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Projekt Zuschussrente:Von der Leyen spielt mit der Angst

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Früher hatte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen eher beschwichtigt, wenn andere vor Massenarmut im Alter warnten. Doch plötzlich ist alles anders: Die Ministerin möchte die Zuschussrente einführen und provoziert Furcht vor der Verarmung von Rentnern. Womöglich lehnt sie sich dabei zu weit aus dem Fenster.

Thomas Öchsner

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat vor Kurzem über sich selbst gesagt: "Ich weiß, dass ich bei Themen, die mich selbst emotional berühren, sehr durchsetzungsstark bin." Wie das geht, führt die CDU-Politikerin derzeit bei ihrem Lieblingsprojekt vor, der Zuschussrente für Geringverdiener. Von der Leyen setzt eine Zahl in die Welt, die Medien und zukünftige Rentner alarmiert. Und schon hat die ehrgeizige Ministerin die Oberhoheit über das, was in der Bundeshauptstadt diskutiert wird.

Wenn Sozialverbände, Opposition und Gewerkschaften bislang wegen der Absenkung des Rentenniveaus vor Massenarmut im Alter gewarnt haben, hat die Arbeitsministerin eher beschwichtigt. Entscheidend sei, was ein Ruheständler insgesamt zur Verfügung habe, die Summe aus gesetzlicher Rente und privater Zusatzvorsorge, Betriebsrente oder Kapitaleinkünften, hieß es stets aus dem Hause von der Leyen. Die Botschaft dabei: Alles nicht so schlimm.

Jetzt ist das auf einmal Geschwätz von gestern. Die Ministerin kann, wenn es sein muss, auch anders. Sie kann sogar mit der Angst vor Altersarmut spielen, um den Widerstand in Union und FDP gegen ihre Zuschussrente zu brechen. Sie sagt: Wer 35 Jahre in die Versicherung eingezahlt und 2500 Euro verdient hat, kann in Zukunft nur eine Rente von 688 Euro erwarten - also exakt so viel, wie ein Hilfsbedürftiger vom 65. Lebensjahr an derzeit im Schnitt vom Staat als Grundsicherung bekommt. Auch wenn das Beispiel sehr konstruiert ist: Das sinkende Rentenniveau stellt die Legitimität des Rentensystems in Frage. Nur wird die Zuschussrente dadurch nicht besser.

Die Ministerin will Geringverdienern helfen, die mindestens 30 Jahre (von 2023 an sogar 35 Jahre) in die Rentenkasse eingezahlt, Kinder großgezogen und zusätzlich vorgesorgt haben. Deren Rente will sie auf bis zu 850 Euro aufstocken. Immer mehr Menschen haben jedoch Lücken in ihrer Erwerbsbiografie. Sie schaffen es gar nicht, die Voraussetzungen der Zuschussrente zu erfüllen. Viele Millionen Menschen mit Mini-Renten werden daher leer ausgehen.

Außerdem müssten für die Zuschussrente auch die Beitragszahler der Rentenversicherung zahlen. Das aber ist sozial ungerecht. Der Kampf gegen Altersarmut ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die jede Versicherung überfordert. In anderen Ländern gibt es deshalb längst Grundrenten, finanziert aus dem Steuertopf, in den alle einzahlen: Arme und Reiche, Beamte und Selbständige - und nicht nur die, die gesetzlich rentenversichert sind.

Von der Leyen ficht das nicht an. Sie hat angekündigt, sich an ihrem Lieblingsprojekt "messen" zu lassen. Manch einer versteht dies sogar so, dass sie zurücktritt, wenn die Zuschussrente nicht kommt. Viel spricht deshalb für einen Kuhhandel: Die CSU bekommt das Betreuungsgeld, die FDP womöglich den Wegfall der Praxisgebühr, und von der Leyen ein bisschen Zuschussrente - sofern sie sich nicht diesmal zu weit aus dem Fenster gelehnt hat.

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SZ vom 04.09.2012
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