Prosecco:Der Bläschen-Aufstand

Lesezeit: 4 min

Alteingesessene Prosecco-Winzer rebellieren gegen die Produzenten von Massenware. Die behaupten, sie hätten dem Getränk erst zum Erfolg verholfen.

Von Ulrike Sauer, Rom

Loris Dall'Acqua machte vor vier Wochen Schluss. Der Önologe und Mitinhaber des Weinguts Col Vetoraz kappte die letzten Bande zum Prosecco. Seine Kellerei, mitten im schroffen Ursprungsgebiet des weltberühmten Schaumweins zwischen Valdobbiadene und Conegliano gelegen, sagte sich von dem Massen-Label Prosecco los. Punkt. Aus. Seit 2017 hat er Schritt für Schritt jeden Hinweis auf den prickelnden Erfolgstropfen getilgt. Nun ist der Name Prosecco spurlos aus seinem Sortiment verschwunden. Die 1,2 Millionen Flaschen Col Vetoraz sind jetzt allein unter der Bezeichnung Valdobbiadene DOCG im Handel. "Der Begriff Prosecco pauschalisiert zu sehr und droht heute die Jahrhunderte alte Tradition auf den Hügeln um Valdobbiadene und Conegliano auszulöschen", sagt Dall'Acqua.

Im Prosecco-Land, auf halber Strecke zwischen den Dolomiten und Venedig, geht gerade die Weinlese zu Ende. Doch in diesem Herbst gärt es nicht nur in den Stahltanks der 500 Kellereien, deren Blitzaufstieg den Schaumwein in den vergangenen zehn Jahren zur wohl spektakulärsten Erfolgsgeschichte Italiens gemacht hat. Auch unter den Herstellern des spritzigen Lifestyle-Getränks brodelt es. In einer Petition riefen alteingesessene Winzer aus dem Hügelland ihre Kollegen auf, sich von den Parvenüs im Flachland loszusagen. Die Parole lautet: Weg mit dem Namen Prosecco von unseren Flaschen.

Qualitätsweine versus Low-cost-Bläschen

Der Sezessionskampf wühlt den "Garten Venedigs" auf. Erst im Juli hat die Unesco der hügeligen Kulturlandschaft den begehrten Welterbe-Titel verliehen. Nun lehnt sich der Wein-Adel auf den mühevollen Hanglagen gegen die Weltmarkteroberer aus der Ebene mit ihren intensiven, mechanisierten Anbaumethoden auf. Die Front ist klar gezogen. Tradition und Schweiß gegen die moderne Industrie der Trendsetter. Qualitätsweine gegen Low-cost-Bläschen. Auf dem Spiel stehen 2,5 Milliarden Euro Prosecco-Umsatz im Jahr. Weltweit werden heute jeden Tag mehr als eine Million Flaschen Prosecco entkorkt. Fünf von sechs stammen aus den neuen Anbaugebieten im Flachland. Seit die Veneter mit ihrem Schaumwein und ihrer Spritz-Kultur eine globale Mode begründeten, haben sogar Frankreichs Edelwinzer das Nachsehen. Im Nu verdrängte der leichte Prosecco mit seinen frischen Aromen den Champagner in der Gunst der Freunde perlender Weine vom Spitzenplatz.

Aus Valdobbiadene stammt der Prosecco. Doch da gibt es Unterschiede. Die feinere Variante ist am DOCG-Etikett zu erkennen. (Foto: imago)

Rädelsführer Loris Dall'Acqua hat die Rolle des Vorreiters übernommen. Das Weingut Col Vetoraz schmiegt sich in fast 400 Meter Höhe in Santo Stefano di Valdobbiadene an den steil abfallenden Hang. Angelegt wurden die Weingärten seit 1838 von der Familie Miotto. Vor 25 Jahren gründete Francesco Miotto zusammen mit seinem Önologen Dall'Acqua das heutige Weingut und verwandelte es in eine Spitzenkellerei. In diesen Tagen ist Dall'Acqua rund um die Uhr im Einsatz. Er kostet den Most der vielfältigen Lagen, um aus den zwei Millionen Kilo gekelterten Trauben seine Cuvées zusammenzustellen.

So kam es zum rasanten Wachstum

In seiner Gegend fühlen sich viele Winzer ihrer Tradition beraubt. Bis 2009 war Prosecco der Name der Weinrebe, die ausschließlich auf den Hügeln zwischen Conegliano und Valdobbiadene angebaut wurde. Seit 800 Jahren, sagen sie in der Kellerei Col Vetoraz. Dann kam 2009 der Lega-Politiker Luca Zaia, Regionalpräsident des Veneto, und machte Prosecco zum Namen eines Schaumweins mit der kontrollierten Herkunftsbezeichnung DOC, die sich fortan über neun weitläufige Provinzen in Veneto und Friaul erstreckt. Die Anbaufläche vervierfachte sich auf 33000 Hektar. Ein Trauma. Die Prosecco-Traube wurde durch Verfügung von oben in Glera umbenannt. Das war der Startschuss zu einem turbulenten Wachstum.

Im Stammland des Prosecco rund um Valdobbiadene hebt man sich seither durch die Bezeichnung Prosecco Superiore DOCG von den neuen Flachlandwinzern und ihrem Prosecco DOC ab. "Die Situation ist dermaßen chaotisch, dass die schlichte Unterscheidung zwischen Prosecco und Prosecco Superiore nicht ausreicht, unsere Identität zu vermitteln", schreibt Dall'Acqua in seinem Manifest. Er verbannte darum den Namen Prosecco von seinen Etiketten und verzichtet auf ein Label, das reißenden Absatz findet.

Nicht jeder Schaumwein darf sich Prosecco nennen - und auch nicht jede Chipssorte. (Foto: Frank Rumpenhorst/DPA)

Das Separationsstreben offenbart ein beklemmendes Gefühl. Der Hype um die hippen Bläschen aus dem Nordosten Italiens ist vielen Weinbauern unheimlich geworden. "Wir wollen retten, was noch zu retten ist", sagt Francesco Drusian. Mit der abrupten, wirtschaftlich motivierten Ausdehnung des Anbaugebiets habe der Prosecco seine Identität, seine Wurzeln und seine Qualität eingebüßt, sagt er.

Die einen benötigen nur 150 Arbeitsstunden pro Hektar, die anderen 700 Stunden im Jahr

Seit 1890 versuchen drei Drusian-Generationen das Beste aus ihren Reben und Böden zu holen. "Mein Großvater hat sich den Rücken kaputt gemacht, um Terrassen anzulegen und Reben zu pflanzen", sagt der Enkel. Steile Schotterwege führen in seine Weinberge. Bei bis zu 70 Prozent Gefälle sind sie für motorisiertes Gerät unerreichbar. Während die Winzer im Flachland nur 150 Arbeitsstunden pro Hektar benötigen, investiert Drusian im Jahr 700 Stunden. "Warum sollte ich mit denen gemeinsame Sache machen?", fragt der überzeugte Sezessionist. Man habe schon den traditionellen Namen Prosecco an die Neulinge abgegeben. "Wir wollen jetzt nicht auch noch unsere Geschichte und unsere Qualität verlieren", sagt er. Es gibt auch ein Preisproblem. Drusian empfindet es als ungerecht, dass die DOCG-Winzer nur 30 bis 40 Cent mehr für ein Kilo Trauben als die Kollegen im Flachland erhalten. "Damit sich die Schere weiter öffnet, müssen wir uns stärker von ihnen abheben", sagt er. Dem Verbraucher ist es nicht leicht zu vermitteln, warum im Supermarktregal Prosecco für zwei Euro steht und die Qualitätskellerei ihre Flasche für zehn Euro verkauft.

Die Massenhersteller empfinden die Absetzbewegung als Affront. Klar sitzen die DOC-Winzer mit ihrer Marktmacht am längeren Hebel. Doch die feineren Etiketten der DOCG-Kollegen, deren Reben auf den Postkarten-affinen, zum Welterbe beförderten Hügeln wachsen, sind für das Prosecco-Image unverzichtbar. Entsprechend pikiert reagiert der Chef des DOC-Konsortiums in Treviso. "Dank unserer Fähigkeit, eine große Nachfrage zu befriedigen, haben wir denjenigen ein Drittel mehr Umsatz beschert, die heute in die Suppe spucken", sagt Stefano Zanette.

Der Weinunternehmer Giancarlo Moretti Polegato nimmt eine Mittlerrolle ein. "Von dem Wachstum haben alle Hersteller profitiert, es wurde niemand benachteiligt,", sagt er. Moretti Polegato führt die größte Privatkellerei im Prosecco-Land. Er spricht aus eigener Erfahrung, seine Glera-Trauben reifen in beiden Herkunftsgebieten. Das Anliegen, die Unterschiede zwischen den beiden Lagen besser bekannt zu machen, unterstützt er. Den Namen Prosecco vom Etikett zu entfernen, hält Moretti Polegato aber für den falschen Weg. "So verwirren wir die Verbraucher nur", sagt er. Ohnehin sei es den Winzern freigestellt, ob sie Prosecco auf ihre Flaschen schreiben oder nicht. "Der ganze Krach ist ein Sturm im Wasserglas", sagt er. Grund zur Sorge hätten eigentlich die Winzer in der Champagne, denen man Marktanteile abgejagt habe.

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: