Drei von vier Handybesitzern haben hierzulande ein Android-Gerät, nutzen also das mobile Betriebssystem von Google. Und all diese Menschen könnten demnächst 40 Euro mehr im Geldbeutel haben – wenn sie sich an das Unternehmen Privacy Reclaim wenden.
Die Firma will Google in großem Stil verklagen – wegen des massenhaften Sammelns von Nutzerdaten, die der Konzern ohne Rechtsgrundlage verarbeite. Google anonymisiere einen Großteil der gesammelten Daten von Anwendungen wie Dating- oder Schwangerschaft-Apps und Standorten nicht, sondern verknüpfe sie mit dem Nutzer. Dadurch würden Einzelpersonen identifizierbar, weshalb ihnen Schadenersatz zustehe. Um klagen zu können, will Privacy Reclaim vielen Android-Nutzern diese potenziellen Ansprüche abkaufen – und zwar für einen Betrag in Höhe von 40 Euro. Insgesamt möchte das Unternehmen so die Rechte von 100 000 Nutzern einsammeln, um eine gewisse Schlagkraft gegenüber Google entfalten zu können.
Aber lohnt sich das für Android-Nutzer? Und wie stehen die Chancen, dass Privacy Reclaim die Klage gegen Google gewinnt?
Alex Petrasincu, Anwalt und Partner einer Rechtsanwaltskanzlei, die Privacy Reclaim vertritt, sagt: „Google greift bei der Nutzung von Android-Handys deutlich mehr Daten ab, als allgemein bekannt ist.“ Abhängig von den individuellen Datenschutzeinstellungen der Nutzer wisse Google zum Teil, ob jemand regelmäßig ins Gebäude eines Arztes gehe oder eine Kirche, Moschee oder Synagoge besuche. „Was Google mit den Daten macht, weiß ich nicht. Aus unserer Sicht verstößt die Datenverarbeitung der persönlichen Daten von Android-Nutzern in dem aktuellen Umfang aber gegen die Datenschutz-Grundverordnung.“ Das Gutachten, auf das sich Petrasincu bezieht, hat Privacy Reclaim selbst beauftragt.
Ist das Verfahren also dazu da, um einem Prozessfinanzierer wie Privacy Reclaim Gewinne zu bescheren? Schließlich erwartet das Unternehmen Schadenersatzzahlungen in vierstelliger Höhe je Betroffenem. Das Angebot sei dennoch wirtschaftlich sinnvoll, sagt Petrasincu. „Für einen eigenen Anwalt muss man rund 500 zahlen, dazu kommen in der ersten Instanz Gerichtskosten von 300 Euro – und wenn man verliert, hat man noch das Kostenrisiko für die Gegenseite von erneut rund 500 Euro.“ Da sei es doch besser, die 40 Euro zu nehmen, als gar nichts zu bekommen.
Mehrere Tausend Verbraucher haben nach Angaben des Unternehmens bereits ihre Ansprüche verkauft und 40 Euro bekommen. Im kommenden Jahr will Privacy Reclaim dann die Klage vor einem deutschen Landgericht einreichen.
Dass es durchaus möglich ist, gegen Datenschutzverstöße vorzugehen, zeigt der Fall des Facebook-Datenlecks, das der Bundesgerichtshof (BGH) vergangene Woche entschieden hat. Unbekannte hatten auf der Plattform 2021 eine Funktion zur Freunde-Suche ausgenutzt und damit Daten von Hunderten Millionen Nutzern abgegriffen – darunter Namen und Telefonnummern. Ein Betroffener hatte deshalb mithilfe einer Kanzlei gegen den Facebook-Mutterkonzern Meta wegen Datendiebstahls geklagt. Der BGH setzt mit seiner Entscheidung nun vergleichsweise niedrige Hürden, damit Betroffene Schadenersatz bekommen können. Diese müssen nur nachweisen, dass sie Opfer des Vorfalls waren. Allerdings ist auch der Geldbetrag, den Betroffene laut BGH nun erwarten können, eher niedrig. Ging es in den vorinstanzlichen Urteilen teilweise um Beträge von 3000 Euro, machte das Gericht deutlich, dass der Schadenersatz beim bloßen Kontrollverlust nicht allzu hoch ausfallen könne, der Betrag könnte laut Gericht bei 100 Euro liegen.
„Verbraucher-Inkasso kann ein absolut faires Geschäft sein.“
Verändert das BGH-Urteil auch die Aussichten für Betroffene im Google-Fall? Lohnt es sich nun, die 40 Euro zu nehmen, weil die Gerichte den Betroffenen nach dem Facebook-Urteil des BGH womöglich keine allzu großen Beträge zusprechen werden?
Christoph Herrmann, Rechtsexperte der Stiftung Warentest, sagt: „Grundsätzlich ist gegen den Verkauf der Forderung nichts einzuwenden. Verbraucher-Inkasso kann ein absolut faires Geschäft sein“. Ein Problem sei natürlich der Kaufpreis und wie viel Arbeit es mache, beim Ankäufer seine Daten einzugeben. Zudem sollten Verbraucher ihre Rechte nur abtreten, wenn sie ein Standardfall seien und der Schaden nicht wirklich wehgetan habe. Ist ansonsten viel mehr als 100 Euro Schadenersatz fällig, wäre es besser, sich einen Anwalt zu nehmen.
Neben dem Anspruchsverkauf gibt es in Deutschland seit Kurzem die Verbandsklage, das heißt Verbraucherschutzverbände können Schadenersatz für Betroffene gesammelt einklagen. „Das passt für die großen spektakulären Fälle, bei denen die Verbraucherverbände die nötigen Kapazitäten mobilisieren können“, sagt Herrmann. Aber es sei illusorisch zu glauben, dass sie gegen einen nennenswerten Anteil aller möglichen Fälle vorgehen können.
Und was sagt Google zu den Vorwürfen? Ein Sprecher lässt sich so zitieren: „Privacy Reclaim mangelt es an technischem Wissen und verzerrt weithin dokumentierte Fakten über die Funktionsweise moderner Smartphones.“ Google arbeite in voller Übereinstimmung mit den geltenden Datenschutzgesetzen und stelle Nutzerinnen und Nutzern Datenschutz-Tools zur Verfügung, mit denen sie die Kontrolle über ihre Daten behalten.
Auch der Google-Fall wird, wenn Privacy Reclaim geklagt hat, wohl durch mehrere Instanzen gehen, bis es zu einer höchstrichterlichen Entscheidung kommt. Wie hoch dann der Schadenersatz für Betroffene ausfallen wird: unklar.