Pokémon Go:ÖPNV - Das P steht für Pokémon

Rheinbahn organisiert eine Pokemon-Fahrt durch die Stadt

Jennifer Kosche - mit Pokémon-Jacke - hat bei der Fahrt der Rheinbahn durch Düsseldorf mitgemacht

(Foto: dpa)

77 Pokémon-Go-Spieler sammeln im Sonderzug auf einer speziellen Route Monster - mit Wlan, Energydrinks und Akkupacks. Unser Autor war dabei.

Von Manuel Heckel, Düsseldorf

Eine Straßenbahn zuckelt durch den Düsseldorfer Stadtteil Derendorf, normalerweise wäre sie am Donnerstagabend voll mit müden Pendlern auf dem Weg nach Hause. Doch diese Straßenbahn ist nicht normal: "Seht ihr das Lapras?", schreit eine Gruppe Fahrgäste, weiter vorne stimmen andere ein. "Höchste Konzentration jetzt", fordern die Mitfahrer im hinteren Teil. Dann biegt die Straßenbahn nach links ab, und durch den Wagen geht ein enttäuschtes Stöhnen. Das Lapras, ein besonders begehrtes Pokémon, verschwindet wieder von den Handydisplays der Fahrgäste.

Auf dem Papier war es nur eine weitere Sonderfahrt der Rheinbahn, den Düsseldorfer Nahverkehrsbetrieben: Betriebsauftragsnummer V90593, Abfahrt 16 Uhr am Hauptbahnhof, Ankunft nach etwa 30 Kilometern Wegstrecke am Graf-Adolf-Platz in der Innenstadt. Doch diese Zahlen beschreiben die Route der "Poké-Bahn". Sie wurde extra so geplant, dass die Spieler an möglichst vielen Pokéstops vorbeikommen, wo sie virtuelle Gegenstände für das Smartphone-Spiel finden und einsammeln können.

Die Poké-Bahn war die erste Pokémon-Straßenbahnfahrt in Deutschland, andere Verkehrsbetriebe haben ähnliche Aktionen angekündigt. "Wir mussten da schnell auf den Zug aufspringen", sagt eine Rheinbahn-Sprecherin. Auf ihrem Handy lässt sich das Spiel nicht installieren, aber sie weiß: Der Hype kann fix wieder vorbei sein.

Hunderte Interessenten für 77 Tickets

Rheinbahn organisiert eine Pokemon-Fahrt durch die Stadt

Rheinbahn-Mitarbeiterin Martyna Malachowski hat die Fahrt der Poké-Bahn organisiert, die 77 Tickets waren schnell ausverkauft.

(Foto: dpa)

Noch ist der Hype da - und wie: Die 77 Fahrkarten für je acht Euro waren nach drei Stunden weg, auf der Warteliste standen fast 200 weitere Pokémon-Fans. An der Bahnsteigkante drängeln sich die Spieler, einige wenige ohne Karte hoffen noch auf Gnade am Einstieg - vergeblich. "Bis zum Ende des Sommers hält das, wenn kein bedeutendes Update mehr kommt", sagt Johannes, der mit einer größeren Gruppe Freunde zugestiegen ist. Ein Geburtstagskind sitzt im leuchtend gelben Pikachu-Ganzkörperkostüm zwischen ihnen. Journalisten wollen ihn unbedingt fotografieren und filmen, doch das menschliche Pikachu wehrt sich erfolgreich.

Eigentlich kann man die historische Straßenbahn für Partyfahrten mieten, als Poké-Bahn ist sie stilgerecht mit Pokémon-Stickern verziert. Ein paar zusätzliche Aufkleber stammen von einem großen Telekommunikationsunternehmen mit Hauptsitz in Düsseldorf. Es spendiert während der Fahrt Wlan und Energydrinks. Außerdem hat es in virtuelle Lockmodule entlang der Strecke investiert, damit die Spieler mehr Pokémon fangen können. Rheinbahn-Mitarbeiterin Martyna Malachowski ("gerade erst Level 11, leider, aber ich fange hier ganz gut was weg") hatte vorher mit einem Experten fürs Streckennetz ausbaldowert, wo interessante Stationen und Nester liegen könnten.

Die Bahn fährt zu schnell, um Eier auszubrüten

Nicht alles klappt perfekt: Als die Bahn losfährt, stöhnen einige Mitfahrer auf. Denn obwohl das Tempo wie versprochen sehr gemächlich ist, fährt die Poké-Bahn immer noch deutlich schneller als Schrittgeschwindigkeit. "Eigentlich wollte ich ja Eier ausbrüten", sagt etwa Wolfgang, eher Mitte 50 als Mitte 20, nach der Hälfte der Fahrt. Dafür muss man zwei, fünf oder zehn Kilometer laufen - doch es werden nur Entfernungen gezählt, die man annähernd in Schrittgeschwindigkeit zurücklegt. Wolfgangs Blick ruht dabei ununterbrochen auf dem Handydisplay - falls was kommt, muss man schnell sein. "Level 17 will ich hier eigentlich noch schaffen."

Der Lapras-Zwischenfall verdeutlicht ein weiteres Problem: Aus naheliegenden Gründen ist die Bahn an die Schiene gebunden. Wenn ein Pokémon ein paar Meter abseits der Strecke unterwegs ist, entgeht es den Spielern. Obwohl an der Strecke etliche Lockmodule leuchten, liegt nicht in der Hand der Rheinbahn, welche Pokémon dort auftauchen. Das entscheidet der Algorithmus des Entwicklers Niantic. Für viele V90593-Fahrgäste heißt das: Sie fangen eher ihr elftes Taubsi, als ein seltenes Glumanda. Letzteres ist aber vor allem als Wlan-Passwort an Bord präsent.

Woran erkennt man Pokémon-Spieler? Natürlich am Akkupack

Die Stimmung ist trotzdem bestens. "Man darf es nicht überbewerten" sagt Franzi, "ich finde es gut, dass ich dabei bin." Das gilt für die meisten in dieser Bahn. Das verbindende Element fast aller Mitfahrer ist ein Kabel, das vom Handy irgendwo in die Jacke oder in den Rucksack führt. Damit dem Smartphone während der dreistündigen Tour nicht der Saft ausgeht, braucht es ein externes Akkupack.

Johannes und seine Freunde ärgern sich, dass sie aus Rücksicht auf mögliche Kinder an Bord auf Bier verzichtet haben, holen aber schnell Trinkpäckchen und Schokokekse als Ersatzverpflegung hervor. Florian berichtet, dass ihm das Spiel lange Zeit kostenlose Sandwiches in einer Fast-Food-Filiale beschert hat, die so Spieler ab einem bestimmten Level lockte.

Zwei Sitzreihen dahinter freuen sich Franzi und Freundin Daniela, dass sie in einer lokalen Facebook-Gruppe noch auf den letzten Drücker Karten für die Poké-Bahn ergattern konnten. Und Mike, der diese Gruppe mit mittlerweile knapp 3000 Mitgliedern verwaltet, ist immer wieder quer unterwegs durch die Bahn, filmt sich, die Spieler und die Journalisten.

Ein Open-Air-Kinoabend für Pokémon-Fans

Eigentlich ist Mike gerade in der Umschulung zum Erzieher, allerdings hat er gerade Urlaub. Die nutzt er, um die Gemeinschaft der Düsseldorfer Spieler zusammenzubringen. Die temporäre Sperrung der Girardet-Brücke in Düsseldorf, einem populären Treffpunkt der Pokémon-Fans, hat er mit initiiert. Dazu noch ein paar Schilder aufgehängt, dass die Spieler der virtuellen Welt doch bitte ihren sehr realen Müll mitnehmen sollen. Selbst spielen bleibt für Mike derzeit eher auf der Strecke.

Es hat aber gereicht, um bislang 127 von 151 der möglichen Pokémon zu fangen. Mehr gibt es in Düsseldorf nicht, einige, die fehlen, sind derzeit wohl nur auf anderen Kontinenten zu holen. "Wenn in ein paar Wochen nichts Neues kommt, flacht die Begeisterung für das Spiel ganz sicher ab", ist Mike überzeugt. Aber bis dahin will er die Pokémon-Welle noch weiter reiten. Gerade wartet er auf den Rückruf eines Open-Air-Kinos. Er träumt von einem Abend mit Pokémon-Filmen unter dem Nachthimmel.

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