Polen:Polens Wirtschaft leidet unter ihrer nationalistischen Regierung

The Palace of Culture is seen through the construction site of the new skyscraper in Warsaw, Poland

Blick auf Warschau. Die polnische Wirtschaft leidet zunehmend unter der unberechenbaren Politik der nationalpopulistischen Partei.

(Foto: Kacper Pempel/Reuters)
  • Die Arbeitslosigkeit in Polen ist niedrig, die Wirtschaft wächst. Trotzdem steht die polnische Wirtschaft vor einem Problem.
  • Seit die rechtspopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) an der Macht ist, steigen die Staatsausgaben, Investoren ziehen sich zurück, die Währung verliert an Wert.

Analyse von Florian Hassel, Warschau

Es ist kein schlechtes Leben als polnischer Autohändler für Opel oder Toyota, Ford und für Volkswagen. Polens PKW-Handel eilt von Rekord zu Rekord. Allein im April wuchsen die Autoverkäufe im Vergleich zum April 2015 um über 22 Prozent. Und der Konsumrausch dürfte weitergehen, da Millionen Polen durch höheres Kindergeld jeden Monat mehr Geld im Portemonnaie haben, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Wirtschaft 2016 mit voraussichtlich 3,5 Prozent "fast auf vollen Touren" weiterwächst, so der Internationale Währungsfonds (IWF). Das ist die eine, die glänzende Seite der polnischen Wirtschaft.

Die dunklere Seite zeigt ein Polen, dessen Regierung die Staatsausgaben erhöht und dessen Währung seit dem Wiedererstarken der nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) ein Zehntel ihres Wertes verloren hat. Sie zeigt ein Polen, dessen börsennotierte Unternehmen rund 50 Milliarden Dollar an Wert verloren haben und in dem viele Anleger Staatsanleihen verkaufen; ein Polen, das nicht nur EU-Kommission und Europarat zunehmend kritisch beurteilen, sondern auch Ratingagenturen und, trotz manchen Lobes, auch der IWF.

Ratingagenturen sehen das Land skeptisch

Polens Währung, der Złoty, begann an Wert zu verlieren, kaum dass Pis-Kandidat Andrzej Duda am 10. Mai 2015 die erste Runde der Präsidentenwahl gewonnen hatte. Das lag vor allem an populistischen Wahlversprechen: mehr Kindergeld, eine Senkung des Rentenalters, höhere Steuerfreibeträge, Sondersteuern für Banken und Handel. Duda wurde Präsident, Ende Oktober gewann die Pis auch die Parlamentswahl und regiert seitdem mit absoluter Mehrheit. Schnell beschloss sie eine Sondersteuer auf Banken und höheres Kindergeld. Politisch unterstellte sich die Regierung binnen Wochen unter anderem die öffentlich-rechtlichen Medien, den Beamtenapparat und die zuvor unabhängige Generalstaatsanwaltschaft. Sämtliche entsprechenden Gesetze waren mutmaßlich verfassungswidrig, doch die Regierung hatte das Verfassungsgericht als Erstes gelähmt und erklärt, sich nicht mehr an gegen sie ausfallende Urteile der Richter zu halten.

Der erste Schock aus wirtschaftlicher Sicht kam für die Regierung am 15. Januar: Da setzte die für Anleger wichtige Ratingagentur Standard & Poor's Polens Kreditwürdigkeit herab und verwies auf die "bedeutende Erosion" der Gewaltenteilung. Am 11. Mai war mit Moody's die nächste große Ratingagentur an der Reihe. Finanzminister Pawel Szałamacha schrieb dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Andrzej Rzepliński, einen Brief: Rzepliński solle doch bitte den Mund halten, solange die Moody-Inspektoren nicht entschieden hätten. Doch Rzepliński erzählte der Zeitung Rzeczpospolita vom Ministerbrief, worauf Polens Währung erst einmal weiter an Wert verlor.

Als die Ratingagentur Moody's am 13. Mai ihre Entscheidung bekannt gab, fiel diese besser aus als von Pessimisten befürchtet: Polen wurde nicht abgewertet. Erleichtert über diese Entscheidung gewannen Börse und Złoty wieder. Doch die Erleichterung könnte kurzfristig sein. Die Tendenz für Polen sei negativ, urteilten die Moody's-Fachleute. Das bedeutet: Polen kann bei der nächsten Entscheidung im September abgewertet werden. Auch die Moody's-Spezialisten kritisierten nicht nur "einen deutlichen Anstieg der Ausgaben", etwa durch das höhere Kindergeld, sondern stellten auch "einen Wandel zu unvorhersehbarer Politik und Gesetzen" fest - etwa beim Vorgehen der Regierung gegen das Verfassungsgericht.

Polnische Unternehmen verlieren an Wert

Während der Kursverlust des Złoty für jeden Polen in der Wechselstube und am Preis für importierte Waren zu verfolgen ist, achten nur wenige Polen auf die Börse. Dort aber haben polnische Unternehmen nach einer Auswertung des Börsenindexes WIG20 durch den Wirtschaftsdienst Bloomberg im vergangenen Jahr 50 Milliarden Dollar an Wert verloren. Allein im Januar und Februar betrug die Kapitalflucht 24,4 Milliarden Zloty (5,6 Milliarden Euro), 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung Polens, zeigen Statistiken der Nationalbank.

Anleger verkaufen nicht nur Aktien, sondern zunehmend auch polnische Staatsanleihen. Für Polen, zur Finanzierung auf westliche Investoren angewiesen, ist dies ebenso gefährlich wie teuer. Mitte Mai lag der Aufschlag für polnische Zehn-Jahres-Anleihen knapp drei Prozentpunkte über Bundesanleihen. Führe "ein ausgedehnter Konflikt zwischen der Regierung und dem Verfassungsgericht" weiter zu "substantiellem Kapitalabfluß", könne dies zu einer polnischen Abwertung führen, so die Moody's-Analyse vom 13. Mai. Auch der IWF warnte am Dienstag, neben weniger Haushaltsdisziplin könne auch "die Schwächung einiger Institutionen und Politikansätze" die Stimmung der Investoren weiter verschlechtern.

Teure Wahlversprechen belasten den Haushalt

Auch haushaltspolitisch sorgt die Regierung für Bedenken. Setzt die Regierung weitere Wahlversprechen um, liegt Polens Haushaltsdefizit schon 2017 wieder deutlich über den in der EU erlaubten drei Prozent der Wirtschaftsleistung, kalkulieren IWF und Ratingagenturen übereinstimmend. Schon das höhere Kindergeld - Zusatzkosten von 3,9 Milliarden Euro allein 2016 - ist nur 2016 durch einmalige Sondereinnahmen wie Privatisierungserlöse abgedeckt. Dazu beharrt die Regierung bisher auf der Umsetzung höherer Steuerfreibeträge, der Rücknahme einer Erhöhung des Rentenalters oder einer Sondersteuer auf den Einzelhandel. Banken, die zu zwei Drittel in ausländischem Besitz sind, müssen schon ab Februar 2016 eine jährliche Sondersteuer von 0,44 Prozent der Aktiva zahlen. Die Folge ist: Die Kreditvergabe ist bereits zurückgegangen.

Und bisher beharrt die Regierung auf einem noch teureren Projekt: der rückwirkenden Zwangsumwandlung von Krediten, die eine halbe Million Polen früher in Schweizer Franken bei den Banken aufnahmen, und die sie wegen eines höheren Frankenkurses nun teurer bei der Rückzahlung kommen. Diese Kredite im Umfang von knapp 34 Milliarden Euro sollen nach den bisher bekannten Plänen rückwirkend auf Złoty umgestellt werden, zu Lasten der Banken. Die Kosten für die Kreditinstitute belaufen sich laut Finanzaufsicht voraussichtlich auf umgerechnet knapp 15 Milliarden Euro, mehr als das Vierfache ihrer Jahresgewinne 2015. Präsident Andrzej Duda, der die Umstellung der Frankenkredite im Wahlkampf verfocht, lässt zwar verbreiten, er denke über Alternativen nach. Allerdings entscheidet der Präsident nichts. Pis-Parteichef Jarosław Kaczyński, Polens eigentlicher Herrscher, betonte noch Mitte April, die Kredite würden auf jeden Fall zwangsumgestellt. Schließlich seien sie "eine Form von moderner Sklaverei".

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