Süddeutsche Zeitung

Börse:Ein Wunder namens Porsche

Alle Vorzeichen sprechen derzeit gegen Börsengänge. Der Sportwagenbauer zieht es trotzdem durch. Die Anleger reißen sich regelrecht um die Aktien - was VW Milliarden einbringt.

Von Caspar Busse und Max Hägler

Die Börse kennt seit Wochen nur eine Richtung und zwar die nach unten. Mitte dieser Woche rutschte der Deutsche Aktienindex (Dax) sogar unter die Marke von 12 000 Punkte, so niedrig wie seit November 2020 nicht mehr. Die Gründe: Der Krieg in der Ukraine, eine tiefe Energiekrise, eine hohe Inflation, eine bevorstehende Rezession - und vieles mehr.

Die Vorzeichen waren also alles andere als günstig, um einen Börsengang durchzuziehen, noch dazu den größten seit 1996, als die Deutsche Telekom privatisiert wurde. Doch Volkswagen hat es mit seiner Sportwagentochter Porsche trotzdem geschafft. An diesem Donnerstag notierte die Aktie erstmals an der Börse - und legte zum Start sogar noch weiter um etwa fünf Prozent auf bis zu 86 Euro zu, und stabilisierte sich dann bei knapp 85 Euro. Zuvor schon war die Nachfrage nach dem neuen Wert groß gewesen, die Aktie ist am obersten Ende der Preisspanne mit 82,50 Euro zugeteilt worden.

Die Nachfrage war schon vorab groß: Es wurden im Vorfeld fünfmal so viele Aufträge abgegeben, wie Aktien zu verkaufen waren. Das Börsenkürzel lautet "P911", in Anlehnung an den legendären Sportwagen 911 mit seinem röhrenden Boxermotor, den es bislang nur als Benzinversion gibt und nicht mit E-Motor. Auch die Telefonnummer der Hauptverwaltung von Porsche lautet 911. Das Grundkapital ist in insgesamt 911 Millionen Aktien aufgeteilt worden.

Es ist ein Wunder namens Porsche.

"Heute geht für uns selbst ein großer Traum in Erfüllung", sagte Oliver Blume am Donnerstag an der Frankfurter Börse: "Das ist ein historischer Moment für Porsche." Blume führt seit September in Personalunion Porsche und den Volkswagen-Konzern, dem Porsche bislang zu 100 Prozent gehörte. VW-Finanzchef Arno Antlitz erklärte: "Wir haben heute bewiesen: Volkswagen kann Kapitalmarkt, auch in einem herausfordernden Marktumfeld."

Porsche erreicht nun einen Wert von fast 78 Milliarden Euro. Damit sind die Stuttgarter an der Börse wertvoller als Mercedes-Benz mit 57 Milliarden Euro und BMW mit 46 Milliarden Euro, obwohl die beiden Konkurrenten deutlich mehr Fahrzeuge herstellen. Porsche stellt etwa 300 000 Fahrzeuge im Jahr her, die Gewinnmarge mit den hochpreisigen Sportwagen ist deutlich höher als bei der Konkurrenz. Ungewöhnlich: Die Konzernmutter Volkswagen selbst lag am Donnerstag mit 80 Milliarden Euro nur ganz leicht über dem Wert der eigenen Tochterfirma Porsche.

Große Börsengänge hat es schon sehr lange nicht mehr gegeben

Ob Porsche nun, wie von Konzernchef Blume vorhergesagt, zum "Eisbrecher" für weitere Börsengänge werden wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Zu groß sind die Unsicherheiten an den Märkten. Börsenkandidaten sind bisher auch nicht aus der Deckung gekommen. Große Börsengänge hat es in den vergangenen zwei Jahren ohnehin nicht gegeben, nur kleinere, und die liegen fast alle im Minus.

Insgesamt wurden knapp 114 Millionen Porsche-Vorzugsaktien platziert. Darin enthalten sind rund 15 Millionen Aktien als zusätzliche Mehrzuteilung, weil es so gut lief. Der große Anteil der Aktien ging laut Porsche an große Investoren. Privatanleger erhielten lediglich 7,7 Prozent des Platzierungsvolumens. Wegen der Überzeichnung des Angebots hätten nicht alle privaten Aktionäre berücksichtigt werden können, hieß es. Schon im Vorfeld hatten sich vier große Geldgeber, darunter auch VW-Großaktionär Katar, knapp 40 Prozent der Anteile gesichert. Weitere 114 Millionen Stimmrechtsaktien gingen an den Familienholding Porsche SE, die nicht zu verwechseln ist mit dem Sportwagenbauer. Diese ist wiederum Großaktionärin von VW und zahlte 88,69 Euro je Porsche-Aktie. Die Porsche SE, die nun eine Sperrminorität beim Sportwagenbauer hat, wird von den Familien Porsche und Piëch beherrscht.

Von dem Geld sollen alle profitieren: VW, Familie, Mitarbeiter, Aktionäre

Insgesamt fließen VW durch den Börsengang damit rund 20 Milliarden Euro zu. Die Hälfte davon soll wiederum an die VW-Aktionäre ausgeschüttet werden, die Sonderdividende muss noch von einer außerordentlichen Hauptversammlung genehmigt werden. Die andere Hälfte des Erlöses soll in den Umbau des Konzerns hin zur E-Mobilität investiert werden. Außerdem hofft das VW-Management, dass der Konzern insgesamt mit der neuen Börsentochter am Aktienmarkt mehr wert wird. Auch die Beschäftigten sollen profitieren: Die VW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im Haustarif und in Sachsen erhalten 2000 Euro Bonus. Porsche gab die Höhe eines möglichen Bonus für die Mitarbeiter noch nicht offiziell bekannt.

Investoren, so die Hoffnung von VW, können und werden nun gezielt Geld anlegen können für ein paar sehr definierte Sportwagen-Produkte wie etwa den 911er. Wer hingegen sein Geld in den Volkswagen-Konzern steckt, der investiert in Lastwagen, Busse, große Autos, mittlere und kleine, aus Spanien, Tschechien, China, Wolfsburg - und weiter auch in Porsche.

Investoren hatten insbesondere die mangelnde Corporate Governance im Konzern, bei VW und Porsche, kritisiert, also Defizite in der guten Unternehmensführung. Viele Beteiligte haben Eigeninteressen, die nicht deckungsgleich sind mit dem Unternehmen und die auch nicht klar voneinander getrennt sind. So ist Blume Vorstandsvorsitzender von VW und Porsche, die Interessen der beiden Börsenunternehmen können aber voneinander abweichen. Porsche will mehr Selbständigkeit, VW pocht auf Synergien zwischen den Autobauern.

Zudem, so ein weiterer Vorwurf, fehle im Aufsichtsrat der externe Sachverstand, weil das Land Niedersachsen, mit 20 Prozent an VW beteiligt ist, Gewerkschaften und dann auch die beiden Autoclans, die Porsches und die Piëchs, nahezu alle Plätze ausfüllen. Für frische Köpfe, zumal mit Widerspruchskraft, ist da kein Platz. Bei Porsche wurde zuletzt zumindest zwei weitere externe Leute in das Kontrollgremium berufen: die ehemalige Gucci-Managerin und freischaffende Wirtschaftsfrau Micaela le Divelec Lemmi sowie Melissa Di Donato Roos, Chefin der deutschen Software-Firma Suse.

Bei Vorbild Ferrari ist einiges anders gelaufen

Vorbild für den Porsche-Börsengang war unter anderem Ferrari. Fiat-Chrysler und der dort bestimmende Agnelli-Clan brachten den Luxussportwagenhersteller 2015 und 2016 in zwei Runden beinahe komplett an die Börse. Das ist eine Erfolgsgeschichte, nicht nur wegen des Börsenkürzels: "Race" heißt die Aktie an der New York Stock Exchange. Gut 50 Dollar betrug der Erstausgabepreis, der Krieg in der Ukraine brach den recht steten Aufwärtstrend zwar, aber die Aktie liegt derzeit immer noch bei etwa 190 Dollar, der Firmenwert bei 40 Milliarden Euro, obwohl Ferrari mit etwa 10 000 Fahrzeugen nur einen Bruchteil von Porsche herstellt. Trotz all der Weltkrisen - für Luxus ist offenbar fast immer Geld da auf der Welt, bei Kunden wie bei Anlegern.

Porsche wird aber auf absehbare Zeit nicht unabhängig sein wie Ferrari, obwohl das Management in der Hauptverwaltung in Stuttgart-Zuffenhausen sehr auf die neue Eigenständigkeit hoffen. Doch VW und die Porsche SE werden auch in Zukunft 100 Prozent der Stimmrechte von Porsche kontrollieren - und Doppel-Chef Oliver Blume wird auch dafür sorgen, dass nichts aus dem Ruder läuft.

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