Süddeutsche Zeitung

Privatversicherte:Doppelt gelackmeiert

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Wer seine private Krankenversicherung wechselt, verliert oft viel Geld. Ausgerechnet ein Privatversicherer stellt sich jetzt gegen den Mainstream in der Branche - und will das ändern.

Von Ilse Schlingensiepen, München

Unzufrieden mit der Krankenkasse? Schlechte Beratung, zu hohe Beiträge, zu viel Bürokratie? Die 73 Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen können einfach reagieren: Sie gehen zu einer anderen Kasse. "Wechseln Sie in nur fünf Minuten", wirbt die Krankenkasse Knappschaft online. "Jetzt zur TK wechseln", heißt es bei der Techniker.

Die 8,8 Millionen Kunden der privaten Krankenversicherer (PKV) können davon nur träumen. Denn meistens verlieren sie beim Wechsel die angesammelten Alterungsrückstellungen, die Zehntausende von Euro betragen können.

Und Wechsler werden oft sogar doppelt bestraft: Weil der Aufbau dieser Rückstellungen für die höheren medizinischen Kosten im Alter vorgeschrieben ist, zahlen Privatversicherte beim neuen Anbieter viel höhere Beiträge. Nur bei Verträgen, die nach dem 1. Januar 2009 abgeschlossen wurden, haben Kunden das Recht, einen Teil des Angesparten mitzunehmen.

Dass die Versicherer so den Wettbewerb um bestehende Kunden behindern, ärgert auch Verbraucherschützer und Politiker. Die Branche spürt Gegenwind in der Frage - und es gibt Bewegung. Hans Olav Herøy, Vorstandsmitglied der privaten HUK-Coburg, verlangt im Interview mit der SZ, dass die Gesellschaften die Alterungsrückstellungen beim Anbieterwechsel mitgeben. Damit stellt er sich gegen die Mehrheit der Manager in seiner Branche.

Es geht um viel Geld. Ende 2017 beliefen sich die Alterungsrückstellungen aller privater Versicherer in Deutschland auf 247 Milliarden Euro. Das Geld gehört ihren Kunden - aber wenn sie den Anbieter wechseln, ist es in den meisten Fällen für sie verloren. Die Summen verbleiben bei den übrigen Versicherten des Tarifkollektivs.

Die privaten Krankenversicherer sollten rasch ein tragfähiges Modell zur Mitgabe entwickeln, empfiehlt Herøy. Versicherungsmathematisch möglich wäre das, betont Herøy, der selbst Mathematiker ist. "Wenn jemand mit seinem Versicherer unzufrieden ist, muss er wechseln können." Dabei muss aber eine Voraussetzung erfüllt sein: "Der Wechsel darf weder das Kollektiv noch den Versicherten schädigen."

Problematisch sind Lösungen für Versicherte, die sehr krank sind und trotzdem wechseln. "Für solche Fälle könnte es ein branchenweites Ausgleichsverfahren geben", schlägt er vor. Außerdem müssten die Experten berücksichtigen, wie sie damit umgehen, wenn Menschen bereits Erkrankungen vor Abschluss der Versicherung haben.

Viele Gesellschaften haben Angst, dass ein Modell für die Mitgabe der Alterungsrückstellungen den Versicherungswechsel anfeuern könnte. Das hält Herøy für unbegründet. Denn für nach 2009 abgeschlossene neue Verträge hat der Gesetzgeber beim Wechsel bereits die Mitgabe der Alterungsrückstellung in Höhe eines Einfachtarifs vorgeschrieben, des Basistarifs. "Diese Portabilität hat die Anzahl der PKV-Wechsler nicht explodieren lassen, im Gegenteil."

Seit 2011 sinkt die Zahl der PKV-Kunden mit Vollversicherung stetig, von damals knapp 9 Millionen auf jetzt 8,8. Wenn die PKV sich bei der Mitgabe einigt, könnten die Berliner Parteien bereit sein, auf einem anderen Feld entgegenzukommen, hofft Herøy: Sie könnten den Kreis der Menschen, die sich privat krankenversichern dürfen, durch eine deutliche Absenkung der Versicherungspflichtgrenze erweitern.

Diese Grenze liegt in diesem Jahr bei 60 750 Euro. Wer als Angestellter weniger verdient, muss sich bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichern, wer darüber liegt, darf zur PKV wechseln. Die Bundesregierung hat den Wert in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht und damit den Kreis potenzieller PKV-Kunden reduziert. Beamte und Selbstständige haben unabhängig vom Einkommen Zugang zur PKV.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2019
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