beide seien als Berater bei der Vion Food Group unter Vertrag gestanden, dem härtesten Konkurrenten der Tönnies-Gruppe.

Bereits im Vorfeld dieses Prozesses haben sich Staatsanwaltschaft und Verteidiger serienweise juristische Scharmützel geliefert. Ursprünglich hatte das Landeskriminalamt (LKA) aufgrund der anonymen Strafanzeige insgesamt wegen 24 Vorwürfen gegen Tönnies ermittelt.

Doch die Fahnder fanden in den allermeisten Fällen keine Beweise. Am Ende blieb nur der Vorwurf des Betruges sowie lebensmittelrechtlicher Vergehen übrig. Doch die Essener Strafkammer ließ den Anklagevorwurf des Betrugs nicht zur Hauptverhandlung zu. "Der Eintritt eines wirtschaftlichen Schadens" sei nicht feststellbar, urteilten die Richter.

Denn für die Discounter sei der Einkaufspreis für gemischtes Hackfleisch einerseits und reinem Hackfleisch andererseits gleich gewesen. Auch eine "Schädigung des Endkunden" konnte das Gericht nicht erkennen. Anberaumt wurden nun 40 Verhandlungstage. Bei einer Verurteilung droht den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Tönnies beharrt auf seiner Unschuld. Notfalls, so kündigte sein Verteidiger Thomas an, werde er bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. "Dieses Verfahren ist infiziert und kontaminiert, eine Heilung kommt nicht in Frage."

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