Politik gegen Spekulanten:Finanzkrieg in Europa

Staaten gegen Spekulanten, Gesetze gegen Milliarden: Europäische Politiker kämpfen mit der Finanzindustrie. Sechs Regierungen haben auf die Attacken reagiert und Leerverkäufe verboten. Doch an den Finanzmärkten glauben viele, dass das wenig hilft.

Harald Freiberger und Hans-Jürgen Jakobs

Wenn die Regierungschefs der 17 Euro-Länder in den vergangenen Monaten zusammentrafen, erklärte ihnen der Chef der Europäischen Zentralbank ab und an das wilde Treiben der Börsen. Jean-Claude Trichet erläuterte, wie das ist an der Wall Street, in der Londoner City oder in Frankfurt bei Bulle und Bär. Gewiefte Spekulanten der Hedgefonds und großer Investmentfonds schauen nach Schwächen einzelner Staaten, nach Haushaltsproblemen, und setzen dann zu gezielten Deals an, um davon zu profitieren.

File photo illustration shows a man silhouetted in front of an electronic board showing the FTSE MIB Index in Rome

Auch Italien ist ins Visier von Spekulanten geraten: Fieberkurve an der Börse in Rom.

(Foto: REUTERS)

Das Wort "short" kommt in solchen Ausführungen oft vor, es meint schnelle windige Verkäufe von Staatsanleihen durch Investoren, also "Leerverkäufe". Oder es geht um Spekulationen mit flankierenden Kreditausfallversicherungen. Und so erwischte es in den vergangenen Wochen ein europäisches Schulden-Land nach dem anderen, Griechenland, Irland, Portugal, seit neuestem auch Italien, Spanien und sogar Frankreich. Es läuft bei den Angreifern wie im Abzählreim " . . . und raus bist du".

Europas Spitzenpolitiker, seit langem gewarnt durch den Experten Trichet, begriffen, dass sie hier in einer Art Finanzkrieg stecken: Politik gegen Investoren, Staaten gegen Spekulanten, Gesetze gegen Milliarden. Seit Donnerstag wehren sich die Regierungschefs in diesem Konflikt mit Waffen ganz neuer Art: Gleich mehrere Staaten beschlossen, zeitweise das Verbot bestimmter Leerverkäufe einzuführen oder zu erweitern. So wollen Frankreich, Italien, Spanien und Belgien gegen den Missbrauch von Marktregeln angehen. Griechenland und Deutschland hatten schon vorher solche Modelle etabliert. Das Geschäftsmodell gieriger Fonds, aber auch nicht minder ambitionierter Privatanleger ("Day Trader") soll gestoppt werden.

Besonders der vergangene Mittwoch hat die Politiker in Angst und Schrecken versetzt. Plötzlich gab es auf den Finanzmärkten Gerüchte, Frankreich könne bei der Kreditwürdigkeit die Bestnote AAA verlieren. Staatspräsident Nicolas Sarkozy sah sich genötigt, seinen Urlaub abzubrechen, um die Märkte zu beruhigen. Schnell hieß es aus dem Elysée-Palast, man habe alle drei großen Ratingagenturen gefragt, niemand habe die Absicht Frankreich herunterzustufen.

15 Tage ohne Leerverkäufe

Doch die Gerüchteküche schwelte weiter. Nächstes Opfer war die Pariser Großbank Société Générale. Die britische Zeitung Mail on Sunday hatte ohne Angaben einer Quelle gemeldet, das Institut stecke in Schwierigkeiten. Die Meldung heizte die Spekulationen an und führte dazu, dass die Aktie der Société Générale am Mittwoch binnen weniger Stunden um mehr als 20 Prozent fiel.

Andere europäische Banken wurden mit nach unten gerissen, auch die Deutsche Bank und die Commerzbank, die an dem Tag bis zu neun Prozent verloren. Am größten aber waren die Kursverluste bei Instituten in Frankreich, Italien, Spanien und Belgien. Nicht zufällig sind es deshalb genau diese vier Länder, die der Spekulation nun einen Riegel vorschieben wollen.

Das Verbot von Leerverkäufen bezieht sich auf die Aktien von insgesamt 46 Finanzinstituten in den vier Ländern. Es gilt 15 Tage lang und soll dazu beitragen, die gegenwärtigen Turbulenzen besonders bei Finanzaktien einzudämmen.

Mit Leerverkäufen setzen Investoren, oft Hedgefonds, auf den Kursverfall einer Aktie. Es gibt zwei Formen: gedeckte und ungedeckte Leerverkäufe. Bei den gedeckten Transaktionen leiht sich ein Anleger gegen eine Gebühr Aktien von einem Investor, zum Beispiel einer Versicherung; anschließend verkauft er diese Aktien und bekommt das Geld dafür gutgeschrieben. Fällt nun der Kurs, kauft er die Aktie oft nur wenige Stunden später billiger von anderen Investoren wieder und gibt sie an den Verleiher zurück. Der Kursunterschied, abzüglich Gebühren, ist sein Gewinn.

Abenteuerliche Gerüchte

Bei ungedeckten Leerverkäufen muss sich ein Investor die Aktien dagegen nicht einmal leihen; das heißt, er verkauft etwas, das er gar nicht hat. Im Extremfall kann das dazu führen, dass mehr Verkaufsaufträge auf dem Markt sind, als es überhaupt Aktien gibt. Gerade ungedeckte Leerverkäufe können daher zu einem starken Kursverfall führen, vor allem in unsicheren Börsenzeiten. "Derzeit werden selbst die abenteuerlichsten Gerüchte nicht sofort verworfen", sagt Dirk Schiereck, Professor an der TU Darmstadt. Das könne jemanden auf die Idee bringen, etwas leer zu verkaufen und irgendeinen Unsinn zu erzählen, der dann tatsächlich geglaubt werde, um aus dem Kursverfall einen Gewinn zu erzielen. Das vorübergehende Verbot von Leerverkäufen könne gerade jetzt zur Beruhigung der Lage beitragen, erklärt Experte Schiereck; in der Urlaubszeit, in der die Umsätze nicht hoch sind, lassen sich mit wenigen Transaktionen die Kurse stark bewegen.

Die Experten an den Finanzmärkten sind sich aber auch einig, dass ein Verbot von Leerverkäufen nicht das Grundproblem löst: die hohe Verschuldung europäischer Staaten und die Risiken, die sich daraus für Banken und Versicherungen ergeben, da sie stark in Staatsanleihen investiert haben. Es sind also nicht nur die Spekulanten - es gibt auch einen sehr realen Hintergrund dafür, dass Finanztitel derzeit an der Börse besonders unter Druck stehen. Abzulesen ist das auch daran, dass sich die Banken untereinander kaum mehr trauen. Der Interbankenhandel, also das Geld, das sich die Institute gegenseitig verleihen, ist zuletzt deutlich zurückgegangen. Die Sorgen um Geldengpässe bei Kreditinstituten sind ein Grund für ihren Kursverfall. Dazu passt eine Meldung aus Dänemark: Die Regierung dort befürchtet, es könnte Liquiditätsprobleme bei einer Reihe kleinerer Banken geben, wenn im Jahr 2013 staatliche Garantien auslaufen.

Ohnehin sind es derzeit nicht unbedingt die als Zocker verschrienen Hedgefonds, die mit Leerverkaufs-Strategien auf einen Kursverfall wetten. Sie halten vielmehr ungewöhnlich viele Bankaktien, weil sie auf eine Erholung setzen, sagen Broker, die viele der Orders ausführen. Dagegen sichern sich offenbar gewöhnliche Investmentfonds damit gegen Verluste ab. "Investoren verkaufen in Italien aus Furcht. Italienische Banken halten rund 200 Milliarden Euro an italienischen Staatsanleihen", erklärt Analyst Davide Burani vom Fondsmanager Horatius.

"Das Verbot von Leerverkäufen läuft ziemlich ins Leere", sagt Börsenspezialist Daniel Fehring. Investoren könnten einfach auf andere Produkte wie Optionen und andere Börsenplätze wie London ausweichen, wenn sie gegen eine Aktie wetten wollten. Der Schritt könne allenfalls "psychologische Wirkung" entfalten. Die deutsche Finanzaufsicht sieht keinen Anlass, das Leerverkaufsverbot in Deutschland auszuweiten.

Viel wichtiger als ein Kampf gegen die Symptome ist es, das Problem an der Wurzel zu packen. Finanzexperten machen Europas Politiker für die Eskalation der Krise verantwortlich. Die Verantwortlichen müssten viel enger zusammenrücken. US-Investor George Soros stellt speziell Kanzlerin Angela Merkel an den Pranger.

"Die Euro-Krise hatte ihren Ursprung in ihrer Entscheidung, für Zahlungsausfälle nicht die Europäische Union, sondern jeweils die einzelnen Länder bürgen zu lassen", schrieb er im Handelsblatt. "Und es war das deutsche Zögern, das die Griechenland-Krise verstärkte und zu der Ansteckung führte, die sie in eine Existenzkrise für Europa verwandelte." Soros ist für gemeinsame europäische Anleihen und ein Euro-Finanzministerium, das auch EZB-Chef Trichet vorschwebt. Das aber lehnt Merkel entschieden ab. So weit will sie in der Wahl ihrer Waffen nicht gehen.

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