Prognose des IWF:Das neue Wirtschaftswunder

Vor ein paar Jahren war Deutschland noch der kranke Mann Europas. Jetzt ist die Bundesrepublik die Wirtschaftslokomotive. Der Aufschwung läuft außerdem besonders gut in Schwellenländern wie China.

Claus Hulverscheidt, Berlin

Es ist keine zwölf Jahre her, da bezeichnete der britische Economist Deutschland in einem aufsehenerregenden Artikel als "den kranken Mann Europas". Heute, zwei Rezessionen und eine Weltfinanzkrise später, hängt am Bundeswirtschaftsministerium in Berlin ein riesiges Plakat, auf dem das Londoner Wirtschaftsmagazin erneut zitiert wird - in großen Lettern und in englischer Sprache: Es wird Zeit, so heißt es dort, sich "das neue deutsche Wirtschaftswunder einmal etwas näher anzuschauen".

Wirtschaftswachstum IWF

Der Internationale Währungsfonds hat das Wachstum 2010 berechnet und für 2011 und 2012 prognostiziert.

(Foto: SZ-Graphik)

Glaubt man dem Internationalen Währungsfonds (IWF), wird sich dieses Wunder noch eine ganze Weile lang fortsetzen. Wachstumsraten von 2,5 Prozent in diesem und 2,1 Prozent im nächsten Jahr sagen die IWF-Experten der Bundesrepublik in ihrem neuen World Economic Outlook voraus - beide Werte wurden erneut nach oben korrigiert. Unter den führenden Volkswirtschaften der Welt bleibt die deutsche damit eine der Konjunkturlokomotiven. 2010 hatte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) preisbereinigt sogar um 3,6 Prozent zugelegt - fast dreimal so viel wie im Heimatland des Economist.

Immerhin: Der Aufschwung wird laut IWF von immer mehr Schultern getragen und hängt in immer mehr Ländern - darunter Deutschland - nicht mehr allein am Export. In den USA stabilisieren sich die Wachstumsraten demnach bei knapp drei Prozent, und auch in Großbritannien geht es zwar langsam, aber doch beständig bergauf. Selbst in Japan dürften die jüngsten Naturkatastrophen die Konjunktur nur vorübergehend leicht dämpfen: Für dieses Jahre nehmen die IWF-Ökonomen ihre Prognose im Vergleich zur Januar-Schätzung um gerade einmal 0,2 Punkte auf 1,4 Prozent zurück, für 2012 heben sie sie sogar um 0,3 Punkte auf 2,1 Prozent an. Voraussetzung für ein Eintreten dieses optimistischen Szenarios ist allerdings, dass die Reaktoren im Atomkraftwerk Fukushima nicht doch noch in die Luft fliegen.

Sehr viel dynamischer wachsen weiterhin die Volkswirtschaften vieler Schwellenländer, allen voran diejenige Chinas. Die Bemühungen der Pekinger Führung, den BIP-Zuwachs etwas zu bremsen und ihn dafür nachhaltiger zu gestalten, hält der IWF offenbar für wenig erfolgversprechend. Vielmehr rechnet er auch für 2011 und 2012 mit Steigerungsraten von fast zehn Prozent - und damit mit der Gefahr einer konjunkturellen Überhitzung, die sich auch in steigenden Inflationsraten und höheren Preisen auf den Weltrohstoffmärkten niederschlagen dürften. Überhaupt sehen die Volkswirte ihre Prognose mit mehr Risiken als Chancen behaftet: Neben den genannten zählen dazu auch die hohe Staatsverschuldung vor allem in Japan, den USA und einigen Euro-Ländern sowie anhaltende Banken-Probleme in einer Reihe von Staaten.

Wie das Wachstum stabilisiert werden kann, darüber wollen die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben führenden Wirtschaftsnationen (G7) sowie der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) am kommenden Wochenende am Rande der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington beraten.

Ein weiteres Thema ist die Reform des Weltwährungssystems, die bereits bei einem G-20-Treffen vor knapp zwei Wochen im chinesischen Nanjing im Mittelpunkt gestanden hatte. Zwar habe sich das Währungssystem während der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise als vergleichsweise robust erwiesen, hieß es am Montag in deutschen Regierungskreisen. "Aber es gibt auch Schwachstellen."

Konkret geht es darum, wirtschaftlich aufstrebende Länder wie China, Brasilien und Indien besser in das Weltwährungssystem einzubinden und ihnen damit zugleich mehr Pflichten zu übertragen. Parallel dazu soll die Anfälligkeit der Schwellenländer für nicht selbst verursachte ökonomische Schocks verringert werden. Dazu wollen die G-7-Staaten unter anderem die betroffenen Regierungen in die Lage versetzen, Staatsanleihen in eigener Landeswährung auszugeben. Das klingt simpel, ist es aber nicht, da es vor Ort meist an der technischen Infrastruktur, also etwa an einer funktionieren Plattform für Wertpapier-Auktionen sowie den dazu gehörenden Informationssystemen, mangelt. Auch fehlt oft der Rechtsrahmen, der die Käufer der Anleihen überzeugt, dass ihr Geld vernünftig und vor allem sicher angelegt ist.

Die Finanzminister der G8 beraten in Washington zudem über die Lage in Libyen, Ägypten und den anderen nordafrikanischen Umbruchländern. An dem Gespräch nehmen auch Vertreter der betroffenen Staaten selbst teil. Zur G8 zählen die G-7-Mitglieder Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und USA sowie Russland.

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