Unzählige Prämiensparer in Deutschland haben jetzt beste Aussichten auf hohe Nachzahlungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschied vor wenigen Tagen, dass Sparkassen ihren Kunden jahrelang unrechtmäßig Zinsen vorenthalten haben (AZ: XI ZR 234/20). Die Verbraucherzentrale Sachsen hatte im Namen von rund 1 300 Sparern gegen diese Praxis der Sparkasse Leipzig geklagt. Mit wie viel Geld betroffene Kunden nun aber genau rechnen können, steht noch nicht fest. Der fällige Nachschlag dürfte aber meist vierstellig ausfallen. "Verbraucher müssen nicht darauf warten, bis ihre Sparkasse von sich aus neu rechnet, sondern können ihre Ansprüche auch jetzt schon beziffern und einfordern", sagt Matthias Schmid, Jurist bei der Verbraucherzentrale Bayern. Das höchstrichterliche Machtwort habe Signalwirkung für sehr viele Prämiensparer bundesweit. Die Erfolgsaussichten für weitere, ähnliche Verfahren seien jetzt auch gestiegen.
Warum bekamen Sparer eigentlich weniger Zinsen?
Attraktive Sparverträge mit variablem Zins und fest vereinbarter Prämienstaffel wurden zwischen 1990 und 2010 von Banken und Sparkassen zuhauf verkauft. Zusätzlich zum Grundzins bekam der Sparer damals eine jährliche Prämie zugesagt, die mit der Zeit steigen sollte. Dann kam das Dauerzinstief - und die Geldinstitute senkten kurzerhand einseitig die Verzinsung ab. Und zwar auf der Basis von Anpassungsklauseln in den Verträgen, die inzwischen als rechtswidrig eingestuft wurden. Viele Kunden hatten die Anpassungen hingenommen.
Was entschied der BGH jetzt?
Im ersten Musterfeststellungsverfahren in Sachen Prämiensparvertragen urteilten die Richter am Bundesgerichtshof: Die Sparkassen haben ihre Kunden bei der Anpassung der Zinsen rechtswidrig benachteiligt. Die Zinsen hätten nicht willkürlich einseitig nach unten verändert werden dürfen, so die Auffassung der Richter. Viele Prämiensparkunden bekamen dadurch über viele Jahre zu wenig Zinsen gutgeschrieben. Mit dem höchstrichterlichen Urteil steht jetzt fest: Prämiensparer, deren Verträge nicht bereits 2017 oder früher endeten, haben nun Anspruch auf Nachschlag. Die Zinsen wie früher nach "Gutsherrenart" anzupassen, sei eine ungemessene Benachteiligung der Kunden und damit unwirksam, hatte das Gericht argumentiert. Die Sparkassen müssen die Verträge neu abrechnen und die ursprünglich vereinbarten Zinssätze fair anpassen. Aber: Das Oberlandesgericht Dresden muss erst noch klären, mit welchem Referenzzinssatz die Verträge eigentlich nachzurechnen sind. Und das kann noch dauern.
Was werden die Sparkassen jetzt tun?
Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen, erwartet, dass die Sparkassen nun am Zug sind, die fälligen Nachschläge auszurechnen und zu zahlen. "Sollte das Geld nicht zügig fließen, drohen tausende Individualklagen und weitere Maßnahmen der Finanzaufsicht Bafin - bei aussichtsloser Rechtslage der Sparkasse. Die Verbraucherzentrale Sachsen wird die Betroffenen auch in diesem Fall unterstützen", kündigte Eichhorst an. Der Druck auf die Geldinstitute dürfte zunehmen, weil Verbraucherschützer inzwischen etliche weitere Sparkassen verklagt haben. Allein von der VZ Bayern sind zwei Musterfeststellungsklagen angestrengt worden, und zwar gegen die Stadtsparkasse München und die Sparkasse Nürnberg.
Können Betroffene jetzt auch selbst aktiv werden?
Ja. Wer sich nicht in Geduld üben und abwarten will, bis sich Sparkassen an geltendes Recht halten, könne sich jetzt schon an die Verbraucherzentralen wenden, dort nachrechnen lassen und seine Ansprüche beim Geldinstitut anmelden, erläutert Jurist Schmid. Weil so manchem Sparer bis zum Jahresende die Verjährung droht, sei das Interesse recht hoch, eine Nachzahlung bald in trockene Tücher zu bringen. Ob der Dresdner Referenzzinssatz dann ein wenig höher oder tiefer liegt, spiele für diese Sparer kaum eine Rolle. "Manche Verbraucher wollen die Sparkasse auch jetzt einfach ganz schnell konfrontieren und die Sache ins Rollen bringen", sagt Schmid. Je älter der Vertrag und je mehr Geld monatlich eingezahlt wurde, desto höher kann die Einbuße sein, die Sparer hinnehmen mussten. Der Service einer Neuberechnung der Zinsen kostet bei der Verbraucherzentrale Bayern zum Beispiel 85 Euro
Kann man die Verjährung stoppen?
Wichtig ist immer, die Verjährung im Blick zu haben, rät Schmid. Denn: Sobald nach Ende des Jahres, in dem die Sparkasse den Vertrag gekündigt hat, drei Jahre vergangen sind, ist das Recht auf eine Zinsnachzahlung in der Regel nicht mehr durchsetzbar. Die tickende Verjährungsuhr lässt sich aber stoppen. Entweder, indem sich Kunden beim Ombudsmann beschweren oder aber gerichtliche Schritte wie ein Mahn- oder Klageverfahren einleiten. Alternative: Sich einer der vielen Musterfeststellungsklagen von Verbraucherschützern anschließen. Der Schritt ist kostenfrei.
Gibt es Schützenhilfe von der Bafin?
Auch die Bafin hatte im Vorfeld der BGH-Entscheidung bereits Druck gemacht. Die Behörde hatte Banken und Sparkassen schon im Juni dazu verpflichtet, Prämiensparer mit variablem Zinssatz von sich aus über unwirksame Anpassungsklauseln zu informieren. Die Finanzinstitute sollten außerdem eine Zinsnachberechnung zusichern oder einen Änderungsvertrag mit wirksamer Anpassungsklausel anbieten. Die Geldinstitute hatten umgehend Widerspruch eingelegt. Trotzdem kann die Allgemeinverfügung der Bafin längerfristig noch Bedeutung bekommen, sind Experten von der Stiftung Warentest überzeugt. Für Sparkassenkunden besteht damit die Chance, auch dann Geld zu bekommen, wenn sie selbst nichts unternommen haben und ihre zivilrechtlichen Forderungen gegen das jeweilige Geldinstitut inzwischen verjährt sind.