Süddeutsche Zeitung

Portrait:Trichet wartet seit Jahren auf den EZB-Chefposten

Nur noch wenige Monate muss sich Jean-Claude Trichet gedulden, dann geht sein Lebenstraum in Erfüllung: Er wird Präsident der EZB. An seiner Eignung zweifeln auch Fachleute nicht.

Nach dem Freispruch in einem Bilanzfälschungsprozess nimmt der französische Karrierebeamte unbeirrbar Kurs auf den Chefposten bei der Europäischen Zentralbank (EZB).

Am 1. November soll er Nachfolger des ersten EZB-Präsidenten Wim Duisenberg werden.

Beharrlich, zurückhaltend und loyal hat Trichet in den vergangenen Jahren auf den ihm verheißenen Posten gewartet. Stets stellte er sich hinter Duisenberg, der ihn im Mai 1998 im Rennen um das EZB-Spitzenamt ausgestochen hatte.

Gegen den Willen Frankreichs wollten die meisten EU-Staaten damals lieber den Niederländer auf dem Posten sehen. Er galt als Vater des starken Gulden und politisch weniger beeinflussbar, während die nur kurzfristige Autonomie der Banque de France gegen den Pariser Notenbankchef Trichet zu sprechen schien.

Dabei hat sich Trichet nicht erst in seinen zehn Amtsjahren an der Spitze der Banque de France einen guten Ruf erarbeitet; er gilt allgemein als hervorragend qualifiziert für die EZB-Präsidentschaft.

Schon lange dabei

Frankreichs liberaler Staatschef Valéry Giscard d'Estaing holte ihn 1978 in seinen Beraterstab, dem Konservativen Edouard Balladur diente er im Pariser Finanzministerium als Kabinettschef und schließlich als Direktor des Schatzamtes. Die Sozialisten beließen den fachlich über alle Zweifel erhabenen Absolventen der Eliteschulen Institut d'études politiques und ENA auf diesem Schlüsselposten.

Aus jener Zeit als Chef des Pariser Schatzamtes hingen indes lange auch dunkle Wolken über Trichets Haupt: Denn damals war er auch zuständig für Staatsunternehmen wie die Großbank Crédit Lyonnais, die Frankreich den größten Bankenskandal seiner Nachkriegsgeschichte bescherte.

Seit 2000 ermittelten die Behörden gegen Trichet wegen des Verdachts, er habe Milliarden-Tricks der damaligen Bankspitze bewusst vertuscht. Im Januar und Februar wurde Trichet und anderen Angeklagten der Prozess gemacht. Nunmehr ist die Affäre ausgestanden: Mitte Juni verkündete ein Pariser Strafgericht Trichets Freispruch und räumte das letzte echte Hindernis für den kommenden EZB-Chef aus.

Anders als Duisenberg, der sich wegen des Widerstands aus Paris einem politischen Deal und damit einer verkürzten Amtszeit von letztlich fünf Jahren unterwerfen musste, soll Trichet die vollen vorgesehenen acht Jahre dienen.

Vom Kalender her würde dies gut hinkommen: Im Dezember 2010 wird er 68 Jahre alt. In diesem Alter traten die als Vorbilder der EZB-Chefs geltenden Bundesbank-Präsidenten in den Ruhestand, und mit einigen Monaten Verspätung wird dies nun auch Duisenberg tun, der am 9. Juli 68 wurde.

(sueddeutsche.de/AFP)

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