Politshows:Über allen Gipfeln ist ... Merkel

"Konjunkturgipfel", "Jobgipfel", "IT-Gipfel": Merkel regiert gerne von allerhöchster Stelle aus. Ihre Botschaft: So kommt Deutschland über den Berg.

H.-J. Jakobs

In der Welt der Berge gilt der entscheidende Satz, es sei leichter, herauf zu kommen als wieder herunter. In der Politik ist es bekanntlich gerade anders herum: Der Abstieg vollzieht sich mitunter erstaunlich rasant. Ein bisschen Herumlavieren um die Wahrheit eines Tanklasterabschusses in Kundus zum Beispiel, und schon ist man nicht mehr Minister.

Merkel, IT-Gipfel, ddp

Auf ständiger Gipfeltour: Kanzlerin Angela Merkel.

(Foto: Fotos: dpa, Reuters, istock; Grafik: Büch)

Deshalb ist die Sache mit dem langen Aufstieg (im Parteijargon "Ochsentour" genannt) und dem Abstieg (der manchmal ein Fall ist) für viele Politiker so inspirierend, dass sie immerfort in alpinen Kategorien denken. Der Begriff "Seilschaft" hat es zur besonderer Bedeutung in ihrer Karriereplanung gebracht.

Große Höhen, kleine Schritte

Ganz besonders hat es den vereinigten Seilschaften der Terminus "Gipfel" angetan. Hier wiederum tut sich eine Frau hervor, die naturgemäß im Urlaub gerne wandert und schon vom amtlichen Titel her als "Bergführerin" durchgeht, auch wenn sie im flachen Brandenburgischen groß wurde. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es auf größte Höhen abgesehen, worüber ihre "Politik der kleinen Schritte" nicht hinwegtäuschen darf.

Deshalb also kann in Merkels Panorama eine Fachkonferenz keine Fachkonferenz sein, sondern mindestens ein "Gipfel". Unentwegt bittet die Frau an der Spitze der CDU zu Gesprächen auf allerhöchstem Niveau, auch wenn meist nur die akademischen Titel der Geladenen darauf hindeuten. Es gab "Integrationsgipfel", "Energiegipfel", "Autogipfel", "Konjunkturgipfel" , "Milchpreisgipfel" und "Bankengipfel", alles Großveranstaltungen, bei denen die Teilnehmer ihre Rucksäcke ablegten und von oben die Welt betrachteten. Am Dienstag schloss sich der "IT-Gipfel" in Stuttgart an, der weltberühmten Hauptstadt der Informationstechnologie.

"Wir sind noch nicht über den Berg", gipfelte der Wirtschaftsminister im Schwäbischen, aber da keuchte schon Bergführerin Merkel heran und propagierte "Green IT". Mit ihr geht es immer noch ein wenig weiter, herauf durch das Geröllfeld und das ewige Eis zum Gipfelkreuz, das in diesem Fall mit einem großen @ verziert ist. Dass einige im Tal Gebliebene fordern, wir bräuchten in Wahrheit einen "Netzpolitik-Gipfel" und keinen "IT-Gipfel", lässt sie unbeeindruckt. Immer unzufrieden, das ist doch die Höhe!

Der Weg ist das Ziel, weiß Merkel und ihre kleine Seilschaft, und am besten führt er nun mal zum Gipfelkreuz. Selbst wenn man schweres Gepäck namens "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" mit sich trägt, sind die Serpentinen der Bergpfade mit solcher Philosophie leicht zu bewältigen.

Gipfelei in Schlössern und Burgen

Die Kanzlerin weiß von ihren Erlebnissen in europäischer Landschaft, wie wichtig diese ganze Gipfelei ist. In der Ebene geht in der EU wenig zusammen, weshalb die Staats- und Regierungschefs häufig in Schlössern und Burgen ihre Spitzentreffen abhalten. Allein 2009 sind die Reinhold Messners der Politik in einem Halbjahr sieben Mal auf Gipfeln zusammengetroffen. Es gab beispielsweise den "EU-Frühjahrsgipfel", den "Nato-Gipfel", den "Weltfinanzgipfel", den "EU-Jobgipfel" und natürlich den ganz normalen "EU-Gipfel" in Brüssel.

Irgendein Gipfel ist immer, den man rhetorisch besteigen kann. Seit Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt 1975 in Rambouillet den "Weltwirtschaftsgipfel" ersannen, hat sich das Genre beträchtlich vermehrt. Der absolute Höhepunkt dieses Jahres ist der Klimagipfel in Kopenhagen. Leider erwartet das Volk dann Spitzenaussagen und nicht bodenlose Banalitäten, was von Fall zu Fall den Wert der Extratouren mindert.

Die Karawane zieht weiter

Als Angela Merkel übrigens in Berlin noch Flachlandtirolerin und Oppositionsführerin war, hat sie kräftig über die politischen Wanderungen des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder (SPD) gelästert. Der pflegte mit Kommissionen zu regieren, die so stolze Namen wie "Hartz" oder "Rürup" führten, was für Merkel eine Missachtung des Parlaments war. Die Einstellung änderte sich, sobald die Christdemokratin selbst die Regierung führen konnte. Selbstverständlich änderte sich an der "Kommissionitis" nichts - es kam nur die "Gipfelei" hinzu.

Kommissionen haben ja immer den Nachteil, dass andere jene Politik vorschlagen müssen, die man selbst für die beste hält. Bei Gipfeln aber sind die Ersten und Besten immer dabei, was dem stets misstrauischen Kontrollfreak Angela Merkel - die Team intern nur mit Kanzlerin-Initialien "TeAM" schreiben lässt - naturgemäß die Arbeit erleichtert.

In der Welt der Angela wird auch ein Geburtstag zum Gipfel, etwa die Feier zum 60. des Deutschbankiers Josef Ackermann, der sich ins Kanzleramt einige Menschen seiner Wahl einladen durfte. Die Gruppe wurde ergänzt durch Favoriten der Regierungschefin, so dass am Ende ein richtiges Ackermann-Gipfelchen zustande kam.

Maximale Erwartungen, minimale Lösungsdichte

Deutschland wird in der schwarz-gelben Koalition unter Merkel zwangsläufig immer mehr Gipfel erleben. Hier wurde eine Marke gesetzt, die maximale Erwartungen bei minimaler Lösungsdichte weckt. Die Karawane zieht weiter, die Gipfelbilder bleiben.

"Wer nicht weiterweiß, gründet einen Arbeitskreis", hieß es früher. Heute lautet die Parole: "Hat dein Problem einen Zipfel, brauchst du dringend einen Gipfel." Die Bachelor-Reform an den Universitäten zum Beispiel ist so deutlich missraten, dass 2010 dringend ein "Bologna-Gipfel" hermuss, wie die Bildungsministerin angekündigt hat. Es wird aber noch andere Bergtouren geben müssen, hin zum "Mehrwertsteuergipfel", "Säuglingsgipfel", "Fernsehreformgipfel", "Autobahnbaustellengipfel", "Krisentalsohlen-Gipfel" und zum "Afghanistan-Gipfel" - aber den gibt es ja schon mit der altertümlichen Bezeichnung "Afghanistan-Konferenz".

Die alpine Politshow läuft mit noch besserer Dramaturgie weiter, neben all den "G-8-Gipfeln" und "E-12-Gipfeln", die es routinemäßig gibt. Und die aufs Mitmachen versessenen Bürger überlegen bei all der Gipfelei weiter, was sich sonst noch so organisieren ließe. Es gibt fürs kommende Jahr bereits jetzt etliche Vorzeigebeispiele: den "Focus-CRM-Gipfel", den "Deutschen Manufacturing-Gipfel" und den "Würzburger Automobil-Gipfel". Das ist alles so lustig und tränentreibend, dass man auch im Fernsehen einen Scheibenwischer braucht, um all das Wasser wegzubekommen: Natürlich heißt die regelmäßige Volksbelustigung in der ARD mit Mathias Richling "Satire-Gipfel".

Wer die Welt retten will, kann das nur vom Gebirge aus tun. Fehlt eigentlich nur, dass Angela Merkel bei Richling vorbeikommt, ins Publikum winkt und fröhlich singt: "Endlich, wir sind über den Berg!"

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