Protestbewegung gegen Tesco in England:Ende der Shopping-Party

Der britische Supermarktriese Tesco gilt als Geldmaschine der Branche und wird von Kleinhändlern und Umweltschützern erbittert bekämpft. Jetzt untersucht auch die Kartellbehörde seine Geschäftsmethoden.

Andreas Oldag

Die kleine Gruppe von Demonstranten verliert sich auf dem riesigen Parkplatz. Mütter mit plärrenden Kindern an der Hand stopfen Großpackungen Windeln, sperrige Getränkekisten und sackgroße Kartoffel-Chips-Tüten in ihre Autos.

Hier ist Tesco-Land. Hier ist jeden Tag Shopping-Party. Der Strom der Einkäufer, die in den langgestreckten Flachbau des Supermarkts im Londoner Stadtteil Southwark eilen, über dessen Eingang der Name "Tesco" prangt, reißt nicht ab.

"Wir stellen uns gegen den Strom", sagt Anne Pratley. Die 28-Jährige gehört zu einer Gruppe von drei jungen Leuten, die Tesco am liebsten schließen lassen wollen.

Schaufenster hinter Sperrholzplatten

Sie verteilen Flugblätter, auf denen steht: "Tesco zerstört unseren Stadtteil." Pratley friert. Ihre Hände sind klamm. Ein kalter Wind fegt um die Ecke. Auf der Old Kent Road, der vierspurigen Ausfallstraße, die Southwark von Norden nach Süden durchtrennt, dröhnt der Verkehr. In diesem südlichen Teil Londons breiten sich billige Sozialbauten aus. Die Armut versteckt sich hinter fleckig-grauen Gardinen.

In Southwark kaufen viele Menschen bei Tesco, weil es billig ist. Pratley sagt: "Die niedrigen Preise sind das Problem. Sie haben die kleinen Läden in der Nachbarschaft in die Pleite getrieben."

Man müsse ja nur die Old Kent Road entlanggehen - Schaufenster sind mit Sperrholzplatten zugenagelt. Übriggeblieben sei eine öde Mischung von Fish-and-Chips-Buden und Wettbüros. "Eine tote Gegend", meint Pratley. Die blonde Frau ist von Beruf Sozialarbeiterin und hat sich der Anti-Tesco-Bewegung "Tescopoly" angeschlossen.

Zunehmend emotional

Tesco in Southwark ist eine Facette in einer zunehmend emotional geführten Debatte in Großbritannien. Ähnlich wie in den USA, wo Aktivisten zum Boykott des Supermarktgiganten Wal-Mart aufrufen, hat sich auf der Insel eine bunte Protestbewegung gebildet.

Ende der Shopping-Party

Es sind Grüne, Naturfreunde, Ökofans, selbsternannte Robin Hoods, aber auch besorgte Hausfrauen, die bei "Tescopoly" mitarbeiten. Der Name ist eine Kombination aus den Wörtern Tesco und Monopoly.

Die Tescopoly-Aktivisten tauschen sich vor allem über das Internet aus. Sie haben weder ein zentrales Büro, noch eine strenge Hierarchie. Und genau das bereitet dem Tesco-Management in der Firmenzentrale in Cheshunt, 20 Kilometer nördlich des Londoner Stadtzentrums, erhebliches Kopfzerbrechen.

Unliebsame Konkurrenten

Mit mehr als 270.000 Beschäftigten und einem Netz von etwa 1.250 Filialen ist das Traditionsunternehmen, das nach dem Ersten Weltkrieg von dem polnischstämmigen Immigranten Jack Cohen gegründet wurde, ins Fadenkreuz einer schwer zu kontrollierenden und unberechenbaren Protestbewegung geraten.

"Überall stehen wir am Pranger", stöhnt ein Tesco-Manager. "Wir werden zum Sündenbock abgestempelt." Das Supermarktimperium Tesco in der Opferrolle? Das klingt für Kritiker wenig glaubwürdig.

Der Konzern, der als Geldmaschine der Branche gilt, ist in seinen Geschäftsmethoden nicht zimperlich. Er kauft nicht nur gezielt Wettbewerber auf, die dem Expansionsdrang im Weg stehen, sondern bedient sich auch sogenannter "Trojanischer Pferde".

"Trojanische Pferde" für die Expansion

Damit sollen trickreich Bauauflagen von Städten und Gemeinden umgangen werden. Ein Fall aus dem Londoner Stadtteil Finchley sorgte vor kurzem für Schlagzeilen: Der Konzern wollte eine leerstehende Autohalle und Tankstelle übernehmen, um auf dem Gelände einen Tesco-Express-Shop zu eröffnen.

Es kam zu einer hitzigen Debatte in Finchley. Der Stadtrat legte schließlich Einspruch gegen den Bau ein, weil er negative Auswirkungen für die vorwiegend kleinen Lebensmittelgeschäfte in der Nachbarschaft befürchtete. Stattdessen gab er die Genehmigung für die Ansiedlung eines Teppichgeschäfts "Carpet 4 Less".

Was die Stadtvertreter nicht ahnten: Tesco hatte sich offenbar mit dem Teppichfilialisten auf einen Geheim-Deal geeinigt. "Carpet 4 Less" sollte das Grundstück nur kurzfristig nutzen, um es dann Tesco zu überlassen.

Ende der Shopping-Party

"Eine typische Salami-Taktik. Tesco sichert sich wertvolle Immobilien und schickt zunächst andere Nutzer vor. Und sobald die Zeit günstiger ist, wird am Ende doch ein neuer Supermarkt eröffnet", schimpft Tescopoly-Aktivistin Vicki Hird.

"Nichts Illegales"

Bei Tesco reagiert man auf solche Vorwürfe gelassen. "Wir machen nichts Illegales", heißt es in der Konzernzentrale. Daran hat Großbritanniens oberste Kartellbehörde Competition Commission zumindest Zweifel.

Sie hat eine Untersuchung gegen die vier großen Supermarktketten gestartet, zu denen neben Marktführer Tesco auch Sainsbury, Morrison und Asda gehören. Die "Big Four" kontrollieren zusammen fast 75 Prozent des britischen Lebensmittelmarktes.

Unter die Lupe nehmen die Kartellwächter den Aufkauf von Gewerbegrundstücken. Allein Tesco soll ein Immobilien-Portfolio im Wert von umgerechnet etwa 20 Milliarden Euro haben - darunter genügend Flächen, um 175 neue Märkte zu öffnen.

"Tesco hortet lukrative Standorte. Damit soll unliebsame Konkurrenz abgehalten werden", sagt Lady Caroline Cranbrook. Die Gräfin aus dem kleinen ostenglischen Ort Saxmundham ist so etwas wie die Mutter Courage der Anti-Tesco-Bewegung.

Als der Supermarktkonzern Ende der neunziger Jahre versuchte, sich in Saxmundham niederzulassen, organisierte sie ein Bündnis von lokalen Farmern und Lebensmittelhändlern gegen den Konzern. Mit Erfolg: Tesco zog sich zurück.

Das "schwarze Loch" Saxmundham

Cranbrook residiert in einem viktorianischen Herrenhaus. Ihr Arbeitszimmer ist vollgestopft mit Expertisen über Tesco. Sie habe nachweisen können, dass Tesco das Aus für die lokale Wirtschaftsstruktur bedeutet hätte, meint Cranbrook.

Lob für ihre Kampagne erhielt die 68-Jährige sogar von höchster Stelle: Cranbrook sei die "hartnäckigste Kämpferin" für die Sache einer gesunden Ernährung und umweltfreundlichen Agrarwirtschaft, meinte Natur- und Ökofreund Prince Charles.

"Wir haben alle an dem Erfolg gearbeitet", gibt sich Cranbrook bescheiden. Saxmundham sei deshalb bis heute ein "schwarzes Loch" für Tesco geblieben. Und nicht nur Saxmundham: Im Umkreis von 75 Kilometern gibt es keinen Tesco-Supermarkt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: