Preisabsprachen:Die Bahn jagt "Domina"

Zugschienen im Abendlicht

Die Bahn hat 40 000 Lieferanten - und verfolgt nun den Weg ihres Geldes etwas genauer. Im Bild: Schienen bei Bodelsberg in Schwaben.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Eine Sondereinheit der Bahn spürt illegale Kartelle auf und treibt Hunderte Millionen Euro Schadenersatz ein. Andere Konzerne ziehen jetzt nach - und verfolgen den Weg des Geldes.

Von Markus Balser, Berlin

Sie nannten sich "Hannibal Lecter", "Wächter der Schiene" oder "Domina". Sie telefonierten mit Prepaid-Handys, um nicht aufzufliegen. Ein gutes Dutzend Stahlmanager sollen in den vergangenen Jahren mit Decknamen und bei geheimen Treffen ein Schienenkartell gebildet haben, das zu einem der spektakulärsten Fälle von Preisabsprachen in Deutschland wurde und derzeit vor Gerichten aufgearbeitet wird. Das illustre Kränzchen hatte viel zu verbergen: Wegen der illegalen Aktivitäten zahlten die Bahn und mehrere Nahverkehrsbetriebe einige Hundert Millionen Euro zu viel für Schienen.

Ähnlichen Wert auf Diskretion legten auch die Teilnehmer eines geheimnisvollen Meetings am Rande des Flughafens von Toronto. Um nicht aufzufallen, nannten sie ihr Treffen nicht mal Meeting, sondern "Kaffeerunde". Ziel der verschwiegenen Runde aus Mitarbeitern mehrerer Fluggesellschaften: einheitliche Preise für ihre Luftfracht durchzusetzen. Es ging um Milliardengeschäfte. In nahezu allen Wirtschaftsbereichen treiben inzwischen solche Kartelle ihr Unwesen. Mal sind es CentBeträge, mal Millionen. Egal ob Kugellager-, Kautschuk-, Vitamin-, Zucker- oder Schokoladenlieferanten - in Versuchung kommen alle. Seit Kronzeugen allerdings hohe Strafrabatte bekommen, fliegen immer mehr Preissyndikate auf. Doch vielen Unternehmen ist klar: Das Problem ist längst nicht gelöst. Denn die Kartelle tauchen stattdessen immer professioneller ins Verborgene ab.

"Wir suchen schon in frühen Phasen nach Hinweisen in Ausschreibungen"

Im 16. Stock des Bahntowers am Potsdamer Platz in Berlin füllen die immer trickreicheren Vertuschungsmanöver der Täter unzählige Ordner. Hier sitzt eine Sondereinheit der Deutschen Bahn (DB), die es in dieser Form hierzulande bislang noch nirgendwo in der Industrie gibt. Ihr Name: CRC3. Ihre Aufgabe: Kartellsünder jagen. Das kryptische Kürzel steht für mehrere Juristen und Ökonomen unter Leitung von Tilman Makatsch. Sie sollen überall dort, wo die Bahn durch gesetzeswidrige Preisabsprachen geschröpft wurde, Schadenersatz eintreiben.

Die Truppe des Staatskonzerns spielt damit bundesweit eine Vorreiterrolle. Kern der Strategie ist es, weniger Rücksicht und mehr Abschreckung bei den Beziehungen mit Lieferanten an den Tag zu legen. "In den vergangenen Jahren ist die Bahn mit Kartellen wohl um einen Milliardenbetrag betrogen worden", sagt Ronald Pofalla, Vorstand für den Rechtsbereich der Bahn, der Süddeutschen Zeitung. "Einen Teil dieses Geldes wollen wir zurückholen. Rund 380 Millionen Euro an Schadenersatzzahlungen sind bereits geflossen. Wir rechnen damit, kurzfristig die Schallmauer von 400 Millionen Euro Schadenersatzzahlungen zu durchbrechen." In Europa wäre das Rekord. Von der Arbeit profitiere auch der Steuerzahler, sagt Pofalla. "Schließlich fließen Milliarden an Steuermitteln in das Schienennetz und die Bahnhöfe."

Noch immer sind hohe Schadenersatzzahlungen bei Kartellen jedoch die große Ausnahme - selbst in Fällen, in denen rechtskräftige Bußgeldbescheide des Bonner Bundeskartellamtes oder der Brüsseler EU-Kommission vorliegen. Das Problem: Vor Gericht muss der Schaden exakt beziffert werden, was lange dauern kann. Die ausgenommenen Unternehmen bekommen damit nicht automatisch ihr Geld zurück. Überführte Kartellsünder arbeiten oft mit Behörden zusammen, lassen die geschädigten Kunden aber abblitzen. Immer weniger Konzerne wollen sich das bieten lassen und gründen eigene Kartellabteilungen wie die Bahn. Zu den Nachahmern zählen etwa die Metro oder Daimler. Die Spezialisten in Abteilungen wie der 2013 gegründeten Bahneinheit CRC3 haben mehr zu tun, als es ihrem Arbeitgeber lieb sein kann. Die Bahn ist einer der größten Einkäufer im Lande. Für rund 25 Milliarden Euro ordert der Konzern bei rund 40 000 Lieferanten nicht nur Züge und Busse, Lkw, Gleise und Weichen, sondern auch Uniformen, Möbel, Essen und Getränke. Das erklärt, warum der Staatskonzern unter illegalen Preis-Syndikaten besonders leidet. Selbst das Kaffeekartell, das vor Jahren aufflog, ging zu Lasten der Bahn. "In den vergangenen drei Jahren haben wir 94 Kartellfälle geprüft und 48 kartellbeteiligte Unternehmen vor Gericht verklagt. Schienen, Fahrtreppen, Bier, Kreditkarten: Es gibt kaum eine Branche, die nicht anfällig ist für Kartelle."

Die Sondereinheit versucht inzwischen, nicht erst aktiv zu werden, wenn sich Fahnder einschalten - und Preisabsprachen aufliegen. "Wir suchen schon in frühen Phasen nach Hinweisen in Ausschreibungen", sagt Makatsch. Die Juristen arbeiten Verdachtsfälle ab: "Fallen uns Muster in der Preisgestaltung auf? Gibt es gleichförmige Gebote der Lieferanten?" Auch die Kartellbehörden setzen im Sinne der Abschreckung darauf, dass sich die hintergangenen Kunden wehren. Schadenersatzklagen seien eine "wichtige und sinnvolle Ergänzung der behördlichen Kartellverfolgung", sagt Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamtes. Die Unternehmen in Deutschland seien in den vergangenen Jahren "erfreulicherweise sehr viel aktiver geworden". CRC3 geht bereits neuen Spuren nach. Lkw-Hersteller haben sich nach Erkenntnissen der EU-Kommission über Jahre abgesprochen. Im Konzern hießt es: "Das wird für die Bahn der nächste große Fall."

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