Pro TTIP:Die Hoffnung der anderen

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Containerschiffe im Hamburger Hafen: Freier Warenverkehr = freie Gesellschaft? (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Junge Leute, die sich gegen TTIP engagieren? Kein Problem. Befürworter von TTIP finden sich weniger leicht - aber es gibt sie, auch jenseits der großen Konzerne. Eine Spurensuche im Netz.

Deutsche Journalistenschule, 52. Lehrredaktion

Wir wollen Menschen finden, die sich für TTIP engagieren, vielleicht sogar junge Menschen, die sich politisch engagieren - für Freihandel. Junge Menschen zu finden, die gegen TTIP wettern: kein Problem. Aber dafür? Auf der Suche stoßen wir auf " Pro TTIP", eine Facebook-Seite, auf der sich Befürworter austauschen. Wir schreiben eine Nachricht - und warten auf Antwort. Nach Tagen meldet sich Igor: Er habe Zweifel, zu viele Journalisten berichten kritisch über TTIP. Andererseits, sagt er, sei es wichtig, über die Pro-Argumente zu sprechen.

Igor ist 29, er studiert Wirtschaftswissenschaften und Soziologie in Dortmund. Freihandel, sagt er, sei eines der wichtigsten Ziele liberaler Politik. Er ist davon überzeugt, dass freier Warenverkehr der Grundstein für eine freie Gesellschaft ist. Vor dem Studium machte Igor eine Ausbildung zum Speditionskaufmann.

Während unzählige Seiten im Internet, vor allem auf Facebook, mobilmachen gegen TTIP, gab es bis vor wenigen Monaten keine Seite, auf der sich Befürworter austauschen konnten. Igor wollte das ändern und gründete im April " Pro TTIP" - eine Facebook-Seite, auf der sich Befürworter vernetzen und austauschen können. Wir treffen Igor via Skype. Im Hintergrund, an der Zimmerwand, hängt eine Deutschlandkarte.

Auf Facebook postet Igor Links zu Seiten der EU-Kommission. Den Vorwurf, die Verhandlungen zu TTIP seien intransparent, kann er nicht nachvollziehen: "Man muss wirklich nur die EU-Verhandlungspositionen lesen und dann weiß jeder, woran er ist", sagt er.

Igor, warum engagierst du dich für TTIP?

Igor: Begonnen hat alles mit der Ukraine-Krise. Ich habe gemerkt, dass Linke und Rechte im Antiamerikanismus ein gemeinsames Thema gefunden haben. Deutschland hat ja schon 140 Investitionsschutzverträge mit anderen Staaten, die haben niemanden gestört. TTIP ist ein ähnliches Abkommen.

Da habe ich mir gedacht: Warum gibt es nicht eine einzige Facebook-Seite, die für TTIP ist, die mit Vorurteilen aufräumt? Ich höre oft das beliebte Argument "Freihandel braucht keine Staatsverträge", doch so einfach ist das nicht. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Staat einseitig seine Zölle und Handelsbeschränkungen aufhebt - weil er Nachteile befürchtet. Oft braucht man Staatsverträge, die Handelsbeschränkungen auf beiden Seiten reduzieren.

Gibt es Punkte, die du kritisch siehst?

Igor: Ich kritisiere TTIP, weil es viele Ausnahmen gibt. Der Kulturbereich ist zum Beispiel beinahe vollständig ausgenommen. Ich bin selbst Konzertveranstalter und muss um jeden Gast kämpfen, während staatliche Institutionen Subventionen bekommen. Ihre Existenz wird nicht ständig hinterfragt. Es gibt keinen Liberalisierungsdruck, das stört mich.

Welche Aspekte betreffen dich persönlich?

Igor: Ich würde vom Freihandel profitieren wie jeder andere auch: günstigere Produkte, mehr Produkte. Freihandel ist der Schlüssel zum Wohlstand. Die Handelsbilanz zwischen den USA und Europa, und vor allem Deutschland, ist wirklich immens. Kritiker behaupten, dass mit dem Freihandelsabkommen ein Wirtschaftswachstum von nur 0,5 Prozent generiert würde. In den Dimensionen, von denen wir hier reden, ist das gewaltig.

Bekommst du viel Gegenwind?

Igor: Ich bekomme Spam und Shitstorms - aber ich versuche, locker damit umzugehen.

Verstehst du die TTIP-Gegner?

Igor: Es gibt vernünftige Leute, die sich Sorgen machen um Umweltstandards und dergleichen. Viele Dinge, vor denen Gegner Angst haben, sind für mich positiv. Zum Beispiel der Investitionsschutz: Wenn ich Unternehmer bin und in einem anderen Land eine Fabrik aufbauen möchte, dann muss ich planen können. Und nicht mit der Gefahr leben, enteignet zu werden, weil irgendein Extremist an die Macht kommt.

Igor lässt sich nicht abbringen von seinem Plan. Er will für den Freihandel werben, erklären, warum TTIP sinnvoll ist. Im Juli fand eine Pro-TTIP-Demonstration in Frankfurt statt. Ob er diese organisiert habe, fragen wir Igor. Nein, sagt er. Aber er hat Werbung dafür gemacht.

Organisiert hat die Aktion Alexander, ein 22-jähriger Politikstudent aus Frankfurt. Wir suchen Alexander im Netz und treffen ihn Tage später in seinem Wohnzimmer - wieder per Skype. Von der Decke hängt eine Jugendstillampe, Holztür, weißes Sofa, Alexander kommt gerade aus der Uni. "Über TTIP sprechen? - sehr gerne!", hat er auf unsere Nachricht geantwortet und rutscht aufgeregt auf seinem Schreibtischstuhl umher, während wir mit ihm sprechen.

Alexander, du organisiert Demos für TTIP. Warum?

Alexander: Ich möchte eine liberale Gegenbewegung initiieren. Es geht darum, dass demokratische Staaten im Westen zusammenhalten, gegen autoritäre Staaten wie Russland oder China.

Wie viele Leute kommen zu den Demos?

Alexander: In Berlin waren es zuletzt 300 bis 400, auch in Frankfurt waren es im April ein paar Hundert Menschen, im Juli dann leider nur etwa 50.

Kannst du TTIP-Gegner verstehen?

Alexander: Kommt drauf an. Den Grünen geht es um Umweltschutz, das kann ich verstehen. Bereiche wie Umweltschutz oder Arbeitnehmerrecht dürfen nicht leiden. Aber wenn Radikale gegen Amerika hetzen, dann kann ich das nicht nachvollziehen. So etwas gehört sich nicht.

TTIP ist sehr abstrakt. Wie bist du dazu gekommen, dich dafür zu engagieren?

Alexander: Ich habe mich schon für das Thema interessiert, bevor TTIP überhaupt auf der Agenda stand. Ich beobachte, dass der Westen an Einfluss verliert. Wie kann man das verhindern? Ich habe schon immer geglaubt, dass eine Zollunion zwischen Europa und Amerika die Lösung ist.

Uns ist aufgefallen, dass viele Befürworter von TTIP einen russischen Hintergrund haben. Warum ist das so?

Alexander: Ich komme auch aus Russland. Dort schützt der Staat die Menschen nicht. Im Westen verstehen viele nicht, in welcher Freiheit sie leben. Wir aus dem Osten kennen den Unterschied zwischen einem autoritären Staat und einem demokratischen Rechtsstaat. Und gerade wenn man den Unterschied kennt, fällt es leicht, sich mit Leidenschaft für westliche Werte einzusetzen.

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Westliche Werte? Eine starke Verbindung zu den USA aus Angst vor aufstrebenden Diktaturen im Osten? TTIP ist ein Wirtschaftsabkommen, es soll Handel vereinfachen und die Produktivität steigern. An eine normative, ideologische Komponente, wie sie Alexander vorträgt, haben wir bislang nicht gedacht. Wir wollen von der Europäischen Kommission wissen, wie sie auf die Kritik zu dem geplanten Abkommen reagiert.

Wir verabreden uns mit Lutz Güllner zu einem Skype-Interview in seinem Brüsseler Büro. Güllner arbeitet in der Generaldirektion Handel der EU-Kommission und ist mitverantwortlich für die TTIP-Verhandlungen. Lutz Güllner hat eine "Hammerwoche" vor sich, wie er sagt. Pressekonferenzen, Protestbriefe. Keine leichte Aufgabe, ein Wirtschaftsabkommen zu verhandeln, gegen das sich in beinahe allen Mitgliedsstaaten Protestgruppen formieren. Wir wollen von Güllner wissen, warum wir, die Bürger, TTIP überhaupt brauchen. Wir sind gespannt, ob auch in Brüssel mit westlichen Werten und einer starken Verbindung zu den USA argumentiert wird.

Herr Güllner, werden von TTIP nur Unternehmen profitieren - oder auch die Bürger?

Lutz Güllner: TTIP kommt den Bürgern genauso zugute wie die Handelspolitik in den vergangenen 50 Jahren. Das gilt insbesondere für den Export-Weltmeister Deutschland und seine vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die massiv von erleichterten Rahmenbedingungen profitieren würden. Für die Konsumenten bedeutet das ein größeres Warenangebot, niedrigere Preise und mehr Arbeitsplätze.

Wenn die Bürger von TTIP profitieren würden, wie erklären Sie sich dann die wachsenden Proteste?

Güllner: Es gibt ein Unbehagen gegen ein Projekt, das man vielleicht nicht so ganz versteht, das sehr komplex ist und von dem man mehr wissen möchte. Das kann Ängste schaffen, die nicht immer rational sind. Das andere ist: Viele der Sorgen, die gegen TTIP vorgetragen werden, sind nicht TTIP-spezifisch. Da geht es um Fragen, die mit der Globalisierung zu tun haben. Wie kann man sich in einer globalisierten Welt behaupten und was bedeutet das für mich? Aber da lautet unsere Antwort: TTIP kann durch gemeinsame Regeln und internationale Regelsetzung helfen, die Verwirrung zu lösen.

Also nur ein Kommunikationsproblem?

Güllner: Man müsste sich eigentlich mit allen 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union zusammensetzen und TTIP genau erklären. Das ist sehr schwierig. Deswegen stellen wir viele Informationen ins Netz. Die Bürger können alles nachlesen. Wir versuchen sie so gut wie möglich zu informieren, mit welchen Zielen wir verhandeln, wo die Informationen herkommen, mit wem wir uns treffen.

Trotzdem kritisieren Gegner, dass die Verhandlungen zu TTIP intransparent seien.

Güllner: Da muss man zwei Dinge auseinanderhalten. Natürlich gibt es das Interesse an den Informationen: Über was wird verhandelt? Was passiert in den Verhandlungen und in welche Richtung gehen sie? Hier versuchen wir, so viel wie möglich zu informieren.

Aber es muss auch eine Linie gezogen werden, wenn es um Verhandlungstexte geht. Solche Verhandlungen können nicht in der Öffentlichkeit geführt werden. Weltweit werden in keiner Verhandlung die Verhandlungstexte gezeigt. Das hat mit Taktik und Vertrauensschutz zu tun.

Außerdem stellt sich die Frage nach demokratischer Kontrolle: Wer entscheidet eigentlich über was? Kein Papier wird in die Verhandlungen gehen, ohne dass wir die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament konsultieren. Am Ende muss das Abkommen nach normalen parlamentarischen Regeln ratifiziert werden.

Nehmen Sie in Brüssel die Proteste gegen TTIP zur Kenntnis?

Güllner: Natürlich, wir nehmen das sehr ernst. Wir haben beispielsweise eine Beratergruppe eingesetzt, in der auch TTIP-Gegner sitzen. Jedem Gesuch um ein Treffen geben wir nach, egal von wem. Allerdings möchten wir die Debatte auf Grundlage von Tatsachen führen - und nicht auf Grundlage von Annahmen.

Eine dieser Annahmen ist die Sorge um europäische Standards, die von TTIP untergraben werden könnten. Vielleicht bald eine Tatsache?

Güllner: Nein, da kann ich ganz klar Entwarnung geben. Es geht nicht darum, Standards zu untergraben oder abzuschaffen. Wir werden unsere Schutzstandards behalten. Die Frage ist eher: In welchen Bereichen können wir die Regeln für den Handel vereinfachen, ohne Standards in Frage zu stellen? Wir wollen einen transatlantischen Bürokratie-Abbau. Das wird aber nur da möglich sein, wo wir auch das Gleiche wollen. In den Bereichen, in denen wir sehr unterschiedliche Ansätze haben - und es gibt einige - wird eine gegenseitige Anerkennung nicht funktionieren, das ist klar.

Von einem transatlantischen Bürokratie-Abbau, den Lutz Güllner beschreibt, soll vor allem die Industrie profitieren. TTIP soll den Handel vereinfachen. Die Vorteile für Unternehmen liegen auf der Hand: Geringere Kosten bei gleicher Leistung. Ob die Einsparungen beim Verbraucher ankommen, ist ungewiss.

Während große Unternehmen vor allem fallende Zölle und eine gemeinsame Blinkerfarbe im Blick haben, hegen junge Aktivisten wie Igor oder Alexander eine andere, vielleicht wichtigere Hoffnung: Durch TTIP könnten Europa und die USA nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch näher zusammenrücken. TTIP könnte, so sehen es viele Befürworter, die Antwort auf Zerwürfnisse nach der jüngsten Spähaffäre sein. Ihrer Ansicht nach steht TTIP nicht nur für freien Handel, sondern auch für gemeinsame, freiheitliche Werte.

Linktipp:

  • Das gesamte Projekt zu TTIP findet sich in dieser Ausgabe des Klartext-Magazins der Deutschen Journalistenschule (DJS).
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