Als der Mailänder Finanzkonzern Unicredit am 11. September dieses Jahres bekanntgab, dass er der Bundesregierung Commerzbank-Aktien im Volumen von 4,5 Prozent abgekauft habe und damit bereits neun Prozent an dem Frankfurter Geldhaus halte, war eine der beteiligten Parteien nach eigenem Bekunden bass erstaunt: die Bundesregierung. Es sei gar nicht beabsichtigt gewesen, das gesamte Paket an einen einzigen Investor zu veräußern, hieß es im Anschluss in Regierungskreisen, vielmehr habe man die Papiere eigentlich breit streuen wollen. Auch habe es im Vorfeld keine Gespräche mit Unicredit-Vertretern gegeben, aus denen man hätte schließen müssen, dass die Italiener Interesse an einem Kauf der Commerzbank hätten. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach schließlich von einer „unfreundlichen Attacke“, dem Versuch einer „feindlichen Übernahme“ und einem „nicht angemessenen Vorgehen“.
Bis heute will im Kanzleramt oder im Finanzministerium niemand etwas gewusst haben, auch haben beide Häuser immer noch keine schlüssige Erklärung dafür geliefert, wie es passieren konnte, dass die Auktion so lief, wie sie lief. Dabei zeigt sich nun, dass Vertreter der Regierung vor dem Anteilsverkauf am Abend des 10. September mehrmals Kontakt zu ranghohen Mitarbeitern des italienischen Konzerns hatten. Das geht aus einem Schreiben von Finanzstaatssekretär Florian Toncar an den CDU-Bundestagsabgeordneten Matthias Hauer hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach führten unter anderem Toncar selbst sowie Scholz‘ Wirtschaftsberater Jörg Kukies Gespräche mit Unicredit-Vertretern. Direkte Kontakte mit Scholz oder Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind dagegen nicht vermerkt.
Hauer hatte die Regierung aufgefordert offenzulegen, „welche Gespräche, Telefonate, Treffen, schriftliche Korrespondenzen und/oder anderweitige Kommunikation“ es von führenden Mitgliedern der amtierenden Bundesregierung mit Unicredit-Mitarbeitern bisher gegeben habe. Er bat zudem darum, die letzten sieben Kommunikationsformate nach Zeitpunkt, Beteiligten und Inhalten aufzuschlüsseln.
Toncar telefonierte mit der Deutschland-Chefin von Unicredit
Fragen wirft dabei vor allem ein Telefonat auf, das Toncar am Auktionstag, dem 10. September um 20.13 Uhr mit der Deutschland-Chefin von Unicredit, Marion Höllinger, führte. Dabei sei es darum gegangen, Informationen über die „bestehende Beteiligung der Unicredit an der Commerzbank“ zu erhalten, heißt es im Antwortschreiben der Regierung, das Toncar unterzeichnet hat. Noch am selben Abend veräußerte der Bund dann das 4,5-Prozent-Paket an Unicredit, weil der Konzern nach Darstellung der Regierung in der Auktion das höchste Angebot abgegeben hatte. Ob Toncar versuchte, den Verkauf zu stoppen und warum er seinen Staatssekretärskollegen Kukies erst Stunden später über die Unicredit-Offensive unterrichtete, ist hingegen weiter unklar. Mittlerweile kontrollieren die Mailänder über Finanzinstrumente weitere Commerzbank-Anteile und streben eine Übernahme an.
Toncar hatte bereits am 4. September 2024 mit Höllinger telefoniert. Dieses Gespräch war allerdings schon bekannt, Höllinger soll darin versucht haben zu eruieren, wie sich die Regierung den weiteren Privatisierungsprozess bei der Commerzbank vorstellt. Der Staatssekretär soll die Managerin jedoch an die Finanzagentur des Bundes verwiesen haben, die für die technische Umsetzung von Aktienverkäufen verantwortlich ist. Der Bund hatte sich im Jahr 2008 an der Commerzbank beteiligt, nachdem das Institut im Zuge der Weltfinanzkrise in Schwierigkeiten geraten war.
CDU wirft der Bundesregierung Dilettantismus beim Verkauf vor
Staatssekretär Kukies, früherer Investmentbanker und seit Jahren Scholz‘ wichtigster Wirtschaftsberater, traf dem Schreiben des Finanzministeriums an Hauer zufolge Mitte Mai am Rande einer Konferenz in Paris den Unicredit-Verwaltungsratspräsidenten Pier Carlo Padoan. Regierungskontakte – allerdings eher zu volkswirtschaftlichen Themen – gab es auch zu Unicredit-Chefvolkswirt Erik Nielsen. Seine Gesprächspartner waren den Angaben zufolge Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) und Außenamtsstaatssekretär Thomas Bagger. Kukies wiederum nahm am 28. und 29. Juni dieses Jahres an einer Konferenz teil, bei der auch Unicredit-Chef Andrea Orcel zugegen war. Es fand jedoch, so heißt es in Toncars Schreiben, „kein bilaterales Gespräch statt“.
Hauer sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Übersicht zeige, dass es einen „regen Austausch“ zwischen der Bundesregierung und Unicredit gegeben habe. „Dass die Bundesregierung die Commerzbank trotz jahrelanger Vorbereitungen des Verkaufs der Bundesanteile und im Wissen über ein Interesse der Unicredit leichtfertig einer möglichen feindlichen Übernahme ausgeliefert hat, wirft viele weitere Fragen auf und kein gutes Licht auf das Agieren der Bundesregierung“, erklärte der CDU-Finanzpolitiker. Es müsse aufgeklärt werden, warum beim Verkauf der Aktien ein strategischer Investor zum Zug gekommen sei, obwohl man eine breite Streuung angestrebt habe. „Die Commerzbank“, so Hauer, „war mit ihrer Strategie bislang auf einem guten Weg – bis die Bundesregierung einen Verkaufsprozess gestartet hat, der ihr völlig entglitten ist.“