Süddeutsche Zeitung

Autokartell:Politik und Autoindustrie geben ein jämmerliches Bild ab

Jahrelang sollen deutsche Autobauer betrogen und sich illegal abgesprochen haben. Die Politik schaute zu und schützte sie vor strengeren Regeln. Jetzt steht der Ruf der Industrienation Deutschland auf dem Spiel.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Bundesregierung, Ministerien und Autokonzerne geben ein jämmerliches Bild ab. Wie die drei Affen, die nichts sehen, hören und sagen, lavieren sie um den Verdacht herum, dass sich die Autobauer über illegale Absprachen der organisierten Abgasmanipulation schuldig gemacht haben. Die Hersteller mauern, das Kanzleramt erinnert sich nicht, das Wirtschaftsministerium weiß nichts. Die Elite des Landes steht vor einem Scherbenhaufen, den sie aber offenbar noch nicht sehen will.

Die Kartellvorwürfe gegen deutsche Autobauer katapultieren die Kritik an den engen Verflechtungen zwischen Regierung und Abgeordneten sowie Autobauern nebst Lobbyisten in eine ganz neue Dimension. Es geht nicht mehr darum, dass sich Konzerne mit politischer Unterstützung Vorteile zulasten der Verbraucher verschaffen. Es geht um mutmaßlich im großen Stil abgesprochene Betrügereien einer Vorzeigebranche. Der Standort Deutschland steht auf dem Spiel. Die sinkenden Werte der Konzerne an den Börsen zeigen, dass die Autobauer weltweit an Kredit und Ansehen verlieren. Will die Bundesregierung den Standort retten, muss sie ihre Beziehungen zur Autoindustrie komplett neu organisieren. Nicht übermorgen, sondern heute.

Es muss Schluss sein mit dem blinden Vertrauen, mit dem noch jeder Regierungschef den Forderungen der Branche gefolgt ist. Sicher hat die Autoindustrie gute Argumente, um in politischen Chefetagen angehört zu werden: Sie sichert eine Million Arbeitsplätze, sie steuert ein Fünftel zum Export bei, sie ist (noch) das Aushängeschild für deutsche Produkte im Ausland. Aber gerade weil das alles wichtig ist für den Wohlstand in Deutschland, müssen die Verantwortlichen in Bund und Ländern endlich genau hinschauen. Sie müssen der Gier der Konzerne ein Ende setzen und die Interessen von Bürgern und Umwelt gleichwertig behandeln.

Der Aufstieg der deutschen Autobranche hat nicht nur mit Ingenieurskunst zu tun, sondern auch damit, dass die politischen Entscheider ihre schützende Hand über sie gehalten haben. Systematisch räumten Bundeskanzler von CDU und SPD den Autobauern den Weg frei von Auflagen, die den Expansionsdrang hätten bremsen können. Die amtierende Bundeskanzlerin ist keine Ausnahme. Im Jahr 2008 führte Angela Merkel als EU-Ratspräsidentin die Europäer zu ehrgeizigen Klimazielen. Als es darum ging, die allgemeinen Ziele in konkrete Auflagen für Autos umzusetzen, griff sie persönlich zum Telefon, um zu intervenieren.

Es ist bemerkenswert, wie viel Coups auf diese Weise gelangen. Massiver Druck der Wolfsburger verhinderte über Jahre die verpflichtende Einführung von Rußfiltern. Schon 1999 hatte der Konzern die Nachbarn gegen sich aufgebracht, weil er in Brüssel in letzter Sekunde eine Richtlinie zur Rücknahme von Altautos blockieren und später entschärfen ließ. Ähnlich erfolgreich lobbyierte die Branche gegen strengere Abgas- und Klimagasvorschriften und realitätsnahe Tests.

So bizarr es klingt - es waren genau diese Erfolge, die in die jetzige Krise geführt haben. Die Konzernbosse, geblendet durch Milliardengewinne und Millionengehälter, verschlossen die Augen vor der Realität. Statt an die Kunden der Zukunft zu denken und an verbrauchsarme und umweltfreundliche Autos, setzten sie auf den Diesel und auf politische Hilfe. Erst das Projekt, Abgaswerte in großem Stil und womöglich geheimer Absprache zu manipulieren, ließ das Ganze platzen.

Anders als bei der Bankenkrise muss das Verursacherprinzip gelten

Die genaue Aufklärung wird Jahre dauern, Konsequenzen aber sind sofort zu ziehen. Dazu gehört, dass die Bundesregierung sicherstellt, dass die Autobauer die beim Kunden entstandenen Schäden sowie nötige Nachrüstungen aus eigener Tasche bezahlen müssen. Anders als bei der Bankenkrise muss das Verursacherprinzip gelten, dürfen weder Kunden noch Steuerzahler zur Kasse gebeten werden. Die Bundesregierung ist zudem gut beraten, Sammelklagen zu erlauben, mit denen deutsche Autofahrer so wie die in den USA Schadenersatz einfordern können.

Die Frage nach dem Auto der Zukunft aber kann die Branche nur allein beantworten. So, wie die deutschen Autobauer bisher schwere, schnelle und sichere Fahrzeuge zum Verkaufsschlager erklärt haben, müssen sie sich jetzt neu orientieren. Ob sie künftig E-Autos verkaufen oder Leichtbaufahrzeuge mit Verbrennungsmotor oder mit ganz neuen Antrieben - das liegt im Ermessen der Unternehmen. Die Politik muss sich darauf beschränken, umwelt- und gesundheitsrelevante Vorgaben zu machen. Schon beim Autogipfel nächste Woche im Kanzleramt wird sich zeigen, ob Politik und Unternehmen den Ernst der Lage verstanden haben.

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SZ vom 26.07.2017/vd
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