Privatisierung der Bahn:Kabinett entscheidet über Zukunft der Bahn

An diesem Dienstag will das Bundeskabinett die Weichen für Deutschlands letztes großes Staatsunternehmen stellen - in Richtung Börse. Dafür war ein Kunstgriff zum Schienennetz notwendig, dessen Bestand fraglich ist.

Michael Bauchmüller

Wenn Hartmut Mehdorn über Transport redet, hat er einiges zu erzählen. Klar, von 1,9 Milliarden Menschen, die 2006 in seinen Zügen unterwegs waren. Von Containern, die per Schiff in Hamburg ankommen und dann per Lkw weiterreisen. Von Waren, die mit dem Flugzeug von China in die USA kommen und umgekehrt. Von Güterzügen, die von Deutschland nach China verkehren sollen, irgendwann. Alles organisiert von einem Staatskonzern: der Deutschen Bahn, Mehdorns Konzern.

An diesem Dienstag will das Bundeskabinett die Weichen für Deutschlands letztes großes Staatsunternehmen stellen - in Richtung Börse. Ein neues Gesetz soll erstmals Privaten den Einstieg in die Bahn erlauben, ohne gleichzeitig dem Bund allen Einfluss auf das 34.000 Kilometer lange Schienennetz zu nehmen, in das er seit Jahrzehnten Milliarde um Milliarde steckt.

Unikum

Das "Gesetz zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes" ist ein Unikum, noch weit verwinkelter als sein Name. Deutschlands Schieneninfrastruktur, also Gleise, Bahnhöfe und Stromleitungen, sollen darin gleichzeitig Eigentum des Bundes bleiben und in das Eigentum der Bahn übergehen.

Der Verkauf soll nicht nur ein paar Milliarden in öffentliche Kassen spülen - der Bund will auch zumindest einen Teil der Verantwortung für die Schiene loswerden.

Das Gesetz ist Ergebnis einer ausufernden Debatte. Monatelang hatten sich Bund, Bahn und Parlamentarier über das Ob und Wie der Privatisierung gestritten. Die Gräben liefen quer durch die Parteien, quer durch die Koalition. Darf der Bund überhaupt die Bahn privatisieren? Und wenn ja: Darf er sich von seinem Schienennetz trennen? Wäre es möglicherweise sinnvoll, die Bahn in Einzelteilen zu verkaufen? Also etwa das boomende Logistikgeschäft mit Speditionen, Schiffen, Flugzeugen getrennt vom Rest?

Gräben überbrücken

Mit dem Kunstgriff der "Sicherungsübertragung" will das Kabinett die Gräben überbrücken. Liegt bisher die Infrastruktur komplett bei der 100-prozentigen Staatstochter Deutsche Bahn, soll sie im nächsten Jahr an den Bund zurückfallen. Allerdings nur virtuell: De facto tritt der Bund das Netz an die Bahn ab, an der er irgendwann nur noch 51 Prozent halten wird. Er behält nur eine Sicherheit über das Netz, bleibt also juristischer Eigentümer.

Die Bahn aber darf 15 Jahre lang die Infrastruktur so behandeln als wäre sie die Eigentümerin, sie darf das Schienennetz sogar in der Bilanz führen. Harte Kontrollen und Vereinbarungen über die Pflege des Netzes sollen verhindern, dass die Bahn ihre Macht missbraucht. Bis zu 2,5 Milliarden Euro im Jahr will der Bund in die Pflege "seiner" Schienen stecken.

"Absurde Fehlkonstruktion"

Es gibt nur ein Problem: Jenseits von Bundesregierung und Bahn findet das Vorhaben kaum Freunde. "Dieser Gesetzentwurf ist eine absurde Fehlkonstruktion", wettert FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich, der sich in dieser Frage in einer seltenen Koalition mit Grünen und Linkspartei wiederfindet.

Lesen Sie auf Seite zwei, warum der Verkauf der Bahn noch ein unangenehmes Ende nehmen könnte

Kabinett entscheidet über Zukunft der Bahn

Auch bei den SPD-Linken und in Landesverbänden wächst der Widerstand gegen den Börsengang. Hessens Unions-Wirtschaftsminister Alois Rhiel sieht "grundsätzliche Mängel im Gesetz" und fordert: "Im Zweifelsfall sollte die Bahn erst in der nächsten Legislaturperiode privatisiert werden."

Ein halbes dutzend Bundesländer hat sich ähnlich geäußert, die Industrieverbände BDI und DIHK tragen ebenso Bedenken wie Verbraucherschützer.

Auf die Börse getrimmt

Für die Bahn-Spitze wäre jede Verzögerung eine mittlere Katastrophe: Seit Monaten trimmt sie Personal und interne Abläufe auf die Börse. Hat das Gesetz alle formalen Hürden genommen, soll nichts mehr die Bahn aufhalten, am liebsten wäre Mehdorn ein Börsengang im Frühjahr 2008.

Dann soll der global player Bahn endgültig die Tradition von Bundesbahn und Reichsbahn abgelegt haben. Als wahrscheinlichste Variante gilt der Verkauf größerer Tranchen an Großinvestoren. Glaubt man den Herren des Berliner Bahntowers, geben die Interessenten sich in der Konzernzentrale schon jetzt die Klinke in die Hand.

Klippen gibt es allerdings immer noch reichlich. Nach wie vor können die Bundesländer das Vorhaben stoppen. Sie fürchten um den Wettbewerb im Regionalverkehr, aber auch um den Zustand von Nebenstrecken, die der Börsenbahn vielleicht weniger wichtig sind.

Juristisch leicht aus der Balance zu bringen

Spannend wird auch sein, ob die Abweichler in Union und SPD bei der entscheidenden Bundestagsabstimmung mit Nein stimmen. Und ganz heikel könnte es vor Gericht werden. Denn der Kompromiss lässt sich juristisch leicht aus der Balance bringen. Entweder verstößt er gegen das Grundgesetz, das dem Bund die Hoheit über die Schienen gebietet. Oder aber, das Bahngesetz ist verfassungskonform, lässt sich aber nicht mit dem Bilanzrecht vereinbaren - das nämlich gebietet dem Resteigentümer Bund mehr Zurückhaltung, als ihm recht ist.

So oder so könnte der Verkauf ein unangenehmes Ende nehmen: Läuft die 15-Jahres-Frist ab, muss der Bund nämlich noch einmal in die Tasche greifen - und der Bahn "ihr" Netz abkaufen. Und das, so bemängeln Kritiker der Regierungspläne, könne dann locker fünf bis acht Milliarden Euro kosten. Behielten sie recht, wäre die Groteske perfekt: Ähnlich hoch schätzten Gutachter den Verkaufserlös.

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