Ein Euro mehr pro Kopf: Diesen Betrag hat Deutschland im vergangenen Jahr mehr in seine Schieneninfrastruktur investiert als noch im Vorjahr. Das geht aus einer Auswertung des Lobbyverbands Allianz pro Schiene hervor, der die Zahlen Jahr für Jahr erhebt. Zwar sind das hochgerechnet auf die Bevölkerungszahl immerhin knapp 84 Millionen Euro. Der Verband kritisiert jedoch, dass ein so kleines Plus auf jetzt 115 Euro pro Kopf nicht einmal ausreiche, um die gestiegenen Baukosten auszugleichen. Geschweige denn, um die marode deutsche Schieneninfrastruktur umfassend zu sanieren.
„Wir schieben bei der Sanierung der Schieneninfrastruktur inzwischen eine Bugwelle von 92 Milliarden Euro vor uns her“, sagte Andreas Geißler von Allianz pro Schiene. Je schneller die Bundesregierung diesen Investitionsstau angehe, desto besser.
Immerhin: Der Blick auf die Zahlen zeigt über die Jahre einen merklichen Zuwachs bei den Finanzmitteln für die Schiene. Noch vor zehn Jahren investierte der Bund gerade einmal halb so viel in das Netz wie heute. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) kann für sich verbuchen, so hohe Investitionen in die Schieneninfrastruktur durchgesetzt zu haben wie keiner seiner Vorgänger – und 2024 steigen die Mittel abermals. Das Problem: In der Leistung der Deutschen Bahn spiegelt sich das bislang nicht wider. Die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr, für die Kundenzufriedenheit eine der wichtigsten Kennzahlen, lag im vergangenen Jahr nur noch bei 64 Prozent. 2022 waren es noch 65,2 Prozent.
Das sieht in anderen Ländern besser aus. In der Schweiz etwa kommen 92 Prozent aller Züge im Fernverkehr pünktlich ans Ziel, in Österreich waren es im vergangenen Jahr immerhin 80 Prozent. Das hat diverse Gründe, etwa die niedrigere Komplexität des Systems, die geringere Auslastung des Netzes, den größeren politischen Rückhalt für die Bahn. Es liegt aber auch an dem Geld, das die Länder bereit sind, für ihre Bahn auszugeben: in Österreich 336 Euro, in der Schweiz gar 477 Euro pro Kopf.
Immer wieder heißt es, das deutsche Bahnsystem lasse sich nur bedingt mit jenen der Alpenländer vergleichen, schließlich koste der Erhalt der Infrastruktur dort viel mehr als auf dem flachen Land. Hinzu kommt die Größe: Das deutsche Schienensystem ist mit insgesamt 33 400 Kilometern siebenmal so groß wie das der Schweizer. Mit topografischen Unterschieden allein lassen sich die geringen Investitionen hierzulande jedoch nicht rechtfertigen, schließlich investieren auch Großbritannien, Dänemark oder die Niederlande deutlich mehr pro Kopf als Deutschland.
„Die Entwicklung unserer Pro-Kopf-Zahlen zeigt, dass andere Länder schon deutlich früher damit begonnen haben, die Schieneninvestitionen hochzufahren, und davon bereits heute profitieren“, sagt Maria Leenen von der Beratung SCI Verkehr, die für Allianz pro Schiene die Auswertung erstellt hat. Klar sei aber auch: Der über Jahrzehnte aufgebaute Investitionsstau lasse sich nicht von heute auf morgen auflösen. „Die Verlagerung auf die Schiene gelingt nur über massive Investitionen“, sagt auch der Direktor des Schweizer Bundesamts für Verkehr (BAV), Peter Füglistaler. „Und da haben wir jetzt einfach 20 Jahre Vorsprung.“
Und wie sieht es mit dem Versprechen der Bundesregierung aus dem Koalitionsvertrag aus, „erheblich mehr in die Schiene als in die Straße“ zu investieren?
Das Verhältnis Schiene zu Straße ist mittlerweile leicht zugunsten der Schiene gekippt. Von „erheblich mehr“ Investitionen kann – gerade im Vergleich mit der Schweiz und Österreich – allerdings nicht die Rede sein. Das liegt unter anderem daran, dass auch die Straßeninfrastruktur in Deutschland ziemlich heruntergekommen ist, insbesondere viele Brückenbauwerke. Bis 2032 sollen im Rahmen eines großen Brückenmodernisierungsprogramms etwa 4000 davon umfassend saniert werden. Und zur Wahrheit gehört: Auch das wird teuer.