Süddeutsche Zeitung

Privatinsolvenz:Abhauen und Tee trinken

Lesezeit: 3 min

Wer in Deutschland in die Privatinsolvenz geht, muss sechs Jahre lang darben, in Großbritannien dagegen nur ein Jahr. Viele Bundesbürger nutzen das aus.

Alina Fichtner

Auf den ersten Blick lebt Peter Fürstenfeld ein ganz normales Leben. Er arbeitet selbständig als Unternehmensberater, spielt zweimal pro Woche im Posaunenchor und hält gerne mal ein Schwätzchen mit den Nachbarn.

Nichts weist darauf hin, dass Fürstenfeld nicht ganz freiwillig in dem kleinen Dörfchen südlich von London wohnt, "23 Kilometer von der Londoner Tower Bridge entfernt", wie er sagt. Nur manchmal seufzt er tief und sagt, lieber wäre er zu Hause geblieben, bei den sieben Rheinbrücken und der schönen Uferpromenade in Düsseldorf. Aber dort hatte er Angst bekommen. Denn zuletzt waren seine Schulden auf knapp eine Million Euro angewachsenen. Deswegen will er seinen echten Namen auch nicht in der Zeitung lesen.

"Ich konnte nichts dafür", sagt Fürstenfeld und windet sich ein bisschen. Plötzlich habe ihm die Bank den Kreditvertrag gekündigt, "einfach so". Er besaß zu der Zeit ein mittelständisches Unternehmen und hatte ein paar Dutzend Angestellte. "Alles war gut damals", sagt er. Und dann das: Fürstenfeld konnte die Lieferanten nicht mehr entlohnen, nichts mehr einkaufen, saß auf dem Trockenen. Denn das Geld seiner Kunden floss weiter an die Bank, ein spezieller Vertrag wollte es so.

Für alle Kredite privat unterschrieben

Fürstenfeld stürzte in ein Finanzierungsloch, das sich immer weiter ausdehnte. Das Schlimmste: Für alle Kredite hatte er privat unterschrieben. "Bald sollte es mir persönlich an den Kragen gehen", sagt er, und das mindestens sechs Jahre lang.

Denn so lange dauert die Entschuldungsphase bei jemandem, der sich in Deutschland privatinsolvent gemeldet hat. Bei einem also, der so stark überschuldet ist, dass seine Gläubiger sich mit einer außergerichtlichen Einigung nicht zufrieden geben.

Im Krisenjahr 2009 wird die Zahl solcher Privatinsolvenzen ansteigen, schätzen Experten (Grafik). Es wird also einige weitere Peter Fürstenfelds geben.

Bei ihm stellte das Gericht fest, dass er seine Schulden weder mit dem, was er verdient, noch mit dem, was er erspart oder geerbt hat, in absehbarer Zeit zurückzahlen kann. Sechs Jahre lang muss so einer dann sein Einkommen bis zu einer bestimmten Grenze - dem Pfändungsfreibetrag - an die Gläubiger abtreten.

Mobiltelefon nur mit Prepaidkarte

Sechs Jahre lang darf er ein Girokonto nur auf Guthabenbasis führen und ein Mobiltelefon nur mit Prepaidkarte benutzen. Davor hatte Fürstenfeld Angst. Erst nach dieser Phase wird der Privatinsolvente im Regelfall von seinen restlichen Schulden befreit und kann ein neues Leben beginnen. So ist das in Deutschland und auch in England, nur: In England dauert das Ganze lediglich ein Jahr, keine sechs. Deswegen lebt Peter Fürstenfeld jetzt südlich von London.

Im Jahr 2000 hatte die EU beschlossen, dass ihre Bürger EU-weit dort Privatinsolvenz anmelden dürfen, wo sie hauptsächlich leben; mindestens ein halbes Jahr müssen sie dort gemeldet sein.

Nicht lange, nachdem die EU-Verordnung in Kraft trat, entstand ein undurchsichtiger Dschungel aus teils dubiosen Internetangeboten, die Hochverschuldeten Wohnung, Konto und Sozialversicherung in England besorgen.

Marcus Kray, Chef der Insolvenz Agentur, hat das für Fürstenfeld erledigt. Er hat an die 200 Kunden pro Jahr - und rechnet mit einem starken Anstieg durch die Finanzkrise spätestens ab Herbst.

Beträchtliche Schuldensumme

Bei Kray melden sich vor allem Ärzte und Unternehmer, die etwa 50 Jahre alt sind: "Nach der Entschuldungsphase in Deutschland stünden die kurz vor der Rente und kämen nie mehr auf die Beine", sagt er.

Doch eine Privatinsolvenz im Ausland muss man sich erstmal leisten können: "Wegen der Kosten lohnt sich das erst bei mindestens 100.000 Euro Schulden", sagt Kray. Und daher sind es zwar nicht viele, die ihre Privatinsolvenz im Ausland beantragen - Experten schätzen den Anteil auf ein Zehntel - aber deren Schuldensumme dürfte beträchtlich sein.

"Der Schuldentourismus spaltet die Gruppe der Privatinsolventen in zwei Klassen", sagt Guido Stefan, Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung und Insolvenzrichter in Darmstadt, "aber rechtlich ist es legitim."

Als die EU die Flucht der Privatinsolventen erlaubte, waren die meisten von ihnen in Frankreich gelandet; vorzugsweise im Elsass, unweit der deutschen Grenze. Viele von ihnen lebten sogar weiter in Deutschland. Aber die französischen Gerichte kamen ihnen auf die Schliche: Wer laut Stromrechnung den französischen Wohnsitz im Winter nicht beheizt hatte, hatte auch kein Recht auf Privatinsolvenz in Frankreich.

"Die englischen Richter sind da entspannter", sagt Insolvenzberater Kray. "Solange nicht gerade 50 Insolvente unter einer Adresse gemeldet sind."

Wieder eine Firma gründen

Auch Insolvenzrichter Stefan scheint denjenigen nicht böse sein zu können, die seine britischen Kollegen vorziehen: "Sechs Jahre Entschuldungsphase - das ist einfach zu lang", sagt er. Deutschland müsse sich da an die EU-Nachbarn anpassen. Aber die Einstellung hierzulande sei: "Wer Schulden hat, hat Schuld auf sich geladen - und muss bestraft werden. Sechs harte Jahre lang", so Stefan.

Genau andersherum sei es in England: Da soll, wer viel riskiert, möglichst schnell wieder auf die Beine kommen, um möglichst schnell wieder am Wirtschaftsprozess teilzunehmen. Genau das will auch Fürstenfeld. Zurück in Deutschland will er wieder eine Firma gründen. Und am Rheinufer spazieren gehen.

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SZ vom 11.08.2009/pak
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