Porzellanmanufakturen:Szenen einer Scherbensammlung

Die Finanzkrise trifft die deutschen Porzellanhersteller hart, aber die Übriggebliebenen glauben an die Zukunft im Lande.

Elisabeth Dostert

Wilhelm Siemen, 53, ist der Schmerz förmlich anzusehen, obwohl er sich redlich um Fassung bemüht. Er war in Paris, als ihn die Nachricht erreichte, dass der Selber Porzellanhersteller Rosenthal Insolvenz angemeldet hat. "Ich war tief berührt", erinnert sich der Direktor des Museums Porzellanikon in Selb.

Porzellanmanufakturen: Tassen für jeden Geschmack. Einige Firmen tragen noch den Namen der Gründer, andere sind nach Orten benannt: (1) Seltmann aus Weiden, (2) Porzellanmanufaktur Ludwigsburg, (3, 5) Porzellanmanufaktur Nymphenburg aus München, (4, 9) Walküre aus Bayreuth, (6) KPM Königliche Porzellan-Manufaktur aus Berlin, (7) BHS Tabletop aus Selb, (8) Dibbern aus Bargteheide, (10) Villeroy & Boch aus Mettlach, (11) Meissen, (12) Kahla, (13) Arzberg aus Schirnding und (14) Rosenthal aus Selb.

Tassen für jeden Geschmack. Einige Firmen tragen noch den Namen der Gründer, andere sind nach Orten benannt: (1) Seltmann aus Weiden, (2) Porzellanmanufaktur Ludwigsburg, (3, 5) Porzellanmanufaktur Nymphenburg aus München, (4, 9) Walküre aus Bayreuth, (6) KPM Königliche Porzellan-Manufaktur aus Berlin, (7) BHS Tabletop aus Selb, (8) Dibbern aus Bargteheide, (10) Villeroy & Boch aus Mettlach, (11) Meissen, (12) Kahla, (13) Arzberg aus Schirnding und (14) Rosenthal aus Selb.

(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov; Fotos: oh)

Das war Anfang des Jahres, aber die Pleite bewegt ihn immer noch. Sie bewegt eine ganze Industrie, Händler, Hersteller und Kunden. Siemen sitzt an dem großen ovalen Tisch seines Büros im vierten Stock des Museums. Es ist Montag, Ruhetag, und still in dem mächtigen Bau. "Ohne Rosenthal ist die deutsche Porzellangeschichte nicht denkbar", sagt Siemen.

Design-Trends made by Rosenthal

Nur wenige kennen diese Historie so gut wie er. Er hat den Museumskomplex entwickelt: 160.000 Exponate aus dem deutschsprachigen Raum, vier Museen an zwei Standorten, Porzellan aus dem 19. und 20. Jahrhundert, und die Sammlung wächst weiter. "Man kann keinen Vortrag über Design halten, ohne Rosenthal gleich mehrmals zu erwähnen", sagt Siemen. Rosenthal hat mit Geschirr wie der "Form 2000" von Richard Latham in den 50er Jahren und "Suomi" von Timo Sarpaneva Mitte der 70er Jahre Trends gesetzt und tut das bis heute.

Für jemanden wie Siemen ist es völlig unvorstellbar, dass die Geschichte zu Ende sein könnte. Eine Straße, das Kasino, ein Platz, der Obst- und Gartenbauverein tragen diesen Namen. Selb kann ihn nicht mehr abschütteln. "Deutschland ohne Rosenthal, das wäre so, als ob es Mercedes und BMW nicht mehr gäbe", sagt Siemen. "Aber diese Sorge habe ich nicht, es gibt doch genügend Bewerber."

Über die Gründe für die Insolvenz von Rosenthal wird heftig spekuliert. Alle machen mit, jeder hat Geschirr im Schrank und weiß, was geht und was nicht. Hat die irische Mutter Waterford Wedgwood die Tochter ausgesaugt? Hat das Management versagt? Ist Rosenthal ein Opfer der Finanzkrise, weil die Leute kein Geld mehr haben für teure Tischkultur? Steht die Industrie vor einer neuen Strukturkrise? Richtig blendend ging es ihr doch nie in den vergangenen Jahren.

Mal wieder Flaute

"Porzellan ist ein empfindliches Konjunkturbarometer", sagt Siemen. "Sobald die Flaute einsetzt, sparen die Verbraucher lieber ihr Geld, als es für Geschirr auszugeben. Und wenn der Aufschwung kommt, dauert es eine Weile, bis die Leute wieder Porzellan kaufen." Nun herrscht mal wieder Flaute. "Die Finanzkrise trifft auch uns", sagt Bernd T. Dibbern. Seine Firma heißt so wie er.

"In der ersten Hälfte 2008 hatten wir noch zweistellige Zuwächse. Seit vier Monaten laufen die Geschäfte schlechter." Mit der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers drehte sich der Markt: Auf den Konsumgütermessen in Paris und Mailand im Januar fehlten die internationalen Kunden. "Wir hoffen, dass die Ambiente nun besser läuft."

Dibberns Firma sitzt in Bargteheide bei Hamburg und im bayerischen Hohenberg. Sie ist vergleichsweise jung, Dibbern muss nicht wie die meisten seiner Konkurrenten die Last der Geschichte schultern: überdimensionierte und veraltete Produktionsanlagen. In den 60er Jahren fing Dibbern mit dem Import skandinavischen Porzellans an, in den 70er Jahren ließ er erstmals Geschirr nach eigenen Entwürfen fertigen.

Konzentration auf Orte der Gemeinschaftsverpflegung

1997 übernahm er von der damaligen Hutschenreuther AG das Werk in Hohenberg, als die sich von der Haushaltswarensparte trennte, um sich unter dem neuen Namen BHS Tabletop auf Gastronomie, Kantinen und andere Orte der Gemeinschaftsverpflegung zu konzentrieren. BHS kassierte schon Anfang Dezember die ursprüngliche Prognose für 2008.

Für Seltmann aus Weiden lief im Dezember das Haushaltswarengeschäft in Deutschland zwar noch "ganz ordentlich", nun stockt aber das internationale Objektgeschäft. "Großaufträge für Hotellerie und Gastronomie werden zurückgestellt", sagt Geschäftsführer Werner Weiherer. Aber er klingt nicht so, als könne so eine Flaute ein fast 100 Jahre altes Familienunternehmen aus der Bahn werfen. "Wir glauben fest an den Standort Deutschland für die Porzellanindustrie", erklärt Weiherer.

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Szenen einer Scherbensammlung

Wie gut oder schlecht es den meisten Herstellern geht, lässt sich nur schwer abschätzen. Gemessen an der Firmenzahl prägen nach wie vor Manufakturen und Mittelständler die Industrie. Die wenigsten gewähren Einblick in ihre Ertragslage. Dibbern bringt es mit 150 Beschäftigten nach eigenen Angaben auf 23 Millionen Euro Umsatz, Arzberg Porzellan in Schirnding schafft mit 230 Mitarbeitern 16 Millionen Euro Umsatz, die thüringische Kahla mit 300 Beschäftigten 25 Millionen Euro.

"Wenn der Primus leidet, leiden alle"

Seltmann beziffert die Zahl seiner Mitarbeiter auf 1150, Umsatz und Gewinn: Privatsache. Nur drei Hersteller sind börsennotiert: Villeroy & Boch aus Mettlach mit 2800 Mitarbeitern und 330 Millionen Euro Umsatz in der Sparte Tischkultur, BHS Tabletop mit 1240 Mitarbeitern und 94 Millionen Euro Umsatz 2007, jüngere Zahlen liegen nicht vor. Und Rosenthal: 1750 Beschäftigte, 163 Millionen Euro Umsatz, insolvent.

Peter Frischholz, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der keramischen Industrie in Selb, mag nicht mehr reden, schon gar nicht über Rosenthal. Die Insolvenz hat eine Industrie mit Wucht in die Öffentlichkeit geschleudert, und der Verbandschef muss wieder und wieder den Niedergang der deutschen Porzellanindustrie erklären: Überkapazitäten, die veränderte Tischkultur, sinkende Nachfrage, Billigimporte aus Fernost, die hohen Personalkosten und Rohstoffpreise, veränderte Handelsstrukturen - die Gründe sind bekannt.

Die letzte Strukturkrise liege neun Jahre zurück. Erwischt habe es damals vor allem Hersteller, die sich auf die Billigschiene einließen. "Seit 2001 ist mit Ausnahme von Mitterteich keiner der maßgeblichen Anbieter pleitegegangen", so Frischholz: "Die Insolvenz von Rosenthal ist nicht der Beginn einer neuen Strukturkrise."

Helmut Sättler, geschäftsführender Gesellschafter von Arzberg-Porzellan, sagt: "Wenn der Primus leidet, leiden alle." Keine Spur von Genugtuung, dass wieder ein Konkurrent vom hart umkämpften Markt verschwindet. "Die Unternehmen haben ein harmonisches Verhältnis zueinander. Wir helfen uns auch immer mal wieder aus", sagt Sättler.

Er sitzt hinter seinem wuchtigen quadratischen Schreibtisch. Unter der dicken Lackschicht ist nicht mehr zu erkennen, aus welchem Holz er ist. "Der stammt noch von Johann Seltmann, dem das Werk in Schirnding Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte", sagt der 58-Jährige. Er investiert lieber in Maschinen und Märkte als in neue Büromöbel.

Lange Ahnenreihe

Das 1887 von Christoph Schumann gegründete Unternehmen hatte schon viele Eigentümer. In der Ahnenliste tauchen neben Seltmann Namen wie die alte Kahla AG auf, 1972 Hutschenreuther, von 1997 bis zur Insolvenz zwei Jahre später Winterling, dann die SKV-Porzellan-Union, die seit 2004 als Arzberg-Porzellan firmiert.

Seitdem mache die Firma keine Verluste mehr. "Vielleicht führt die Finanzkrise wenigstens dazu, dass Ehrlichkeit und Fairness wieder etwas zählen", hofft Sättler. "Vielleicht kehren alte Werte und Traditionen zurück. Es hat sich doch gerade gezeigt, dass sich aus Geld nicht unendlich viel Geld machen lässt."

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