Digitalisierung:Die Justiz muss in der Pöbelhölle Internet für Ordnung sorgen
Lesezeit: 4 Min.
Der Fall Lübcke zeigt: Gift, Galle, Hass beherrschen nach wie vor das Netz. Es ist Zeit für spezielle Internet-Gerichte.
Kolumne von Heribert Prantl
Es gibt Gesetze, die sind schlecht. Es gibt Gesetze, die sind sehr schlecht. Und es gibt Gesetze, die spotten jeder Beschreibung. Zu den Gesetzen, die jeder Beschreibung spotten, gehört das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Dieses Gesetz mit dem martialischen Namen sollte, das war die gesetzgeberische Absicht, dafür sorgen, dass das Internet keine Pöbelhölle mehr ist. Das war und ist ein sehr gutes, ein notwendiges, das war und ist ein so ungeheuer wichtiges Vorhaben. Aber es funktioniert nicht. Das Gesetz ist objektiv ungenügend und unzureichend.
Das Gesetz sollte dafür sorgen, dass Gift und Galle, Hass und Hetze keine digitale Spiel- und Vernichtungswiese mehr haben. Es sollte dafür sorgen, dass das Netz zwar einerseits frei ist von Bevormundung, aber andererseits das Recht dort Recht bleibt. Es sollte dafür sorgen, dass die Beleidigung, die Bedrohung, die Verleumdung, die üble Nachrede, die Volksverhetzung, die Gewaltverherrlichung und die Ankündigung von Straftaten sich im Netz nicht völlig ungehindert und ungestraft ausbreiten können. Aber es funktioniert hinten und vorne nicht.
Jeder konnte es lesen: Als der CDU-Politiker Walter Lübcke mutmaßlich von einem Rechtsextremisten auf der Terrasse seines Hauses in Kassel erschossen wurde, wurde diese Mordtat in vielen Kommentaren im Netz gefeiert. Es herrschte dort Jubel über den Tod des Politikers, gegen den zuvor wegen seines Engagements für Flüchtlinge schon übel gehetzt und gedroht worden war. Die ungeheuer gemeinen und bösartigen Sätze gegen den Politiker standen im Netz, tagelang, als handele es sich um Plakate, Zeugnisse und Urkunden der Meinungsfreiheit. Sie standen da, als gäbe es keine Löschvorschriften im Netzwerkdurchsetzungsgesetz, sie standen da, als wollten sie dessen Paragrafen verhöhnen und sich über seine Absichten lustig machen.
Vor zwei Jahren, als über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wacker und aufgeregt gestritten wurde, befürchteten viele Kritiker ein Overblocking, ein Zuviel an Löscherei. Tatsächlich ist es zu einem Underblocking gekommen. Rechtsextremisten hausen nach wie vor im Netz, als gäbe es kein Gesetz oder als gälte dort keines. Die Bundesanwaltschaft sagt, es gebe bisher noch keine Hinweise auf ein rechtsterroristisches Netzwerk, also auf die Beteiligung von bislang noch unbekannten Personen an der Ermordung von Walter Lübcke. Aber es gibt mehr als nur Hinweise, es gibt Beweise für ein Netzwerk der psychischen Beihilfe, das sich im Netz rekrutiert und fortpflanzt.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz leidet an zwei Geburtsfehlern. Erstens: Es hat die Rechtsdurchsetzung im Internet outgesourct, es hat sie an die Netzbetreiber übertragen. Ob Eintragungen gelöscht werden oder nicht, wird nicht von staatlichen Institutionen, sondern von Twitter, Facebook, Google und Co. in eigener Regie entschieden. Das ist ein Systembruch, das ist ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung. Der Staat hat seine Entscheidungsgewalt darüber, was Recht und Unrecht ist, an Twitter und Co. abgegeben. Das ist der Geburtsfehler Nummer eins.
Geburtsfehler Nummer zwei: Der Staat hat seine Strafgewalt nicht gesichert. Der Staat und seine Strafverfolgungsorgane kommen an die Hetzer im Internet nicht heran, weil das Netzwerkdurchsetzungsgesetz keine Auskunftspflicht der Provider etabliert hat. Twitter, Facebook und Co. müssen keine Auskünfte darüber geben, wer sich hinter Pseudonymen im Netz verbirgt; sie können die Bestandsdaten von Verdächtigen herausrücken, wenn sie das wollen; sie müssen es aber nicht - und sie tun es in der Regel auch nicht.
Das Gesetz hat es den Providern zwar zur Pflicht gemacht, inländische Auskunftsstellen zu errichten. Es wurde diesen Auskunftsstellen auch vorgeschrieben, dass und wie schnell sie auf Anfragen Auskunft geben müssen. Welchen Inhalt die Auskünfte haben müssen - davon findet sich im Gesetz kein Wort. Facebook antwortet daher auf Anfragen der Staatsanwaltschaft wie folgt: "Danke für Ihre Mitteilung. Nach geltendem Recht und unseren Nutzungsbedingungen ist ein Rechtshilfeersuchen erforderlich, um die Information zu ihrer Anfrage einzuholen." Die Netzwerke geben damit, so klagt die Richterzeitung, formal eine fristgerechte Auskunft nach dem Gesetz; diese ist allerdings völlig inhaltsleer.
Es braucht abschreckende Urteile. Das sind Staat und Gesellschaft auch dem Gedenken an Walter Lübcke schuldig
Der Verweis auf ein mögliches Rechtshilfeersuchen an die USA ist lächerlich; so etwas dauert ewig und bringt auch nach langem Warten nichts, weil die USA bei Volksverhetzung keine Rechtshilfe leisten. Die Richterzeitung stellt daher bitter fest, dass die Strafverfolger "Bittsteller" bleiben, solange das Gesetz keine Auskunftspflicht zu den Bestandsdaten vorschreibt. Das muss umgehend geschehen. Und diese Auskunftspflicht muss mit hohen und höchsten Bußgeldern gesichert werden. Hetze und Gewalt im Netz explodieren sonst. Es braucht abschreckende Urteile. Das sind Staat und Gesellschaft auch dem Gedenken an Walter Lübcke schuldig.
Die Justizministerkonferenz sollte sodann umfassend darüber nachdenken, wie die Justiz künftig dem Internet und seinen Spezifika gerecht wird. Es gibt heute Spezialabteilungen an den Gerichten, bei denen man ohne besondere Fachkenntnisse in Spezialmaterien nicht auskommt: Mietgerichte, Familiengerichte, Betreuungsgerichte; an den Landgerichten gibt es Kammern für Handelssachen, an den Amtsgerichten gibt es sogar Landwirtschaftsgerichte, die sich um Landpacht- und Jagdpachtverträge und Fragen des Altenteils sensibel und fachkundig kümmern. Internet-Gerichte gibt es bisher nicht. Es sollte sie geben. Wenn man groß denkt und der Bedeutung des Internets im Alltag und im Geschäftsleben Rechnung trägt - dann sollte man sogar an die Einrichtung eines eigenen Gerichtszweigs denken, an die Einrichtung einer Internet-Gerichtsbarkeit also, so wie es eine Arbeits-, eine Finanz-, eine Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit gibt.
Diese Internet-Gerichtsbarkeit könnte in der Justiz der Vorreiter bei der Digitalisierung sein. Das braucht die Justiz. Und die Gesellschaft braucht eine Justiz, die internetfähig ist. Sie braucht eine Justiz auf der Höhe der Zeit.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir das heutige Betreuungsgericht fälschlicherweise noch mit der alten Bezeichnung "Vormundschaftsgericht" aufgeführt.