Süddeutsche Zeitung

Produktentwicklung bei Ikea:Fünf Jahre für eine Küche

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Ikea hat vergangenes Geschäftsjahr seinen Umsatz auf 38 Milliarden US-Dollar gesteigert. Zentraler Punkt für den Erfolg: der Preis. Doch dafür lässt sich das schwedische Möbelhaus bei der Produktentwicklung ziemlich Zeit.

Von Jens Hansegard, Wall Street Journal Deutschland

Um eine Sedan-Limousine zu designen, benötigen amerikanische Autofirmen drei Jahre. Handyhersteller können ein neues Smartphone in sechs Monaten produzieren. Um allerdings eine Ikea-Küche zu entwickeln, braucht es ein halbes Jahrzehnt.

Ein akribischer Entwicklungsprozess und noch andere Marotten haben das schwedische Unternehmen zum größten Möbelhersteller der Welt avancieren lassen. Am Montag hatte Ikea bekanntgegeben, dass seine Kassen auch im vergangenen Geschäftsjahr heftig geklingelt haben. Besonders der Appetit von russischen, chinesischen und amerikanischen Kunden auf die zerlegbaren Möbel und die schicke, aber billige Wohnungseinrichtung ist offenbar gewachsen.

Ikea hat seine Preise in den vergangenen Jahrzehnten ständig reduziert. Auch in diesem Geschäftsjahr, das am 1. September begann, plant man mit einer Reduzierung von einem Prozent. Allerdings wachsen die Umsätze beim weltweit größten Möbelproduzenten nicht so schnell wie früher. Und eine der Herausforderungen, die auf den neuen Firmenchef Peter Agnefjäll wartet, ist, die lange Entwicklungszeit zu verteidigen, die in jedes Ikea-Produkt fließt - wie eben die fünf Jahre bei der jetzt vorgestellten Küche.

Das Unternehmen hat mitgeteilt, dass der Umsatz in den vergangenen zwölf Monaten bis Ende August 38 Milliarden US-Dollar betragen hat, womit der Konzern inzwischen mit Umsätzen von Unternehmen wie Nokia oder Deere & Co. Sales konkurriert. Nichtsdestotrotz ist der Umsatz 2013 lediglich um 3,1 Prozent gewachsen und war somit weit hinter dem 9,5-prozentigen Umsatzanstieg von 2012 zurückgeblieben.

Agnefjälls Unternehmen hat sich lange damit gebrüstet, entgegen den allgemeinen Trends zu agieren. In den vergangenen Jahren beispielsweise hat das Unternehmen Milliarden von Dollar in die Bemühung um Nachhaltigkeit gesteckt. Investitionen, die lange brauchen werden, um sich beim Umsatz bemerkbar zu machen. Während Konkurrenten wie die Sears Holding lukrative Immobilien abgeben mussten, konnte sich Ikea eines der größten Immobilienportfolios der Welt mit wichtigen Beteiligungen auf mehreren Kontinenten aufbauen.

Umsatzverdopplung bis 2020

Eines der eher ungewöhnlichen Elemente, die Agnefjäll verteidigen muss, sind die langen Vorlaufzeiten, die das Produktdesign von Ikea benötigt, und die zu den erwähnten fünf Jahren führen, die die Entwicklung einer einzigen Küche dauert.

"Wir brauchen die fünf Jahre Arbeit, um die Kosten zu drücken und die Funktionalität zu erhöhen", sagte Agnefjäll über die neue Metod-Küche während eines Interviews.

Agnefjäll hatte angekündigt, dass Ikea seine Preise im neuen Geschäftsjahr, das am 1. September begonnen hatte, um ein Prozent senken würde. Das Unternehmen hat über Jahrzehnte hinweg immer wieder seine Preise heruntergeschraubt. Das hartnäckige Ziel, immer billigere Produkte herzustellen, befeuerte vor allem das Wachstum in Schwellenländern wie China und Russland. Die Strategie könnte auch zu einem Dreh- und Angelpunkt für das Erreichen der geplanten Umsatzverdoppelung bis 2020 werden.

Die Metod-Küche ist das geistige Kind eines Designerklüngels, das in der Nähe der Ikea-Zentrale arbeitet. Ziel ist es, ein "demokratisches Design" zu entwickeln und Produkte herzustellen, die in jede Wohnung passen, egal ob in Peking, Madrid oder Topeka.

Das kleine Design-Team, damit beauftragt, die vor Jahrzehnten designte Faktum-Küche zu aktualisieren, musste erst einmal die rigiden Produktstandards für Kosten, Lieferung, Funktionalität, Qualität und Nachhaltigkeit erfüllen, bevor es die neue Küche auf den Markt bringen konnte.

Ikea liefert über eine Million Küchen jedes Jahr aus, 3000 Dollar kosten sie nur je Stück. Während sich der Geschmack bei teuren Anschaffungen wie Autos sehr schnell verändern kann, entwickeln sich die Vorlieben bei der Wohnungseinrichtung im Schneckentempo.

"Wir hängen uns immer noch Gemälde über die Couch und stellen den Fernseher tendenziell in die Ecke des Zimmers", sagte die Kreativ-Chefin von Ikea, Mia Lundström, in einem Interview.

Die Küche wird jedoch immer mehr zum Vorzeigezimmer innerhalb der Wohnungen weltweit. "Wir wollen unsere Töpfe und Pfannen vorzeigen", sagt Lundström. Küchen hätten sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zu den neuen Wohnzimmern gemausert. Sie schätzt, dass 70 Prozent der Käufer inzwischen davon träumen, in ihrer Küche eine Insel der Entspannung einzurichten, einen Ort, an dem Partygäste zusammen sitzen und den Koch bei der Arbeit beobachten können. Wo die Kinder ihre Hausaufgaben machen, und die Familie ihre Mahlzeiten genießt.

Langwierigkeit durch Komplexität

Ikea - bekannt durch sein minimalistisches Design - packt enorm viel Komplexität in eine Küche. Metod besteht aus 1100 verschiedenen Komponenten. Sie allesamt in einem billigen, nachhaltigen und leicht lieferbaren Gesamtpaket zusammenzustellen, hat sich als langwierig herausgestellt.

Wenn man sich zum Beispiel eine Bambusablage für Küchenutensilien und Besteck anschaut, die von einem Team rund um den 49-jährigen kanadischen Designer Gerry Dufrense designt wurde, so hat das Produkt einige Neuauflagen benötigt, bevor es perfekt schien. "Die erste Version besaß einen milden Holzgeruch. Ich liebte ihn", erzählt er. "Aber die Kunden mochten ihn nicht, wie sich in diversen Tests herausstellte. Also mussten wir das Produkt neu auflegen."

Ikea vermeidet es, vorfabrizierte Lösungen von externen Unternehmen einzukaufen. Um die Kosten niedrig zu halten, hat der Konzern sogar ein eigenes LED-Lichtsystem entwickelt, um einen der Küchenschränke beleuchten zu können, erzählt Dufresne.

Berichte von Trendbeobachtern

Um Risiken zu vermeiden, leitet der Forschungsleiter Mikael Ydholm ein Team an, das jährlich tausende von Wohnungen besichtigt und Berichte von Trendbeobachtern zusammenstellt. Sie ermöglichen es dem Unternehmen, bis zu ein Jahrzehnt in die Zukunft zu blicken.

Derart weit vorauszuplanen hat aber durchaus auch seine Tücken. Lundström sagt, dass beispielsweise tiefe Schränke mit Türen ihre Attraktivität beim Käufer verloren haben. Ikea hat deswegen einiges investiert, um die Metod-Küche mit ausziehbaren Küchenschränken ausstatten zu können.

Kostspielig war auch das ausgefeilte Design, das nötig war, um das Niveau der Metod-Schränke im Vergleich zu den Vorläufer-Küchen leicht abzusenken. Dies ermöglichte es zwar, größere Schränke auf derselben Fläche zu bauen. Es machte aber auch eine Kette von 30 Zulieferern, tausenden von Monteuren und Verpackungsgurus sowie die erneute Schulung von zehntausenden von Marketing-Leuten notwendig.

Die Strategie von Ikea heißt, mehr Zeit und Geld zu investieren, um die Zukunft von Küchen und anderen Möbeln mitgestalten zu können. Es bedeutet aber auch, kein Geld dafür ausgeben zu müssen, lediglich zu reagieren, sagt Ydholm. "Wir haben einen so großen Einfluss, dass wir sogar in einem bestimmten Ausmaß bestimmen können, wie die Zukunft aussehen wird".

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