Süddeutsche Zeitung

Private Krankenversicherung:Millionen Kunden müssen mehr bezahlen

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Die privaten Krankenversicherer erhöhen die Preise für 2022 im Schnitt um 4,1 Prozent. Das ist weniger als der Schock-Anstieg von 8,1 Prozent für 2021, aber immer noch mehr als der Durchschnitt der vergangenen Jahre.

Von Ilse Schlingensiepen, Köln

Die privaten Krankenversicherer (PKV) werden die Beiträge Anfang kommenden Jahres für ihre 8,7 Millionen vollversicherten Kunden im Schnitt um 4,1 Prozent anheben. Das hat der PKV-Verband errechnet. Manche Versicherte wird es gar nicht treffen, bei anderen werden die Anpassungen aber deutlich heftiger ausfallen.

Der Beitragsanstieg hat sich damit abgeflacht: Vor einem Jahr waren es 8,1 Prozent. Die 4,1 Prozent sind aber immer noch deutlich höher als der langjährige Durchschnitt, der bei 2,6 Prozent liegt. Dabei spielt die Corona-Pandemie keine Rolle: Sie hat die PKV eher entlastet, weil weniger Behandlungen anfielen. Auf der anderen Seite haben die Gesellschaften Sonderzahlungen an Ärzte und Kliniken geleistet.

Im November und Dezember eines jeden Jahres gibt es immer wieder Debatten über die Erhöhungen in der PKV. Denn in diesen Wochen teilen die Gesellschaft ihren Kunden mit, welchen Beitrag sie im kommenden Jahr zahlen müssen. Dabei gibt es auch Tarife, in denen die Versicherten mit heftigen Erhöhungen konfrontiert werden, zweistellige Anpassungen sind nicht selten. Das löst Reaktionen bei Kunden, Verbraucherschützern und Politikern aus.

Eine Versicherung für Beamte, Selbständige und Angestellte mit höherem Einkommen

Die PKV ist umstritten: In ihr dürfen sich nur Beamte, Selbständige und Angestellte mit höheren Einkommen versichern. 73,4 Millionen Einwohner sind daher Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse (GKV). Privatpatienten haben es in der Regel leichter, Termine bei Fachärzten zu bekommen. Viele haben Chefarztbehandlung und Einzelzimmer im Krankenhaus mit versichert. Andererseits beschweren sich ältere PKV-Versicherte immer wieder über zu hohe Beiträge.

Die angebliche Privilegierung der PKV-Versicherten ist längst ein politisches Thema geworden. SPD und Grüne sind wie die Linke eigentlich für eine Bürgerversicherung, mit der die Unterschiede zwischen GKV und PKV weitgehend abgeschafft würden. Doch haben die drei Parteien, die aktuell über die Ampel-Koalition verhandeln, das Thema bereits zu den Akten gelegt: PKV und GKV bleiben erhalten. Dafür hat die FDP gesorgt.

Das "Hamburger Modell"

Allerdings könnte der Bund unter der neuen Regierung es seinen Beamten leichter machen, in einer gesetzlichen Krankenkasse zu bleiben: Dann müsste er den Beamten in der GKV einen Zuschuss zahlen, wie er das mit der Beihilfe für PKV-Versicherte tut. Bislang zahlen nur Hamburg und einzelne andere Bundesländer für neue Beamte auch in der GKV einen Zuschuss, der Bund nicht. Die Akzeptanz des "Hamburger Modells" in den Ländern ist gering.

Um den PKV-Kritikern bei den Preiserhöhungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat das verbandseigene Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) erneut einen Vergleich der Beitragsentwicklung in GKV und der PKV veröffentlicht. Danach stehen die Privaten im langjährigen Vergleich momentan besser da.

Alter und individuelles Risiko statt Gehalt

In der aktuellen Kurzanalyse verweisen die WIP-Autoren Lewe Bahnsen und Frank Wild auf die unterschiedlichen Mechanismen der Beitragsfindung in GKV und PKV. Während in der GKV der Beitrag vom Gehalt des Versicherten abhängt, sind in der PKV das Alter und das individuelle Risiko entscheidend.

In der GKV steigen die Beiträge, wenn das Einkommen höher ist, zumindest bis zur sogenannten Beitragsbemessungsgrenze von zurzeit 58 050 Euro im Jahr. Sie bleibt 2022 unverändert. Ab dieser Grenze ändert sich der Beitrag in der Regel nicht mehr, es sei denn, der allgemeine Beitragssatz oder der Zusatzbeitrag der jeweiligen Krankenkasse werden geändert.

In der PKV gibt es dagegen feste Mechanismen für die Prämienanpassungen. Sie sind nur dann möglich, wenn die sogenannten auslösenden Faktoren greifen. Damit werden Änderungen in der Sterblichkeit oder - viel entscheidender - bei den Leistungsausgaben der Versicherer bezeichnet. Erst wenn sie je nach Vertrag um fünf oder zehn Prozent in die Höhe gehen, können und müssen die Versicherer die Prämien anpassen. Dann müssen sie aber auch gleichzeitig alle anderen Faktoren berücksichtigen, die Einfluss auf die Prämienhöhe haben. Das sind zurzeit vor allem die Niedrigzinsen. Alles zusammen kann für heftige Ausschläge sorgen.

Die PKV-Branche setzt sich seit Langem für andere Regeln ein, die eine regelmäßigere, aber dafür moderatere Anpassung ermöglichen würden. Damit ist sie bislang aber bei der Politik, vor allem der SPD, auf taube Ohren gestoßen. Das dürfte sich in der kommenden Legislaturperiode kaum ändern. Den Erfolg, dass die Ampel-Koalition nicht am System rütteln will, zahlt die PKV damit, dass sie auch keine politische Unterstützung erhält, wenn sie sie braucht.

Kern der WIP-Analyse ist der Vergleich der Prämienentwicklung in der GKV und der PKV im Zeitraum 2012 bis 2022. In dem Zehnjahresvergleich sind nach den Berechnungen des Instituts die Prämieneinnahmen je Vollversicherten in der PKV um 29,7 Prozent gestiegen, in der GKV um 37,8 Prozent. "Damit nahm die Belastung der PKV-Versicherten im betrachteten Zeitraum in geringerem Maße zu als in der GKV", schreiben Bahnsen und Wild. Die durchschnittliche jährliche Steigerung beziffern sie mit 2,6 Prozent in der PKV und 3,3 Prozent in der GKV.

Die Analyse zeigt aber auch, dass sich der Langfristvergleich in den kommenden Jahren zugunsten der GKV verschieben könnte. Denn in den Jahren 2021 und 2022 liegt der Pro-Kopf-Anstieg bei den Beitragseinnahmen in der GKV demnach bei drei Prozent und zwei Prozent. Dem stehen die 8,1 Prozent und die 4,1 Prozent in der PKV gegenüber.

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