Porsche-Prozess:Das ganz große Ding

Wendelin Wiedeking

Der zurückgetretene Porsche-Vorstandsvorsitzende Wendelin Wiedeking am 23. Juli 2009 in Stuttgart bei einer Betriebsversammlung im Porsche-Werk Zuffenhausen.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Von diesem Donnerstag an steht der Ex-Porsche-Chef Wiedeking als Angeklagter vor dem Landgericht in Stuttgart - zusammen mit seinem damaligen Finanzvorstand Holger Härter.
  • Konkret geht es um die Frage: Wann hatten die beiden Manager zusammen mit ihren Vorstandskollegen und dem Aufsichtsrat beschlossen, den Volkswagen-Konzern mehrheitlich zu übernehmen?

Von Thomas Fromm, Max Hägler und Klaus Ott

Wendelin Wiedeking hat in diesen Wochen gut zu tun. Der begeisterte Traktorfahrer musste die Kartoffeln seiner Äcker nordwestlich von Stuttgart ernten und in die Scheune fahren. Seine Pizzakette Tialini ("Una storia italiana") läuft noch nicht so gut, wie er geplant hatte - neulich musste er die Geschäftsführung auswechseln. Und dann hat er noch Flüchtlingen in Stuttgart-Zuffenhausen Fußbälle überreicht - finanziert aus Mitteln seiner Stiftung.

Ackerbau, Pizzaofen, Wohltätigkeit. Das kann einen normalen Menschen von 62 Jahren ausfüllen. Aber füllt es auch einen wie Wiedeking aus?

Der Mann hat zwei sehr intensive Lebensphasen hinter sich, beide sind auf ihre Art Superlative. Phase eins beginnt 1992, und sie geht so: Ein Westfale übernimmt die Führung bei dem schwäbischen Sportwagenbauer Porsche. Die Autoschmiede ist marode, aber Wiedeking auf Zack. Er wagt Dinge, die andere vor ihm nicht gewagt haben, und lässt den Geländewagen Cayenne bauen. Wiedeking, der Porsche-Erlöser. Der Großverdiener. "Die Veröffentlichung meines Gehalts würde die Republik nicht verkraften", sagte er 2007. Damals lag sein Salär bei 69 Millionen Euro, im Jahr darauf waren es mehr als 100 Millionen Euro. Ein eher niedriges Grundgehalt, aber eine schöne Gewinnbeteiligung, das war Wiedekings Erfolgsformel.

Verhängnis in der späten Phase

Dann kam Phase zwei. Wenn man so will, ist das die späte Phase. Es ist die Phase, die ihm zum Verhängnis wird. Wegen der er von diesem Donnerstag an als Angeklagter vor dem Landgericht in Stuttgart antreten muss, zusammen mit seinem damaligen Finanzvorstand Holger Härter. Der Vorwurf: Wiedeking und Härter sollen im Zuge des Übernahmekampfes um Volkswagen Anleger mit Falschinformation gezielt getäuscht und den Kurs der VW-Aktie so manipuliert haben. Sollte der ehemalige Porsche-Chef verurteilt werden, dann wäre alles umsonst gewesen, was er in Phase eins erreicht hat in Zuffenhausen. Es war das ganz große Rad damals.

Hier der kleine feine Sportwagenbauer, dort der Megakonzern VW. Es war ein Milliardenspiel, dessen Beteiligte in nächtlichen Sitzungen mit Zigarren in den Händen um Tische herumsaßen und das biedere Zuffenhausen umbenannt haben sollen: in Entenhausen. Die Stadt, in der eine Ente namens Dagobert Duck in ihrem Geld schwamm. In den Geheimdokumenten von damals klang es - ein wenig - seriöser: Zuffenhausen hatte irgendwann den Code-Namen "Paris", aus Wolfsburg wurde "Venedig". Das alles war dann fast schon wieder selbstironisch.

Wegen Entenhausen, Paris und Venedig muss Wiedeking nun mindestens bis zum Januar immer wieder den Traktorsitz gegen die Anklagebank wechseln und wird sich, so ist aus seinem Umfeld zu hören, auch gleich zu Beginn zu Wort melden mit einer Stellungnahme.

Konkret geht es um die Frage: Seit wann hatten die beiden damals so selbstbewussten Manager zusammen mit ihren Vorstandskollegen und dem Aufsichtsrat beschlossen, den Volkswagen-Konzern mehrheitlich zu übernehmen? Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, dass Porsche fünfmal zwischen dem 10. März und dem 2. Oktober 2008 fälschlicherweise erklärt habe, man wolle die Beteiligung an Volkswagen nicht auf 75 Prozent aufstocken. Die Finanzholding Porsche SE (PSE) dementierte lange solche Übernahmepläne. Und dann, am 26. Oktober 2008, erklärte die Firma plötzlich, sie halte 74,1 Prozent der VW-Aktien - direkt oder über Optionen. Das Ziel: eine beherrschende Übernahme, ein Anteil von über 75 Prozent. Wobei, das ist der zweite Teil der Anklage, auch die Porsche-Informationen am 26. Oktober unvollständig gewesen sein sollen.

Entenhausen statt Zuffenhausen

Wie auch immer: Damals sollte Zuffenhausen endgültig Entenhausen werden.

Die Rede ist heute von einer "verdeckten Beschlusslage". Das bedeutet: Vorstände und Aufsichtsräte könnten, so der Verdacht, heimlich schon früh vereinbart haben, was dann erst später offizielle Strategie wurde. Dazu könnten Aufsichtsräte vielleicht einiges Erhellendes beisteuern, doch die haben ein Aussageverweigerungsrecht, weil auch sie im Fokus der Ermittler standen und wieder dorthin geraten könnten. Dabei wären gerade Aussagen von VW-Patriarch Ferdinand Piëch und seinem Cousin Wolfgang Porsche vor Gericht sehr spannend, aber dort dürften die beiden kaum erscheinen.

Und so werden in diesem Prozess eine Menge Protokollanten und Rechtsberater auftreten - sogenannte "Dritte", die in diesen Jahren stets mit am Tisch saßen. Sie müssen dann erklären, was damals geschah und was heute auch andere Gerichte beschäftigt. Investoren hatten sich in großem Stil mit Optionen auf VW-Aktien eingedeckt und verloren viel Geld, als nach der Porsche-Ankündigung Ende Oktober 2008, Volkswagen übernehmen zu wollen, der Kurs explodierte. Eine VW-Aktien kostete auf einmal 1000 statt 200 Euro.

Porsche, das war jetzt eine Art Entenhausener Hedgefonds geworden. Viele Anleger, darunter vor allem echte Hedgefonds, fordern ihr Geld zurück und klagen auf Milliardenbeträge. Was beim Landgericht Stuttgart herauskommt, könnte wegweisend sein für die Schadensersatzprozesse von damaligen Volkswagen-Aktionären, die auf die Staatsanwaltschaft setzen. Die Verteidigung von Wiedeking und Härter hält dagegen, bezeichnet die Vorwürfe als "ausnahmslos unbegründet" sowie "ersichtlich konstruiert, sachlich falsch und haltlos".

Der Fall ist extrem kompliziert. Es geht um Optionsgeschäfte, um Kauf- und Verkaufsoptionen, um die Funktionsweise des Aktienmarktes; auch deshalb wird man nicht umhinkommen, Experten in den Gerichtssaal zu holen. Die Rechtsnorm Marktmanipulation ist bislang selten angewandt worden. Es wird für die Juristen schwer werden, den Tatbestand aufzuarbeiten. Erst im vergangenen Jahr hatte das Landgericht beschlossen, gar nicht erst in die Hauptverhandlung einzusteigen, weil sie die Anklage der Staatsanwaltschaft für zu dünn hielt. Die Staatsanwaltschaft rief das Oberlandesgericht Stuttgart an, das entschied: Es muss verhandelt werden! Wie die Geschichte damals ausging, ist bekannt: VW drehte den Spieß um und übernahm Porsche, Wiedeking musste gehen. So kommt es, dass der frühere Porsche-Chef sich heute für Pizza interessiert.

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