Süddeutsche Zeitung

Privatanleger:Der Zocker-Kapitän

Dave Portnoy ist Gründer des erfolgreichen Sportwetten-Portals Barstool Sports. Mangels Live-Sports hat er begonnen, mit Aktien zu handeln - und versammelt eine große Anhängerschaft hinter sich.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Um zu verstehen, wie durchgeknallt das alles ist, sollte man wissen, dass Dave Portnoy am vergangenen Freitag seine linke Hand in ein kleines rotes Säckchen gestreckt hat. Darin waren Steine des Brettspiels Scrabble. Portnoy stellte sich beim Herausziehen recht tölpelhaft an: "Das ist viel schwieriger, als ich dachte", beschwerte er sich unter Zuhilfenahme einiger Schimpfwörter - doch letztlich schaffte er es, drei Steine mit Buchstaben darauf heraus zu ziehen: R, T und X.

"Was haben wir da?", fragte er und fand heraus, dass die Kombination "RTX" das Börsenkürzel für die Raumfahrtfirma Raytheon Technologies ist: "Also dann, auf geht's!" Er kaufte Aktien im Wert von 200 000 Dollar, ohne jemals von diesem Unternehmen gehört zu haben. "Mein Gehirn ist derart entwickelt, dass es Aktien kauft, die ich will - bevor ich weiß, dass sie existieren", scherzte er in Anspielung auf Börsenguru Warren Buffet, dessen Mantra es ist, ausschließlich in Unternehmen zu investieren, von denen er etwas versteht. "Ich bin sicher, dass Buffett ein netter Kerl ist, aber wenn es um Aktien geht, ist er erledigt. Ich bin jetzt der Kapitän", sagte Portnoy - und kaufte wegen des Kapitän-Wortspiels gleich noch Anteile an der Firma mit dem Kürzel Ship (der griechische Cargo-Schiff-Konzern Seanergy Maritime Corp). Ja, es ist wirklich so verrückt, wie sich das hier liest.

Portnoy testet seit vier Jahren jeden Wochentag eine Pizza in New York

Portnoy hält Anlageberater für Nieten in Nadelstreifen, und er ist stolz darauf, so ziemlich das Gegenteil davon zu sein. Er ist Gründer des Portals Barstool Sports, auf dem es um Themen geht, über die Leute beim Feierabendbierchen debattieren. Das kann Futter sein: Portnoy hat sich in den Kopf gesetzt, jede einzelne Pizza in New York City zu testen, er veröffentlicht seit 2016 jeden Wochentag ein neues Video. Meistens aber geht es um Sport und dabei vor allem um die bei den Amerikanern so beliebten Wetten. 13 Milliarden Dollar befinden sich auf legalen Wettkonten in den Vereinigten Staaten, vorsichtigen Schätzungen zufolge dürfte es insgesamt ungefähr zehn Mal so viel sein.

Was macht einer, der wegen der Coronavirus-Pandemie nicht wetten kann, weil es keinen Live-Sport gibt? Er eröffnet ein Konto auf einer Online-Trading-Plattform wie Robinhood und beginnt, mit Aktien zu handeln. Mittlerweile hat Portnoy fünf Millionen Dollar einbezahlt, und die Reichweite seines Portals (mehr als 66 Millionen Nutzer im Monat, dazu mehr als 2,4 Millionen Abonnenten bei Twitter) hat dafür gesorgt, dass zahlreiche andere Sport-Zocker zu so genannten "Day Tradern" geworden sind. Alleine in diesem Jahr haben sich mehr als drei Millionen Leute bei Robinhood angemeldet, das Portal hat nun mehr als 13 Millionen Kunden.

Man sollte nicht den Fehler machen, Portnoy zu unterschätzen - auch wenn er daherkommt wie einer, der sich im Alter von 43 Jahren an der Bar eines Studentenwohnheims wohler fühlt als beim Geschäftsessen im Restaurant. Er hat im Januar 36 Prozent seiner Firma an den Casino-Konzern Penn National Gaming verkauft, Barstool Sports wird seitdem mit 450 Millionen Dollar bewertet, das Privatvermögen von Portnoy auf 100 Millionen Dollar geschätzt. Er kann sich die Zockerei leisten.

Die Kern-Zuschauer von Barstool Sports, die so genannten "Stoolies", mögen Sportfans sein - sie sind aber keine Hasardeure. Der Erfolg der Plattform lässt sich zum einem mit dem Gespür für popkulturelle Phänomene erklären. Derzeit liefert sich Portnoy ein virtuelles Wortgefecht mit Tom Brady, dem nach allgemeinem Dafürhalten besten Quarterback der Geschichte. Aber eben auch damit, dass die Gespräche über Sportwetten und Fantasy Sports (eine Art Tippspiel, vergleichbar mit dem deutschen Bundesliga-Spiel Comunio) überaus fundiert sind und hilfreiche Tipps für die eigene Zockerei beinhalten.

Portnoy trifft damit den Nerv zahlreicher junger Leute (das Durchschnittsalter der "Stoolies" ist 31 Jahre), die lieber Statistiken ihrer Lieblings-Footballspieler wälzen oder analysieren, ob die Basketballmannschaft ihrer Universität mit mehr als sechs Punkten Vorsprung siegen wird, als Quartalszahlen von börsennotierten Unternehmen zu studieren. Es sind also keine wilden Zocker, die aus einer Laune heraus auf ihren Lieblingsverein wetten, sondern wohlinformierte Experten. Da muss die naive Frage erlaubt sein: Wo genau liegt der Unterschied, ob einer zu Beginn einer Saison auf den Champions-League-Sieg des FC Bayern wettet oder darauf, dass der Wert des Elektroautobauers Tesla steigen wird? Seine Zuschauer sind Portnoy gefolgt, vielleicht ebenfalls aus Langeweile, und wetten nun auf steigende Aktienkurse, gerade von Unternehmen in Schwierigkeiten. "Sie haben wohl nicht den Einfluss, den Fonds und professionelle Anleger haben", sagt Jim Bianco, Gründer der Analysefirma Bianco Research. Sie seien jedoch mittlerweile genug, um aufzufallen.

Sein Rezept: Einfachheit, eine Portion Provokation und ein Schuss Selbstironie

"Ich bin zunächst einmal ordentlich auf den Hintern gefallen", sagt Portnoy, der anfangs auf fallende Kurse von Unternehmen wie den Flugzeugbauer Boeing oder die Lifestyle-Klamotten-Firma Lululemon gewettet und so eigenen Angaben zufolge in der Woche nach Eröffnung des Portfolios Mitte April knapp 700 000 Dollar verloren hatte: "Ich habe festgestellt, dass die Börse und das wirkliche Leben nichts miteinander zu tun haben. Es ist ein eigenes Universum, das darauf ausgelegt ist, dass die Aktienkurse immer weiter steigen." Er habe deshalb zunächst in Fluglinien wie etwa den Billigflieger Spirit und Autovermieter wie Hertz investiert, auch wenn die kurz vor der Pleite gestanden oder bereits Gläubigerschutz beantragt hätten: "Die Leute werden weiterhin fliegen oder Auto fahren." Es sind Sätze von solcher Einfachheit, kreative Beleidigungen ("Lass die Nadelstreifen-Anzüge mit den schrecklichen Krawatten an diesem Wochenende ruhig Urlaub in den Häusern in den Hamptons machen, die sie von eurem Geld gekauft haben.") und eine ordentliche Portion Selbstironie ("Traue keinem Wort über Aktien, das aus meinem Mund kommt."), die Portnoy zum Feinbild der Anlageberater werden lassen.

Die nehmen sich und ihre Prognosen sehr ernst, und einen Clown wie Portnoy müssen sie freilich hassen. Der gefällt sich in der Rolle des rebellischen Außenseiters, beim Scrabble-Stunt am vergangenen Freitag, der bislang keinen Gewinn abgeworfen hat, sagte er über CNBC- Analyst Ron Insana, der zuvor die Aktionen von Portnoy als gefährlich für die Märkte bezeichnet hatte: "Eine Laberbacke, dessen eigener Hedgefonds kollabiert ist."

Portnoy will zeigen, dass die Voraussagen der Leute in Nadelstreifen ebenso wenig verlässlich sind wie Tipps von selbst ernannten Gurus zu Sportereignissen. Man solle ihn dennoch nicht allzu ernst nehmen, obwohl er mittlerweile eigenen Angaben zufolge Gewinne im mittleren sechsstelligen Bereich erzielt habe: "Es macht Spaß, aber letztlich bin ein Sportfan. Wenn die Pandemie vorbei ist und Sport zurückkehrt, dann werde ich mich wieder darauf konzentrieren." Bis dahin dürfte er noch ein paar Mal seine linke Hand in rote Säckchen stecken und Aktien von Unternehmen kaufen, von denen er nicht wusste, dass sie existieren.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2020/andl
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