Porträt:Jetzt aber Zukunft

Stefan Wolf 2019 09 15 Berlin Deutschland Stefan Wolf Vorstandsvorsitzender der ElringKlinger AG

Stefan Wolf vertritt künftig als Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall auch Daimler, BMW und VW. Sein erster Dienstwagen ist trotzdem ein Tesla.

(Foto: Jürgen Heinrich/imago images)

Harte Ansagen an die Gewerkschaft, Outing als Schwuler und Sympathien für Fridays for Future: Für den designierten Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf geht Ungewöhnliches zusammen.

Von Alexander Hagelüken, Dettingen

Wer hätte vor dem Besuch geahnt, wie viel dieses mehrbeinige Monster über Stefan Wolf verrät. Cockpit-Querträger heißt das Teil, es hält die Armaturen im Auto. Der Manager ergreift das Monster und schon blättern sich die Seiten seiner Biografie auf. Den Träger fertigt die Firma Elring-Klinger, wo Wolf seit 23 Jahren arbeitet, fast sein ganzes Berufsleben. Und der Betrieb fertigt ihn für den Elektroautobauer Tesla, der wie kein anderer die Herausforderung für Deutschlands Industrie symbolisiert, die Wolf als neuer Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall managen soll. Als er den Träger ergreift, sieht man noch etwas: Sein linker Arm ist stark verkürzt. Ein Contergan-Schaden.

"Natürlich war das manchmal hart auf dem Schulhof", erzählt Wolf in einem Besprechungsraum seiner Firma. "Kinder sind da ja grausam. Die kennen keine Grenzen. Das prägt einen fürs ganze Leben." Wer so etwas erlebt, braucht ein stabiles Umfeld, glaubt der 59-Jährige. Zum Glück hatte er das. Und so bewirkten die Hänseleien auf dem Schulhof vor allem zweierlei: "Ich kann mit Anfeindungen besser umgehen. Und es hat meinen Ehrgeiz unglaublich geformt. Ich dachte: Den Kerlen zeige ich es. Ich nahm mir einen klaren Weg vor." Schon mit 14 Jahren entschied er, erst eine Banklehre zu machen und dann Jura zu studieren. Weil er es in der deutschen Botschaft in Madrid zu verschnarcht fand, knickte er später den Berufswunsch Diplomat. Bald begann er beim Zulieferer Elring-Klinger an der Schwäbischen Alb; seit 15 Jahren führt er die Firma mit 10 000 Mitarbeitern als Vorstandschef.

Vielleicht kann man sagen: Von den Hänseleien auf dem Schulhof führt eine direkte Kraftlinie hierher. Und nun in eines der höchsten Wirtschaftsämter der Republik. Nächsten Donnerstag soll Wolf zum Gesamtmetall-Präsidenten gewählt werden, zuständig für Auto, Maschinenbau et cetera, vier Millionen Beschäftigte. Womit wir wieder beim Cockpit-Querträger wären.

Das mehrbeinige Monster liefert ein gutes Beispiel dafür, wie die erfolgsverwöhnte deutsche Industrie um ihre Zukunft ringt. Elring-Klinger lieferte schon 1924 Dichtungen für den Opel Laubfrosch, das erste hierzulande am Fließband gebaute Auto. Hundert Jahre später geht die Zeit des Verbrennungsmotors mit Benzin und Diesel zu Ende. Es braucht Klimafreundliches wie Teslas Elektromodelle. Ein Wandel so krass wie vom Pferd zum Auto, findet Wolf. Elring-Klinger stieg geradezu visionär vor vielen Jahren in Brennstoffzelle und Batterietechnik ein. Doch die Umorientierung kostet und dauert. 87 Prozent des Umsatzes macht Wolf nach wie vor mit Teilen für Verbrenner.

Was den Cockpit-Querträger angeht, war der bisher aus Stahl. Jetzt baut ihn Wolf aus Alu und Kunststoff. "60 Prozent leichter", referiert er in Raum Sevelen stolz. Weniger Gewicht wird für Autohersteller zentral, es senkt den Verbrauch. Als Tesla-Chef Elon Musk das Monster sah, wollte er es unbedingt für seinen neuen SUV Model Y. Obwohl er bereits ein fertiges Stahlteil hatte. Wolf bekam Stress, musste binnen Monaten eine Fabrik in Kalifornien hochziehen. Am bemerkenswertesten: Musk schwenkte nur ein Jahr vor Beginn der Serienproduktion um. Deutsche Autokonzerne wagen normalerweise nicht mal zwei Jahre vorher, noch Gravierendes zu ändern, sagt Wolf.

Schon ist er bei der Transformation angekommen, in der nicht nur Elring-Klinger an den Obstfeldern von Dettingen an der Erms steckt, sondern die ganze deutsche Autoindustrie. Weg vom Verbrennungsmotor - und dann noch plötzlich Rivalen wie Tesla im Nacken, die schneller agieren. All das zusammen bedroht Hunderttausende gut bezahlte Jobs in Deutschland.

Wolf läuft über den Parkplatz in die Fabrikhalle. Dahin, wo sie Dichtungen für Verbrenner produzieren wie schon 1924 für den Opel Laubfrosch. Es kracht, es stinkt. Viele Menschen wuseln um Maschinen, sie grüßen ihn freundlich. Dann geht er zu jenem Bereich, wo Zellverbinder für E-Autos entstehen, hochautomatisiert. Hier ist es ganz still. Man sieht nur einen einzigen Arbeiter.

Wenn Wolf über die Metallbranche mit ihren vier Millionen Arbeitsplätzen redet, sagt er: "Wir sollten ehrlich sein: Es lassen sich nicht alle Jobs retten." Dann präsentiert der designierte Arbeitgeberpräsident sein Programm: "Wir müssen die Bedingungen so verändern, dass die deutsche Industrie wieder wettbewerbsfähig wird und wir möglichst viele Jobs halten." Er sieht das aus der Perspektive einer Firma mit weltweit 45 Standorten, von denen die deutschen am teuersten sind. Er fordert, in den Corona-Jahren 2020 und 2021 auf Lohnerhöhungen zu verzichten, auch mal unbezahlte Mehrarbeit zu leisten. Für Funktionäre der IG Metall eine Provokation. Für die Arbeitnehmer nicht unbedingt, findet er. "Metaller verdienen viel. Die Unterschiede zu Pflegern oder Verkäuferinnen sind riesig." Er zeigt auf die grauen Fabrikhallen. "Da sagen Ihnen 98 Prozent, wir sind zufrieden mit dem Verdienst. Die Beschäftigten wollen vor allem ihren Job behalten. Die leben auf der Alb, haben ihre sozialen Kontakte, sind in der freiwilligen Feuerwehr."

Es fällt auf, dass Wolf bei aller Provokation der Gegenseite die Hand reicht. Er wolle die Transformation mit der IG Metall gestalten. Man müsse Mitarbeiter für neue Tätigkeiten qualifizieren, teils gar für neue Sektoren wie Handwerk oder Pflege. "Wer in unseren Branchen in den nächsten fünf bis zehn Jahren keine Arbeit mehr findet, den müssen wir in andere Branchen bringen. Wir haben eine gesellschaftliche Aufgabe."

Harte Ansagen an die Gewerkschaft kombiniert mit gesellschaftlichen Anliegen, die Manager sonst scheuen: Bei Stefan Wolf geht Ungewöhnliches zusammen. Darauf kann sich der Arbeitgeberverband einstellen. Und auf anderes. Auf dem Weg aus der Fabrik kommt er am Parkplatz A01 vorbei, auf dem sein primärer Dienstwagen steht - ein Tesla. Schon ein Statement für einen Arbeitgeberchef, der künftig Daimler, BMW und VW vertritt. Er freut sich unbändig, als sich die Flügeltüren nach oben öffnen wie bei einem Bond-Mobil.

Zu einem anderen Statement rang sich Wolf, der bis 2016 30 Jahre mit einer Frau zusammenlebte, im Frühjahr durch: Er outete sich. Sein neuer Partner ist der Musical-Sänger Kevin Tarte, der unter anderem als Graf Krolock in "Tanz der Vampire" auftrat. Fragt man danach, bürstet einen Wolf ab, so ein Outing sei doch nicht ungewöhnlich. Hakt man nach, welcher prominente deutsche Manager das noch gewagt hat, fällt ihm nur einer ein, und der ist nicht mehr aktiv. "Einer muss anfangen", sagt er dann und lacht.

Weil er jetzt öffentlich leben will, gab es für ihn keine Alternative mehr. Vor Wochen war er auf dem 75. Geburtstag des Schlagerpapstes Ralph Siegel. "Soll ich da nicht hingehen?" Nach dem Outing meldeten sich bei ihm einige Manager. Sie seien schwul, trauten sich aber nicht in die Öffentlichkeit. Politiker sind zunehmend offen, Manager noch nicht.

Fragen klärt Wolf lieber über Eskalation statt im Kuschelkurs

Stefan Wolf aber steht zu seinen Veränderungen, auch äußerlichen. Sah er vor fünf Jahren aus wie ein Ministrant, trägt er die Haare jetzt halblang. Dazu auch mal ein roter Anzug. Barfuß in den Schuhen, im November. Und Bänder um den Arm, die in Woodstock deutlich verbreiteter waren als sie beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall jemals sein werden. Für nachgiebig sollte ihn deshalb keiner halten. Ein Mitarbeiter erzählt, wie Wolf eine Stunde komplexer Debatte rasch zusammenfasst - und abschließt. Dabei nimmt er nicht jeden am Tisch mit. Ob es korrekt beschrieben sei, dass er Fragen eher über Eskalation denn Kuschelkurs klärt? "Ja." Einfach: Ja. Man müsse Dinge auf den Punkt bringen.

Ist Wolf jetzt der Richtige als Arbeitgeber-Chef für die Metallbranche? Einerseits gab sein Vorgänger Rainer Dulger den eindeutig größeren Haudrauf, ohne dass die Republik untergegangen wäre. Andererseits amtierte Dulger in Boom-Jahren, während nun ungemütliche Jahre angebrochen sind. Viel wird davon abhängen, ob Wolf den richtigen Ton trifft. Bei der IG Metall genau wie bei der Regierung, die sich weniger von der Autoindustrie vereinnahmen lässt als früher.

Er freut sich auf die Aufgabe, die noch politischer ist als seine Präsidentschaft bei Südwestmetall. Politik interessierte ihn schon, als er sich mit 15 eine Anti-Atom-Plakette anheftete. Damit wollte er vor allem den Vater ärgern, sagt er. Bald wechselte er zur Jungen Union. Heute beglückwünscht er Aktivisten von "Fridays for Future" dafür, auf die Straße zu gehen - um Atemzüge später zu betonen, dass Klimaschutz nicht nur von der Industrie zu leisten sei. Bei Stefan Wolf geht eben Ungewöhnliches zusammen, darauf kann sich Deutschland einstellen.

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