Preise:Endlich wird alles teurer

Europas oberster Zentralbanker Mario Draghi freut sich über die Trendwende. Andere Fachleute halten es für weniger schlimm, wenn kaum Inflation herrscht. So oder so: Die Deutschen fühlen sich doppelt gestraft.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Zeiten müssen ungewöhnlich sein, wenn sich Währungshüter über steigende Inflation freuen. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), tut genau das. Im nächsten Jahr rechnet die EZB mit einem Preisanstieg von 1,3 Prozent. "Die Gefahr einer Deflation ist weitgehend verschwunden", konstatierte Draghi nach der letzten Ratssitzung und hofft: Endlich wird alles wieder teurer in der Euro-Zone. Viele Bürger dürften diese Freude nicht teilen, denn Verbraucher mögen es lieber, wenn die Preise fallen.

Es ist ein Grundsatzthema, über das die globale Elite der Wirtschaftswissenschaftler trefflich streiten kann: Wie gefährlich sind dauerhaft fallende Preise? Die EZB hält eine solche Deflation für riskant, weil die Wirtschaft dadurch in die Rezession geraten kann. Unternehmen, so die Theorie, nehmen dann weniger Geld für ihre Produkte ein und müssen gleichzeitig die hohen Löhne bezahlen. Das, so die Befürchtung, führe zu Entlassungen und im schlimmsten Fall zu Konkursen.

Die Experten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sehen das allerdings anders. "Wir haben Deflationen in vielen Staaten untersucht und sind dabei historisch bis ins Jahr 1870 zurückgegangen", sagte der BIZ-Chefvolkswirt Claudio Borio jüngst im SZ-Interview: "Wir haben festgestellt, dass es nur eine sehr schwache Verbindung zwischen Deflation und geringem Wachstum gibt."

Auch auf die Frage, was man unter stabilen Preisen versteht, gibt es keine eindeutige Antwort. Die EZB hat sich auf den Grundsatz verständigt, wonach eine Inflationsrate von nahe zwei Prozent genau das Richtige sei: weit genug weg von der Nulllinie, bei der die Deflation beginnt, gleichzeitig niedrig genug, um den Geldwert zu erhalten.

Draghi ist mit diesem Ziel in guter Gesellschaft. Nahezu alle Zentralbanken der Welt halten zwei Prozent Inflation für das Maß aller Dinge. Die Notenbank Neuseelands hat 1989 damit angefangen. Die zwei Prozent als Inflationsziel wurden damals mehr oder weniger willkürlich gewählt. Es hätten auch 2,3 oder 1,7 Prozent sein können. Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman fordert eine Inflation von vier Prozent, um das Wachstum anzukurbeln. Andere Ökonomen halten ein oder gar null Prozent Inflation für ausreichend. Die globale Inflationsgefahr sei geringer als früher, weil die Löhne der Belegschaften - früher der entscheidende Preistreiber - kaum mehr stiegen und technologischer Fortschritt die Preise weiter drücke.

In diesem Jahr werden die Preise in der Euro-Zone um 0,2 Prozent steigen. Aus diesem Befund leitet die EZB die Rechtfertigung für ihre lockere Geldpolitik ab. Für 2018 rechnen die Notenbankvolkswirte mit 1,5 Prozent Teuerung und 2019 mit 1,7 Prozent. Der Trend scheint damit klar zu sein, wobei viel davon abhängt, ob die Wirtschaft in Europa ordentlich wächst. Auch die Entwicklung der Ölpreise und der Euro-Wechselkurs haben großen Einfluss auf die Inflation.

Die Deutschen fühlen sich gleich zweimal gekniffen: niedrige Zinsen und jetzt noch Inflation

Doch selbst wenn die Prognosen eintreten, hat die EZB ihr Ziel noch lange nicht erreicht. Auf die Frage, ob 1,7 Prozent Inflation im Jahr 2019 dem EZB-Inflationsziel von nahe zwei Prozent entspräche, antwortete Draghi: "Nicht wirklich." Folglich kann man nicht ausschließen, dass die EZB ihre Maßnahmen noch länger fortsetzen wird.

Der EZB-Rat hat Anfang Dezember beschlossen, das bislang auf 1,7 Billionen Euro angelegte Anleihen-Kaufprogramm um neun Monate bis mindestens Ende Dezember 2017 zu verlängern. Damit kommen weitere 540 Milliarden Euro hinzu. Das oberste Entscheidungsgremium der EZB verliert bislang über ein Ende dieser Ankäufe oder gar eine Leitzinserhöhung kein Wort. In Deutschland sind darüber viele Menschen verärgert.

Hierzulande steigen die Preise im Vergleich zu anderen Euro-Staaten am stärksten. Deutsche Sparer leiden nun also doppelt: unter dem Niedrigzins und einer steigenden Geldentwertung. Außerdem fließt das viele billige Geld in die Aktien- und Immobilienmärkte. Es könnten Preisblasen entstehen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann sieht für die Euro-Zone derzeit keine Anzeichen für Übertreibungen am Immobilienmarkt. "Dennoch kann man nicht leugnen, dass es für einige nationale Märkte das Risiko einer Überhitzung gibt."

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