Zuerst die gute Nachricht. Strohhalme aus Kunststoff sterben aus, Einweggeschirr auch und Plastiktüten sowieso. Immer mehr Menschen hasten mit wiederverwendbaren To-Go-Bechern und Lunch-Boxen durch die Gegend. Und wagt es ein Supermarkt, klein geschnittenes Obst oder einzelne Bananen in Plastikverpackung anzubieten, ist ihm der virale Shitstorm sicher. Selten war das Bewusstsein für nachhaltiges Handeln so groß wie zur Zeit. Nicht nur die großen Umweltverbände, sondern auch die Bundesregierung und die EU-Kommission haben Plastikmüllbergen den Kampf angesagt. Und so ökopopulistisch die Debatte gelegentlich auch geführt wird: Immerhin findet sie statt.
Doch die Realität sieht anders aus. Deutschland ist Europameister im Wegwerfen. 220 Kilo Verpackungsmüll fallen in Deutschland jedes Jahr pro Kopf an. Das ist absurd viel. Und es wird nicht weniger, im Gegenteil: Die Flut an Verpackungsmüll schwillt weiter an. Bis heute hat die Welt den Planeten mit unfassbaren 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff überzogen. Sichtbar wird das in Ländern wie Malaysia, Thailand oder Indien, wo Menschen und Umwelt am Müll der westlichen Welt zu ersticken drohen.
Noch immer glauben zu viele Menschen, der Müll in den Weltmeeren sei ein anderer als der, den sie zu Hause in die Tonne werfen. Was kann Deutschland, der Recycling-Vorreiter, schließlich dafür, wenn in Malaysia schmutziges Plastik in die Meere gelangt? Eine ganze Menge.
Etwa ein Drittel der Verpackungen, die im Gelben Sack landen, gelten nach wie vor als "nicht recyclingfähig". Sie sind entweder stark verschmutzt oder bestehen aus Verbundmaterialien, die nur schwer voneinander zu trennen sind. Aber anstatt bessere Sortieranlagen zu entwickeln, war es bislang günstiger, den Plastikmüll einfach zu verbrennen - oder ihn zu exportieren.
Ein Gesichtsverlust für die deutsche Recycling-Industrie
Über Jahrzehnte landete fast die Hälfte der globalen Kunststoffabfälle in China. Doch das Land will den Müll der Welt nicht mehr und hat den Import gestoppt. Die Entsorger standen vor der Wahl: Sollten sie viel Geld investieren und neue, modernere Recycling-Anlagen für den zusätzlichen Müll bauen? Oder einen neuen Abnehmer in Südostasien suchen, für den das Geschäft mit dem Abfall lukrativ ist? Die Wahl fiel auf Letzteres.
Für die Industrie eines Landes, das sich nicht nur rühmt, Recycling-Weltmeister zu sein, sondern auch für seine Ingenieurskunst gefeiert werden will, ist das ein Gesichtsverlust. Es ist nicht vertretbar, deutschen Müll in einem Land abzuladen, das nicht einmal mit seinem eigenen Abfall klarkommt. Der Kampf gegen den Plastikmüll muss, will man ihn gewinnen, grundlegend anders geführt werden.
Zunächst muss Deutschland den Handel mit dreckigem Plastik nach Südostasien stoppen. Wie kann es sein, dass mehr Plastikmüll nach Malaysia gelangt als in die Niederlande oder Tschechien, obwohl es dort funktionierende Recycling-Systeme gibt? Langfristig ist aber auch der Müll-Export in Nachbarländer keine Option. Jedes Land in der EU muss seinen Müll dort verwerten, wo er entsteht: mit besseren Recycling-Anlagen und einem Kreislaufsystem, das seinen Namen verdient und sich nicht mit Quoten rühmt, die durch den Export von Abfall geschönt werden.
Das eigentliche Ziel ist die Vermeidung von Plastikmüll
Doch es wäre falsch, nur die Industrie in die Verantwortung zu nehmen. Denn auch die besten Verwertungsanlagen und höchsten Recyclingquoten können nichts zur eigentlichen Lösung des Problems beitragen: der Vermeidung von Müll.
Es braucht einen grundlegenden Bewusstseinswandel. Millionen Menschen hierzulande haben sich einen Konsum angewöhnt, der die ökologische Folgen komplett ausblendet. Es ist ja auch so bequem: die einzeln verpackten Bonbons, die in der Tüte nicht zusammenkleben; das eingeschweißte Steak, das sich ein paar Tage länger hält als das von der Frischetheke; die bereits portionierten Joghurts im Viererpack mit der praktischen Papp-Ummantelung. Der Mensch sieht schlicht keine Notwendigkeit mehr, sparsam mit Verpackungen umzugehen.
Was sich aber jeder Kunde vor Augen halten sollte: Jedes Mal, wenn er eine Kaufentscheidung tätigt, trifft er eine weitere Wahl: für das eigene, flüchtige Wohl und gegen das der Umwelt. Denn mit dem unreflektierten Konsum steigt auch das Abfallaufkommen.