Süddeutsche Zeitung

Profit der Banken in der Krise:Die Blutspur des Geldes

Von Irland bis Spanien, von Großbritannien bis Zypern: Die Banken nehmen mit ihren Problemen ganz Europa in Geiselhaft. Die Steuerzahler blechen dafür - mit 1600.000.000.000 Euro. Die Politik muss sich von dieser modernen Pest befreien.

Ein Essay von Alexander Hagelüken

Stellen wir uns einen Augenblick vor, Europa sei ein einziges großes Land. Vom Nordkap bis zum Mittelmeer, mit den heutigen Staaten als Provinzen. Dann würden die Europäer die Finanzkrise wie eine rätselhafte Seuche empfinden, die seit 2007 immer wieder an unterschiedlichen Stellen ausbricht. Oder wie Überfälle fremder Barbarenheere, die den Europariesen zu verschiedenen Zeiten im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen angreifen.

Es begann mit den Schieflagen deutscher Banken und Kundenschlangen vor der britischen Northern Rock, wie man sie seit der großen Depression nicht gesehen hatte. Dann ging mit Island fast ein ganzes Land unter. Es wackelten die Geldhäuser in Holland und Belgien, in Frankreich und Großbritannien, in Lettland und Irland. Ein paar Jahre später standen Banken in Griechenland und Spanien vor dem Abgrund - das prägte 2012. Und jetzt ringt Europa darum, ob es dem kleinen Zypern für seine maroden Institute eine Milliardenhilfe gibt, die so groß ist wie alles, was die Insulaner in einem Jahr erwirtschaften.

Europa wird immer wieder attackiert, nur dass es sich eben um keine Seuche oder Invasion handelt, sondern um eine moderne Pest. Eine Verschwörung der Zahlen mit den vielen Nullen, deren Machtübernahme den Europäern lange als Fortschritt verkauft worden war. Nun zeigt sich: Die unvorstellbar großen Zahlen entfalten eine Gewalt, die den ganzen Kontinent gefangen hält. Die Bilanzsummen der Geldhäuser übersteigen oft die Wirtschaftsleistung eines Landes um ein Mehrfaches. Die Banker schlagen Wunden, die nicht verheilen wollen. Sie hinterlassen eine Blutspur, die Europa zeichnet. Bis 2012 steckten die Steuerzahler als Hilfen oder Garantien in die Banken: 1600.000.000.000 Euro.

1,6 Billionen: das ist so, als müsste jeder einzelne Deutsche 20.000 Euro zahlen, zwei Drittel eines durchschnittlichen Jahreslohns. Oder als müsste jeder Deutsche, ob Kleinrentner oder Milliardär, ein Drittel seines Geldvermögens abgeben. Die Finanzkrise ist eine gigantische Umverteilung vom Steuerzahler zu jener Minderheit von Bonibankern und Bankaktionären, die in guten Zeiten von den gefährlichen Geschäften profitierten, für die sie im Nachhinein selten haften. Die Krise hat die Schulden vieler Staaten auf ein Niveau getrieben, das die Einwohner noch lange Jahre quälen wird - weil darauf nur unangenehme Reaktionen möglich sind: Sparen, höhere Steuern, Inflation oder Kollaps.

Nur in der Gesamtschau wird einem klar, was die Attacke des Finanzsektors bedeutet. Immer wieder werden nur Einzelaufnahmen präsentiert, Schieflagen in dem einen Land, Reformvorschläge in einem anderen. Das vernebelt die Sicht aufs Ganze, darauf, wie das gesamte Europareich immer wieder an verschiedenen Orten die Krise kriegt, von Irland bis Spanien, von Großbritannien bis Zypern.

Die Mechanismen sind oft ähnlich: Halsbrecherische Anlagen, oder leichtsinnige Darlehen an Bauherren und andere Kreditnehmer, gefördert durch niedrige Zentralbankzinsen. Die Reaktionen der betreffenden Regierungen sind ebenfalls ähnlich: Ähnlich hilflos. Wenn große Industriebetriebe ins Wanken geraten, Autobauer, Stahlfabriken, Kaufhäuser, gibt es heute meist keine Staatshilfe mehr. Da setzt sich oft der marktwirtschaftliche Gedanke durch, dass Subventionen in der Regel nur das Siechtum verlängern. Anders bei Banken, deren Geldströme die ganze Volkswirtschaft umschlingen wie das Netz einer Spinne. Sie halten das Land gefangen, weil bei einer Pleite eine Kettenreaktion durch Verluste anderer Finanzhäuser, Versicherer oder Pensionskassen befürchtet wird. Und schon öffnet die Regierung die Portemonnaies ihrer Steuerzahler. Und wenn gleich das ganze Land wankt wie bei Spanien, Irland oder Griechenland, sollen die Steuerzahler anderer Staaten ran. Aus dieser Geiselhaft muss sich die Politik befreien, um ihren Bürgern wieder eine Perspektive zu geben: Die Aussicht auf ein Leben ohne die Zumutungen einer wildgewordenen Finanzindustrie. Die Systematik, mit der die Geldhäuser einen Staat nach dem anderen in Schwierigkeiten stürzen, das Tempo, mit der ihre Milliarden Landesgrenzen hinter sich lassen - das alles verlangt nach einer systematischen Antwort. Als ob Europa ein großer Staat wäre, vom Nordkap bis zum Mittelmeer.

Was geschehen ist seit dem Ausbruch der Finanzkrise, entspricht diesem Ideal nicht. Die beste Antwort auf die Gefahren der Geldindustrie wären globale Lösungen, dann europäische. Doch selbst die europäischen Lösungen fallen trotz Europäischer Union zu halbherzig aus. Ja, die Banken sollen demnächst mehr Eigenkapital ansammeln, ja, die manche Geschäfte wurden gestoppt. Doch bei vielem wirken die Politiker getrieben statt treibend. Jetzt erst, fast sechs Jahre nach dem Start der Krise, wollen sie europaweit die Boni kürzen. Die europaweite Bankenaufsicht, eine kluge Idee, entstand als Abwehrreaktion der Bundesregierung auf den Wunsch der Spanier nach direkten Euro-Hilfen für ihre Geldhäuser. Für eine schärfere Kontrolle von Schattenbanken, in die zunehmend Geschäfte verlagert werden, entwickelt Brüssel erst langsam Ideen. Von der Europäischen Zentralbank ist nicht zu hören, wie sie künftig verhindern will, dass ihre Euro-Einheitszinsen in Ländern mit höherer Inflation zu Billigkredit führt, wie er die Immobilienblasen in Südeuropa auslöste.

Und, ganz zentral: Für die Abwicklung eines Geldhauses auf eine Weise, die den Steuerzahler schont, gibt es noch immer kein taugliches Werkzeug. Noch immer sind Banken zu groß, um sie pleitegehen zu lassen, too big to fail. Schlimmer noch: Sie werden noch größer. Die Bilanzsummen britischer Geldhäuser nahmen von 2000 bis 2007 jedes Jahr im Schnitt um fast zwölf Prozent zu, vier Mal so stark wie die Wirtschaftsleistung. Und nach Ausbruch der Krise? Von 2008 bis 2010 legten sie im Schnitt um zehn Prozent zu, während die Wirtschaft per Saldo schrumpfte.

Wieder und wieder ist die Politik den Einflüsterungen der Bankenlobby erlegen, sie dürfe nicht zu stark reguliert werden. Denn eine Volkswirtschaft brauche einen starken Finanzsektor. Was stimmt. Aber keine Volkswirtschaft braucht einen Finanzsektor, der noch und noch mehr Geschäft dazunimmt, weil er seine Risiken auf die Allgemeinheit abwälzen kann. Den Wehklagen der Geldhäuser lässt sich mit einer interessanten Statistik begegnen: Weltweit verdienen die größten Banken inzwischen wieder so viel wie in den Vorkrisen-Turbojahren 2006 und 2007 - und damit doppelt bis drei Mal so viel, wie vor einem Jahrzehnt üblich.

Noch einmal kurz angenommen, Europa sei ein einziges Land. Wer sich das vorstellt, sieht auch, dass der Kontinent ein Problem noch gar nicht angegangen ist: Die Neigung mancher Staaten, ihr ganzes Wirtschaftsmodell auf den Finanzsektor auszurichten und die Nachteile daraus den Nachbarn aufzubürden.

Großbritannien konzentriert sich seit Maggie Thatcher auf eine entfesselte Finanzindustrie. Was zur Folge hat, dass die Briten Ansätze für eine europäische oder globale Kontrolle der Branche immer wieder torpedieren - obwohl die Krise die britischen Steuerzahler mehr als 150 Milliarden Euro kostete. Irland lockte ausländisches Kapital mit einer Mischung aus laxer Aufsicht und Dumpingsteuern. Als die überdimensionierten Banken zu fallieren drohten, sollten die anderen Euro-Staaten einspringen.

Das Paradebeispiel für ein falsches Wirtschaftsmodell liefert Zypern, der aktuelle Streitfall. Mit schwacher Kontrolle und Ministeuern holten sich die Zyprioten massenhaft Geld ins Land - es gibt fast halb so viele (Schein-)Firmen wie Einwohner. Holdings helfen russischen Konzernen, Steuern zu sparen. Die Banken sammelten so viele Milliarden ein, dass ihre Aktiva acht Mal so groß sind wie die Wirtschaftsleistung des Landes. Weil das Geld irgendwie angelegt werden musste, kauften die Institute massenhaft griechische Staatspapiere - und drohen nach dem Athener Schuldenschnitt zu kollabieren. Und in dieser Not wird das kleine Land von manchem EU-Akteur zur Systemrelevanz hochgeredet. Weshalb wieder mal die Steuerzahler anderer Staaten eingreifen sollen.

Die Lehre daraus sollte nicht nur sein, Aktionäre der Banken an den Verlusten zu beteiligen. Europa müsste mehr agieren, als ob es nur ein Reich wäre, eine wahrhafte Union. Dazu sollte die Brüsseler Kommission mit einer echten Kontrollaufgabe ausgestattet werden: Die Wirtschaftsmodelle der Länder kritisch zu prüfen - und früh Alarm zu schlagen, sobald sich ein Staat zu stark der Finanzindustrie ausliefert.

Die Banken haben in Europa eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Wenn die Steuerzahler nicht weiter die nützlichen Idioten sein wollen, müssen sie endlich aufwachen.

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SZ vom 09.03.2013/jab
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