Probleme bei Qualifikation und Sprache:Migranten in der Hartz-IV-Falle

Es ist nicht so einfach, wie Thilo Sarrazin es gerne hätte: Menschen mit ausländischen Wurzeln sind zwar häufig von Staatshilfe abhängig - das liegt aber nicht nur an ihnen.

Kristina Läsker und Thomas Öchsner

Für den Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin ist die Sache klar: Ein großer Teil der Migranten, vor allem aus der Türkei, Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten, integriert sich schlecht auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Tatsächlich liegt dies nicht nur an ihnen selbst, erwidern Arbeitsmarktforscher. Sie meinen, dass ausländische Jobsucher oft diskriminiert werden.

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Menschen mit ausländischen Wurzeln beziehen doppelt so häufig Hartz IV wie Deutschstämmige (Archivaufnahme aus dem Arbeitsamt Ludwigsburg).

(Foto: AP)

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will drei Problemgruppen unter den Hartz-IV-Empfängern mehr fördern: Jugendliche unter 25 Jahren, ältere Langzeitarbeitslose und Alleinerziehende. Viele davon sind Menschen mit ausländischen Wurzeln. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen sind 28 Prozent der Bezieher von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) Migranten. Sie und ihre in Deutschland lebenden Nachkommen sind damit doppelt so häufig wie Deutsche von der staatlichen Grundsicherung abhängig.

Besonders schwierig ist die Situation von jungen arbeitslosen Ausländern: "Wenn nichts unternommen wird, besteht die Gefahr, dass die Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund künftig weiter ansteigt", warnt Andreia Tolciu vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI).

Die Arbeitsmarktforscherin hält die jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) für alarmierend: Danach sind bei den ausländischen Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren mit 10,1 Prozent mehr als doppelt so viele ohne Job wie bei denen mit deutscher Herkunft. Bei den 20- bis 25-Jährigen setzt sich dieser Trend fort.

Gründe dafür gibt es viele: Aus der IAQ-Studie geht hervor, dass die Hartz-IV-Empfänger unter den Migranten in Deutschland zu Hause und im Freundeskreis seltener Deutsch sprechen. Dies gilt vor allem für Frauen. "Von Sprachdefiziten am stärksten betroffen sind die aus Mittel- und Osteuropa Stämmigen, dicht gefolgt von der türkischen Herkunftsgruppe", heißt es in der Studie. Mangelnde Deutschkenntnisse sind aber nur eine Ursache für das überdurchschnittlich häufige Abrutschen ins Hartz-IV-System.

Ein türkischer Name als Nachteil

Auch die fehlende Qualifikation, die mangelnde Förderung in den Familien und die versteckte Diskriminierung seien dafür verantwortlich, sagt HWWI-Expertin Tolciu.

So gelingt es Migrantenkindern seltener, eine Lehrstelle zu ergattern oder zu studieren: Laut dem jüngsten Bildungsbericht haben 30 Prozent der unter 30-jährigen Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln überhaupt keinen Berufsabschluss. Doch auch eine

Ausbildung verhilft nicht immer zur ersten Stelle, das zeigt eine Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA). Danach stellen Unternehmen bei gleicher Qualifikation lieber einen "Herrn Müller" als einen "Herrn Öztürk" ein. Das IZA hatte 1000 Bewerbungen auf Praktikumsstellen für Wirtschaftsstudenten verschickt. Das Ergebnis: Bewerber mit türkischen Namen erhielten 14 Prozent weniger positive Antworten als Deutsche. Bei gleicher Qualifikation müssten Jugendliche mit Migrationshintergrund drei- bis viermal so viele Bewerbungen schreiben, bis sie zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden, sagt Tolciu. "Es besteht eine Tendenz, Bewerber mit ausländischem Namen zu diskriminieren."

Außerdem fehlen bislang gesetzliche Regelungen, um ausländische Abschlüsse von gut qualifizierten Akademikern und Fachkräften zu akzeptieren. "Jeder vierte Arbeitslosengeld-II-Bezieher mit Migrationshintergrund hat im Ausland einen Berufs- oder Hochschulabschluss erworben", sagt das Vorstandsmitglied der Bundesagentur, Heinrich Alt. Die Arbeitsagenturen und Jobcenter müssten solche Bewerber stärker darin unterstützen, "ihre im Heimatland erworbenen Abschlüsse adäquat am deutschen Arbeitsmarkt einzusetzen".

Studiert, aber als ungelernt eingestuft

Alt weist darauf hin, dass Migranten besondere Stärken mitbringen, wie "die Kenntnisse einer zweiten Sprache, interkulturelle Kompetenzen und Kontakte in ihre Herkunftsländer". Dies könne sie in Zeiten der Globalisierung zu gefragten Mitarbeitern machen. Tatsächlich ist es laut der IAQ-Studie häufig umgekehrt: Wirtschaftswissenschaftler oder Lehrer mit ausländischen Diplomen werden als ungelernte Arbeitskräfte eingestuft und entsprechend schlecht vermittelt.

Nach Angaben der Hamburger Forscherin Andreia Tolciu werden junge Migranten auch zu Hause häufig zu wenig unterstützt. "Das Problem liegt meistens auch in den Familien, die ihre Kinder nicht genug fördern, weil sie das selbst nicht kennen", sagt sie. Diese Situation verschlimmere sich, wenn die Eltern keinen Job haben. "In einem Umfeld mit langzeitarbeitslosen Familienmitgliedern existiert meist kaum noch Erfahrung, wie und wo man Arbeit bekommt."

Migrantenkinder würden häufig in einem Umfeld aufwachsen, in dem die notwendigen Netzwerke fehlten, um sich überhaupt für bestimmte Berufe bewerben zu können. Es sei auffällig, dass viele dieser Jugendlichen später Berufe mit geringem Lohn wählten, wie Bäcker oder Friseur. "Bestimmte Berufe wie Schiffbauer oder Berufe im öffentlichen Sektor kommen für Jugendliche mit Migrationshintergrund selten in Frage, weil diese in ihrem Umfeld kaum ausgeübt werden."

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