Plattform "Tumblr":Zurück zu den Wurzeln

Seat of Design, 40 foot high chair outside the Photo LA exhibitio

Viele Designinteressierte haben Tumblr genutzt, um Fotos von Produkten auszutauschen, zum Beispiel Bilder von Stühlen.

(Foto: Mike Nelson/picture alliance)

Die Seite Tumblr war ein großer Hoffnungsträger im Internet, ja sogar ein fester Bestandteil der Netzkultur. Dann folgte der tiefe Fall. Jetzt soll die Blogplattform verkauft werden - Tumblr könnte zu seinen Wurzeln zurückkehren.

Von Dirk von Gehlen

Es gab mal eine Zeit, da hätte man nach der Meldung vom Verkauf der Plattform Tumblr sofort einen Tumblr aufgesetzt, der all die Dinge auflistet, die Tumblr mal sein wollte oder sein sollte. "Einen Tumblr machen" war von 2010 an fester Bestandteil der Netzkultur. Es beschrieb die Möglichkeit, mithilfe der Plattform und ihrer Software schnell Bilder und Meldungen in einer Sammlung aufzulisten. Diese Art Webseite hieß: Blog.

Der portugiesische Designer João Rocha hatte im Herbst 2010 der Webwelt erstmals gezeigt, welcher Spaß mit einem solchen Tumblr verbunden sein kann. Seine Liste der umgedeuteten Propaganda-Fotos, die den damaligen nordkoreanischen Diktator Kim Jong-il beim Betrachten von Dingen zeigen, wurde zur Vorlage für unzählige Fotosammlungen. Die waren inhaltlich zwar völlig unterschiedlich, basierten aber alle auf dem Tumblr-Prinzip: Mit wenig Aufwand war eine Seite wie dingedietumblrmalseinsollte.tumblr.com erstellt. Mit noch weniger Aufwand ließen sich dort Bilder, Tonschnipsel und Zitate aus anderen Seiten bündeln, die dem Macher passend erschienen.

Fortan war Tumblr für die Webwelt so etwas wie ein sehr talentierter Fußballer, der ein paar herausragende Tore erzielt, aber noch wenige Titel gewonnen hatte: das nächste große Ding! Yahoo verpflichtete das Riesentalent und alle staunten - auch über die unfassbare Ablösesumme von 1,1 Milliarden Dollar. Doch der Plattform ging es wie einem überhypten Fußball-Talent. Vor lauter Meldungen über die Ablösesumme ging die Aufmerksamkeit für das Spiel etwas verloren.

Jetzt kehrt das ewige Talent Tumblr sozusagen zu seinen Wurzeln zurück. Berichten zufolge soll es für weniger als zehn Millionen Dollar von Automattic übernommen werden. Bei den Machern der Blogsoftware Wordpress soll Tumblr künftig ein neues Zuhause finden und - in der Fußballsprache ausgedrückt - die Freude am Spiel wiederfinden. Die Firma Automattic ist fürs Publizieren im Digitalen so etwas wie Wikipedia für die Welt der Lexika. Ein Star, der voll und ganz nach digitalen Prinzipien funktioniert. Weil Automattics Basis-Software Wordpress kostenlos ist, wird das Content Management System (CMS) von einem Drittel aller Webseiten verwendet, die ein CMS nutzen. Wordpress ist mit einem Freemium-Modell erfolgreich, bei dem viele Nutzer nichts zahlen, einige für mehr technische Möglichkeiten aber schon.

Bei der Wordpress-Mutter dürfte Tumblr zu dem zurückkehren, was das Angebot in den Jahren nach 2010 zwischenzeitlich zum nächsten großen Ding im Internet gemacht hatte: zum Bloggen. Wer aktiv dabei ist und sich auf Tumblr einloggt, sieht sozusagen auf der Rückseite des Internets: ein Armaturenbrett für all die Tumblr-Blogs, in denen Nutzer alles sammeln, speichern und verbreiten können, was ihnen im Web gefällt. Diese private Pinnwand machte Tumblr sehr beliebt. Eine Umfrage im Januar 2013 ermittelte, dass die 13- bis 25-jährigen Amerikaner mehr Zeit bei Tumblr als bei Facebook verbrachten. Vor Automattic liegt viel Arbeit. Mittlerweile ist Tumblr keine große Sache mehr, sondern für viele in erster Linie Grund für Kopfschütteln. Wer heute das Kim-Jong-il-Blog aufruft, landet auf einer vollflächigen Datenschutz-Erklärseite, die vor allem eines zeigt: Die Markengruppe Oath (die zu Verizon gehört) hat offenbar wenig Interesse, Nutzer auf die Seite zu lassen, die nicht eingeloggt sind. Das schreckt ab, und es hat auch mit Pornografie zu tun. In seiner populärsten Phase war Tumblr nämlich auch deshalb äußerst beliebt, weil dort jede Menge Pornos verbreitet wurden. Verizon hatte dies Ende 2018 unterbunden, woraufhin die Pornoplattform Pornhub mehrmals angeboten hatte, Tumblr zu übernehmen.

Schon der einstige Besitzer Yahoo hatte Tumblr als relevante Blogplattform vernachlässigt. Auch als Verizon Yahoo übernahm, wurde es für Tumblr nicht wirklich besser. Es gab zwar immer noch gelegentlich schöne Tore, aber die Hoffnung auf Siege (also mehr Umsatz und Ertrag) erfüllte sich nicht in dem Maße, wie sich das Yahoo und Verizon gewünscht hatten.

Der neue Tumblr-Besitzer Automattic wurde von Matt Mullenweg gegründet. Ihm ist es gelungen, ein funktionierendes Geschäftsmodell aufzubauen, bei dem die kostenlose Nutzung im Mittelpunkt steht. Geld verdient sein Unternehmen mit Dienstleistungen, die erst durch diese kostenlose Nutzung entstehen. Das reicht von der Abwehr von Spam über die Eintragung von Internet-Domains bis zu besonderen Angeboten für Geschäftskunden. "Wir glauben daran, das Web zu einem besseren Ort zu machen", schreibt Automattic auf seiner Website. Jetzt soll auch Tumblr wieder ein besserer Ort werden.

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