Süddeutsche Zeitung

Preisrutsch bei Lebensmitteln:Das Essen wird billiger

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Gute Ernte, aber schlechte Preise: Die Preisschlacht im Einzelhandel hinterlässt tiefe Spuren bei Landwirten und Lebensmittelherstellern.

Silvia Liebrich und Felix Holtermann

In der Nahrungsmittelindustrie sind die Umsätze im ersten Halbjahr um vier Prozent eingebrochen. Die Zahl der Insolvenzen stieg deutlich. Die Notierungen für Agrarrohstoffe sind derweil so niedrig wie lange nicht. Das teilten die Branchenverbände am Freitag mit.

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner, der am Freitag in Berlin die Erntebilanz des Sommers 2009 vorstellte, warnte: "Die Erzeugerpreise sind in den vergangenen Wochen auf dramatische Talfahrt gegangen." Viele Ackerbauern seien nicht mehr in der Lage, ihre Kosten zu decken. "Unter den jetzigen Bedingungen können wir nicht mehr weiter produzieren", sagte Sonnleitner.

Gleichzeitig bereiten die Preiskämpfe im Handel den Agrar- und Nahrungsmittelproduzenten Probleme. Erstmals seit den achtziger Jahren fallen die Preise für Lebensmittel wieder. Vor allem Milchprodukte, Obst und Gemüse kosten in diesen Tagen erheblich weniger als noch vor einem Jahr. Für Druck sorgen vor allem die Discounter Aldi und Lidl, die seit Jahresbeginn mehrfach die Preise gesenkt haben und damit auch andere Händler unter Druck setzen.

Preisverfall bedroht Existenz

Die Schattenseite dieser Entwicklung bekommen derzeit die Erzeuger zu spüren. Viele Milchbauern warnen seit Monaten davor, dass der Preisverfall sie ihre Existenz kosten wird. Doch auch die Ackerbauern geraten angesichts fallender Erzeugerpreise in Bedrängnis. Weizen und andere Getreidesorten kosten derzeit teilweise nur noch halb so viel wie vor einem Jahr. So sank die Notierung für Braugerste um 45 Prozent, die für Brotweizen um 35 Prozent. Der Bauernpräsident warnte, dass deshalb der Anbau von Braugerste im nächsten Jahr möglicherweise stark eingeschränkt werde. Dann müssten viele Brauereien den für die Bierherstellung wichtigen Rohstoff aus dem Ausland beziehen.

Sonnleitner hofft darauf, dass sich die Lage im Herbst und Winter wieder entspannt - auch, weil weltweit eine niedrigere Ernte erwartet wird. Ein knapperes Angebot führt an den Rohstoffmärkten in der Regel dazu, dass die Agrarpreise anziehen.

Insgesamt brachten die deutschen Bauern in diesem Sommer eine Getreideernte ein, die mit 50 Millionen Tonnen zwar leicht unter dem guten Ergebnis des Vorjahres lag, aber immer noch um acht Prozent über dem langjährigen Mittelwert. Laut Sonnleitner gab es keine nennenswerten Frost- oder Hagelschäden.

Risikovorsorge belastet die Kasse

Zu schaffen machen den Landwirten laut Sonnleitner jedoch die zunehmenden Preisschwankungen bei Agrarerzeugnissen. Die Bauern seien deshalb gezwungen, mehr Risikovorsorge zu betreiben, und dies koste Geld. Er forderte Unterstützung von der Regierung und plädierte unter anderem dafür, steuerfreie Risikorückstellungen für die Landwirtschaft einzuführen.

Die Preisschlacht im Handel bekommen auch die Lebensmittelproduzenten stärker zu spüren. Nach Angaben der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) brachen die Umsätze in den ersten sechs Monaten 2009 um knapp vier Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein, auf 73 Milliarden Euro. Außerdem sei die Zahl der Unternehmenspleiten um ein Fünftel gestiegen. Mehr als 140 Betriebe mussten demnach im ersten Halbjahr Insolvenz anmelden.

In keinem anderen europäischen Land verbilligten sich Lebensmittel zuletzt so stark wie in Deutschland. Und in der Branche rechnet man damit, dass der Tiefpunkt noch nicht erreicht ist. Mit mehr als 530000 Beschäftigten und knapp 6000 Unternehmen ist die Ernährungsindustrie der fünfgrößte Arbeitgebern hierzulande. Deutlich gesunken sind auch die Umsätze im Ausland. Dort hatten die deutschen Nahrungsmittelhersteller noch im vergangenen Jahr kräftig zugelegt. Laut BVE gingen die Exportumsätze in den ersten sechs Monaten um sechs Prozent zurück, obwohl Produktion und Absatz stabil geblieben seien.

In Deutschland bekamen die meisten Nahrungsproduzenten im Juli durchschnittlich vier Prozent weniger für ihre Erzeugnisse als im Vorjahresmonat. Von diesem Rückgang profitierten nicht etwa die Discounter, die seit Januar ebenfalls Umsatzrückgänge verzeichneten, sondern in erster Linie die Verbraucher. Die niedrigeren Preise für Nahrungsmittel sind neben den gesunken Energiekosten der entscheidender Grund, warum viele Verbraucher die derzeitige Wirtschaftskrise noch nicht so richtig zu spüren bekommen. Der Rückgang dämpft die Inflation. Unter dem Strich sanken die Verbraucherpreise im Juli sogar um 0,5 Prozent. Zum ersten Mal seit 1987 gab es damit einen Preisrutsch.

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SZ vom 22./23.08.2009
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