Süddeutsche Zeitung

Probleme mit Modell "Talent":Die Bahn wartet auf den Zug

Schlummernde Talente: Obwohl die Deutsche Bahn dringend 100 neue Nahverkehrszüge braucht, bekommen diese seit Jahren keine Zulassung. Sie stehen einfach nur rum. Schuld sein will niemand.

Daniela Kuhr, Berlin

Als Mitte Dezember 2010 in Nürnberg die neue S-Bahn an den Start ging, war das für die Fahrgäste mit einer Riesenenttäuschung verbunden. Anstatt der 42 versprochenen neuen Züge vom Typ Talent 2 setzte die Deutsche Bahn durchweg alte Wagen ein. "Typisch", wird der ein oder andere gedacht haben. "Typisch Deutsche Bahn!"

Doch in dem Fall ist der Staatskonzern ausnahmsweise mal nicht schuld. Vielmehr wartet die Bahn selbst dringend auf die neuen Züge. Die aber stehen zusammen mit 60 weiteren funkelnagelneuen Talent-2-Zügen seit Monaten auf den Abstellgleisen eines Rangierbahnhofs westlich von Berlin. Grund dafür, dass sie nicht längst in Nürnberg oder auch an der Mosel im Einsatz sind, ist das Eisenbahn-Bundesamt (EBA). Die Behörde verweigert dem Hersteller Bombardier nach wie vor die unbeschränkte Zulassung. Maximal 140 Stundenkilometer will das Amt dem Talent 2 erlauben. Die Bahn hatte aber Züge bestellt, die bis zu 160 Stundenkilometer fahren dürfen. Alles andere würde ihren Fahrplan durcheinander bringen und den Unmut der Fahrgäste nur vergrößern. Daher will sie die Züge erst abnehmen, wenn sie dem entsprechen, was bestellt war.

Und so stehen die "Talente" nun zum Teil schon seit zweieinhalb Jahren - mal in der Sonne, mal im Regen und womöglich bald auch wieder im Schnee - "und werden dadurch sicher nicht besser", wie Bahnmanager es noch freundlich umschreiben. Tatsächlich rechnet die Bahn damit, dass die Züge mittlerweile enorme "Standschäden" erlitten haben. Auf Bombardier ist der Konzern daher alles andere als gut zu sprechen, wie überhaupt auf die Bahnindustrie. Schließlich gab und gibt es auch Probleme mit ICE-Zügen von Siemens und anderen Herstellern. Die Industrie aber - das wurde am Dienstag bei einer Pressekonferenz des Verbands der Bahnindustrie (VDB) deutlich - denkt nicht dran, sich den Schwarzen Peter zuschieben zu lassen.

Eigentlich wollte die Verbandsspitze über den neuen Auftragsrekord sprechen, und dass die Branche weiter optimistisch sei, auch wenn der Staat natürlich viel mehr Geld in die Schiene investieren müsste. Doch die Journalisten interessierte nur eines: die ständigen Probleme mit Zügen.

Dazu befragt, antwortete VDB-Geschäftsführer Axel Schuppe sehr bestimmt: "Überall in der Welt fahren Züge von deutschen Herstellern mit hoher Qualität. Das ist ein Beweis dafür, dass wir es gut können." Aber woran lägen denn die Probleme sonst? Die Gründe seien "vielschichtig", sagte er. Das Hauptproblem aber sieht der Verband in dem schleppenden Zulassungsprozess. "Im Laufe dieses Prozesses tauchen immer wieder neue Bedenken auf oder Normen werden geändert, sodass das EBA ständig weitere Nachweise fordert", sagte Klaus Baur, der nicht nur Präsident des VDB ist, sondern als Deutschland-Chef von Bombardier auch mittendrin in der Talent-2-Misere sitzt. Aus seiner Sicht ist es dringend nötig, dass der Gesetzgeber endlich das "Handbuch Eisenbahn" umsetzt, das die Branche bereits im Mai mit Verkehrsministerium, EBA sowie einigen Bahnunternehmen erarbeitet hat. Darin wurde der gesamte Herstellungsprozess neu gefasst - von der Bestellung der Züge bis zur Inbetriebnahme und darüber hinaus. Beispielsweise könnten dann Normen von dem Moment an, in dem die Zulassung beantragt wird, für sieben Jahre festgeschrieben werden - sodass sich die Zulassung nicht mehr wegen zwischenzeitlich neuer Anforderungen verzögern würde.

"Mit diesen neuen Regeln wäre der Talent 2 längst zugelassen", sagte Baur mit Nachdruck. Doch bislang ist das Handbuch nicht umgesetzt. Und deshalb blieb dem Bombardier-Chef nichts übrig, als - wie so viele Male schon - zu versichern, dass man in engem Kontakt mit dem EBA sei und hoffe, die Zulassung baldmöglichst zu erhalten. Ein Vertreter der Bahn, der ebenfalls anwesend war, schüttelte nur den Kopf. "Das glaub ich erst, wenn es so weit ist."

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Quelle:
SZ vom 12.10.2011/jab
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