Porträt:Direkt und unduldsam

President Obama Signs Middle Class Tax Cut Bill

Lawrence Summers lehrt in Harvard und berät Politiker wie Bill Clinton und Barack Obama. Zuletzt wäre er fast Präsident der Notenbank Fed geworden.

(Foto: Andrew Harrer/Bloomberg)

Der bekannte Ökonom Lawrence Summers kritisiert in Berlin die deutsche Sparpolitik.

Von Nikolaus Piper, Berlin

So ist Lawrence Summers. Der Ökonom von Harvard hält sein Smartphone in die Höhe und erklärt, dass dieses Handy mehr Rechenkapazität habe als das gesamte Apollo-Raumfahrtprogramm der USA in den Sechzigerjahren. "Wir leben in einer Zeit außergewöhnlicher Möglichkeiten", sagt er, "aber eben auch einer Zeit enormer Frustration." Summers weiß, wie man Ökonomie verständlich macht und in praktische Politik umsetzt. Der heute 60-Jährige war schon Chefvolkswirt der Weltbank, Chefberater im Weißen Haus, US-Finanzminister und Harvard-Präsident. Zuletzt wäre er fast Präsident der Notenbank Federal Reserve geworden, hätte er nicht den Machtkampf innerhalb der Demokratischen Partei gegen die jetzige Amtsinhaberin Janet Yellen verloren.

Sein Rat ist weiter gefragt. Auf dem Treffen der G7-Finanzminister in Dresden diskutierte er zusammen mit mehreren Kollegen - unter ihnen Kenneth Rogoff, Nouriel Roubini, Robert Shiller und Martin Hellwig - die Lage der Weltwirtschaft. Jetzt spricht er in Berlin vor der American Academy und dem Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW) und äußert sich zu Grundsatzfragen und zur deutschen Wirtschaftspolitik.

Summers steht im Ruf, sehr direkt und unduldsam zu sein gegenüber Menschen, die er für weniger intelligent hält als sich selbst, und das sind die meisten. Immerhin ist er der Neffe zweier Nobelpreisträger - Kenneth Arrow und Paul Samuelson. In Berlin jedoch formuliert er mit großem Bedacht, was auch damit zusammenhängen mag, dass seine Position vom Wirtschaftsteam Barack Obamas ebenso geteilt wird wie vom Internationalen Währungsfonds.

"Der Versuch, Wachstum durch Konsolidierung des Staatshaushalts zu erzeugen - was die Bundesregierung praktiziert -, ist eine Strategie für bestimmte Zeiten und bestimmte Länder", sagt Summers vor Journalisten . "Sie ist nicht plausibel, wenn es um unmittelbare Kürzungen im Haushalt geht. Sie ist nicht plausibel, wenn die mittel- und langfristigen Zinsen sehr niedrig sind. Sie ist nicht plausibel, wenn es ungenutzte Kapazitäten, einen Mangel an Nachfrage und einen substantiellen Schuldenüberhang im Privatsektor gibt." Er hätte auch sagen können: Der Sparkurs von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble ist falsch. Die Deutschen sollen Geld ausgeben, private Investitionen fördern und nicht versuchen, immer wettbewerbsfähiger werden.

Mit Nachdruck warnt er die Notenbank davor, den Leitzins voreilig zu erhöhen

Im Übrigen sollten alle Beteiligten alles tun, um Griechenland und Großbritannien in der EU zu halten. Außerhalb der Währungsunion werde Griechenland seine Probleme nicht lösen können, dafür berge der Grexit schwer kalkulierbare Risiken. Der Austritt Londons sei ohnehin eine "Loose-loose-loose"-Situation. Alle verlören, die EU, Großbritannien und die USA, die eine "Brücke nach Kontinentaleuropa" verlören. Summers ist davon überzeugt, dass die Welt eine "säkulare Stagnation" durchlebt, eine Phase notorisch niedrigen Wachstums. Die Ursachen lägen darin, dass systematisch mehr gespart als investiert wird, wegen der wachsenden Ungleichheit (Reiche sparen mehr als Arme), wegen des Alterns der Gesellschaft und weil viele Schwellenländer systematisch Währungsreserven aufbauen. Da ist es schwierig, die Zinsen angemessen festzusetzen.

Niedrige Zinsen fördern zwar die Nachfrage, sie blähen aber den Preis von Vermögenswerten wie Immobilien, Aktien und Anleihen auf und können so zur Gefahr für die Stabilität werden.

Mit Nachdruck warnt Summers in Berlin die Notenbank davor, den Leitzins "voreilig" - also bereits jetzt - zu erhöhen. Er scheint zwar anzuerkennen, dass die Fed derzeit keine Munition übrig hat, wenn eine neue Rezession ausbrechen sollte. Schließlich kann der Zins nicht unter null Prozent sinken. Andererseits dürfe das kein Grund sein, mutwillig eine Rezession herbeizuführen. "Ich glaube nicht, dass die Fed die Zinsen erhöht, so lange sie nicht das Weiße im Auge der Inflation sieht." Mit anderen Worten: Ein echte Wende in der Geldpolitik gibt es nur, wenn die Preise spürbar steigen.

Die Deutschen tun vermutlich gut daran, Summers genau zuzuhören. Der Mann hat Obama und Bill Clinton beraten und er wird auch eine Präsidentin Hillary Clinton beraten, so sie denn gewählt werden sollte.

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