Polens Wirtschaftsminister:"Wir besteuern wie England"

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Mateusz Morawiecki: "Wir müssen Nischen besetzen, etwa Drohnen bauen oder generische Medikamente herstellen." (Foto: dpa)

Mateusz Morawiecki hält die Kritik an den geplanten Sonderabgaben für Banken und Handel für verfrüht. Auch Zweifel am Rating des Landes seien Teil des politischen Kampfes.

Interview von Florian Hassel

Mateusz Morawiecki, 47, ist Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident Polens. Anders als andere führende Minister gehört er nicht zur Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis). Seit 2007 leitete Morawiecki Polens drittgrößte Bank, die zur spanischen Santander-Gruppe gehörende Bank Zachodni WBK. Der fließend Englisch und Deutsch sprechende Wirtschaftsexperte soll die Wirtschaft modernisieren und ausländische Investoren über den Kurs der neuen Regierung beruhigen.

SZ: Herr Minister, Sie haben für Ihr Amt einen einträglichen Bankdirektorposten aufgegeben. Was reizt Sie am neuen Job?

Mateusz Morawiecki: Das Mandat, für Polen ein neues Wachstumsmodell zu finden, damit wir mit mehr Wissen und mehr Qualität konkurrieren können - und weniger mit niedrigen Lohnkosten. Ich will Innovationen vorantreiben, damit Polen auf dem Weltmarkt Produkte mit größerem Wertzuwachs anbieten kann als bisher - die Voraussetzung für weiteres Wachstum und höheren Lebensstandard.

Polen ist doch schon eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte . . .

Gewiss, unsere Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren gut gewachsen. Unser Export entspricht 45 Prozent der Wirtschaftsleistung. Aber polnische Firmen stehen nur für ein knappes Drittel des Exports, der Rest geht auf das Konto von Firmen mit ausländischem Kapital. Wir haben nichts gegen diese Firmen, sie sind gute Unternehmen dieses Landes. Wir wollen die Zusammenarbeit mit ausländischen Investoren intensivieren, aber gleichzeitig das Wachstum einheimischer Firmen beschleunigen und mehr Wohlstand in den Händen von Polen aufbauen.

Wie groß ist der Nachholbedarf?

Das vergangene Jahrhundert, mit zwei Weltkriegen und fast 50 Jahren Kommunismus war nicht günstig für Polen - auch nicht, wenn es um die Bildung von Kapital ging. Nach "Solidarnosc" und dem Ende des Kommunismus waren wir arm. Und wenn Sie etwa einen Blick ins Global Wealth Databook von Credit Suisse werfen, sehen Sie, dass noch heute ein Pole durchschnittlich nur auf ein Vermögen von knapp 22 000 Euro kommt, ein Grieche auf knapp 73 000 Euro, ein Deutscher auf knapp 160 000 Euro. Wir haben also noch eine Aufholjagd vor uns, die 50, auch 70 Jahre dauern kann. Deshalb wollen, ja müssen wir polnische Firmen aufbauen, die weltweit konkurrieren, die nach China, nach Indien, nach Afrika gehen können.

Was soll denn das polnische iPhone sein, mit dem Sie die Weltmärkte erobern wollen?

Wir müssen Nischen besetzen. Können wir ein neues Flugzeug bauen? Nein - da ist die Welt zwischen Boeing und Airbus aufgeteilt. Ein neues Auto? Auch nicht, hier sind es fünf, sechs große Firmen. Wir können auch nicht wie Pharmagiganten à la Pfizer oder Novartis eine Milliarde Dollar für die Entwicklung eines Medikaments ausgeben - so viel Geld haben wir nicht. Aber wir können etwa Drohnen bauen oder generische Medikamente herstellen. Polnische Programmierer sind in der IT-Branche erfolgreich, die polnische Firma Solaris baut moderne Elektrobusse. In zehn, 15 Jahren fahren in den meisten europäischen Städten nur noch Busse mit Elektro- oder Gasantrieb. Warum nicht mit polnischen Bussen?

Wie wollen Sie Modernisierung und Innovation fördern?

Wir werden die Regeln für die Wirtschaft bedeutend vereinfachen und mehr Möglichkeiten für Investitionen und Innovationen bieten - gerade auch für private Investoren. Ich bin ein entschiedener Anhänger privaten Unternehmertums. Geld ist vorhanden: Polnische Banken verfügen über rund 100 Milliarden Złoty (knapp 23 Milliarden Euro) Liquidität, polnische Unternehmen haben noch einmal fast 250 Milliarden Złoty (knapp 57 Milliarden Euro) auf ihren Konten. Außerdem planen wir, über die nächsten Jahre mehr als doppelt so viel Geld wie bisher für Forschung und Entwicklung auszugeben - knapp zwei statt 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Den Banken, deren Geld Sie gerne hätten und die überwiegend Ausländern gehören, tritt Polen aus Banker-Sicht gerade vor beide Schienbeine: mit einer Sondersteuer auf Banken und mit einem geplanten Gesetz, das in der Vergangenheit in Schweizer Franken vergebene Kredite zwangsweise auf einen niedrigeren Złoty -Kurs umstellen soll.

Mit der Bankensteuer besteuern wir die Banken relativ gesehen so hoch wie etwa England. Wir werden uns ansehen, wie die Steuer funktioniert und sie entsprechend anpassen, vielleicht für 2017. Zum geplanten Gesetz zur Umwandlung von Frankenkrediten gibt es bisher nur einen vom Präsidenten vorgelegten Entwurf. Polens Finanzaufsicht KNF wird eine solide Kalkulation vorlegen, welche Folgen ein solches Gesetz für die Wirtschaft und für den Bankensektor hätte. Vorher sind weitere Kommentare sinnlos.

Die Chefs etwa der Commerzbank und der General Electric Capital haben Polen schon gewarnt, ein rückwirkend in Kraft tretendes Gesetz zur Zwangsumwandlung der Frankenkredite widerspreche bilateralen Investitionsschutzabkommen und internationalem Recht.

Der Gesetzentwurf kann im Parlament immer noch verändert werden. Investitionsschutzabkommen und internationales Recht müssen dabei berücksichtigt werden. Für mich ist sehr wichtig, dass ein solches Gesetz keine Zwangsmaßnahme wird, sondern eine freiwillige Maßnahme - sowohl auf der Seite der Kunden wie für die Banken.

Sie haben beklagt, dass 70 Prozent der Banken im ausländischen Besitz sind. Soll sich das ändern?

Wenn es privates Kapital gibt, um ausländische Banken zu übernehmen, ist das okay. Wir sollten hier nicht dogmatisch sein.

Ihre Regierung will auch den Handel zur Kasse bitten, um Wahlkampfversprechen wie höheres Kindergeld zu finanzieren. Handelsketten, die ebenfalls oft Ausländern gehören, sollen eine nach Umsatz gestaffelte Sondersteuer zahlen. Käufe am Wochenende, wenn Polens Einkaufszentren voll sind, sollen am höchsten besteuert werden. Handelsvertreter sagen, angesichts niedriger Renditen bedeute das höhere Preise.

Auch das Gesetz über die Handelssteuer gibt es bisher nur als Entwurf - der sich in den vergangenen Monaten zudem schon drastisch geändert hat. Und er ist immer noch nicht fertig . . .

Sie haben kürzlich nach einem Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bekräftigt, Polen wolle weiter deutsche und andere ausländische Investitionen . . .

. . . so ist es - wir wollen neben polnischem auch weiter internationales Kapital, sowohl von internationalen Agenturen wie von privaten Geschäftsleuten oder von Anlage- und Rentenfonds, die rund um die Welt gute Renditen suchen.

Die Pis weckt mit ihrer Politik indes Misstrauen. Der Złoty hat in weniger als einem Jahr gegenüber dem Euro ein Zehntel an Wert verloren. Die Ratingagentur Standard & Poor's hat Polens Kreditwürdigkeit Mitte Januar heruntergestuft, die US-Großbank JP Morgan riet, Złoty zu verkaufen. Warum sollen Investoren ihr Geld noch nach Polen schicken?

Weil unsere Fundamentaldaten gut sind. Unsere Wirtschaft wächst, die Struktur der Wirtschaft ist ausgeglichen. Das Haushaltsdefizit für 2016 soll bei 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Unsere Zentralbank bleibt unabhängig. Die Entscheidung von Standard & Poor's war politisch und betraf eher die geopolitische Instabilität um uns herum - Ukraine, Russland, Syrien, die Flüchtlingskrise - als die Grundlagen der Wirtschaft in Polen.

Die EU-Kommission hat Polen unter Aufsicht gestellt. Standard & Poor's sorgt sich um die Unabhängigkeit zentraler Institutionen - des Verfassungsgerichts, der Medien, des Beamtenapparates - und stellt fest, dass die neue Regierung "Polens System institutioneller Gegengewichte bedeutend geschwächt" hat. Wie wollen Sie ausländische Investoren vom Gegenteil überzeugen?

Ich werde bald etwa ein Treffen mit der Deutsch-Polnischen Handelskammer organisieren und mit deutschen Investoren Details diskutieren. Die Vorwürfe gegen Polen sind Teil des politischen Kampfes. Unser System bei der Besetzung der Richterstellen am Verfassungsgericht etwa ähnelt dem Deutschlands. Unser Verfassungsgericht bestand aus 14 Richtern, die von der vorherigen Regierung bestimmt wurden - und nur einer von der heutigen Regierungspartei. Es ging zu sehr in eine Richtung. Die Medien waren zu 95 Prozent in der Hand der vorherigen Regierung. Jetzt, wo es etwas mehr Ausgeglichenheit gibt, ruft unsere Opposition im Ausland um Hilfe. Ich denke die Aufregung wird sich in den nächsten Wochen und Monaten legen.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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