Süddeutsche Zeitung

Plastikmüll:Mehrweg an der Käsetheke

Das Umweltministerium will Handel und Industrie dazu bringen, auf Plastik zu verzichten. Das wäre eigentlich gar nicht so schwer.

Von Michael Bauchmüller und Michael Kläsgen, Berlin/München

Natürlich ist Tante Olga auch dabei, es geht schließlich um ihr Thema: Wie geht Einkaufen ohne viel Müll? Ohne Berge von Plastikschalen, Plastiktüten und Plastikflaschen? "Es geht", sagt Tante Olga, genauer Olga Witt. "Und man könnte da noch viel rigoroser sein." An diesem Mittwoch sitzt Olga Witt, Betreiberin von zwei Unverpackt-Läden in Köln, inmitten der ganz Großen. Aldi Nord und Aldi Süd sind da, Lidl, Edeka und Rewe, Weltkonzerne wie Nestlé und Procter&Gamble - und Witt, die Getreide, Hülsenfrüchte und Reis aus großen, gläsernen Gefäßen abfüllt. Ohne Plastik.

Die gelben Tonnen füllen sich immer schneller, Bilder von Plastikteppichen im Meer lassen Verbraucher erschrecken - der Verpackungsmüll gerät zunehmend in die Defensive. "Wir alle gemeinsam wollen, dass der Plastikverbrauch reduziert wird", sagt Svenja Schulze, die Umweltministerin von der SPD. "Und zwar sehr schnell." Schulze hatte zu einem "runden Tisch" nach Berlin geladen, ihr geht es erst einmal um freiwillige Lösungen.

Einige davon sind gar nicht so schwer, selbst für die großen Discounter. So könnten deren Eigenmarken schon früher Strohhalme oder Wattestäbchen aus Plastik aus dem Handel nehmen, als es die EU verlangt; die lässt Zeit bis 2021. An Obsttheken könnten wiederverwendbare Netze die dünnen Plastiktüten ersetzen, mehr wiederverwendetes Material ließe sich einsetzen, etwa bei Verpackungen von Wasch- und Spülmitteln; und mehr Verpackungen ließen sich so gestalten, dass sie auch leicht zu recyceln sind. "Und da werde ich nicht lockerlassen", setzt Schulze hinzu, fast ein bisschen drohend.

Vorbild ist das Ende der Plastiktüte, das ebenfalls am runden Tisch eingetütet wurde - ohne Verbot, aber dennoch recht wirksam. "Natürlich setzen wir auch jetzt auf freiwillige Lösungen", sagt Kai Falk, Chef des Handelsverbands HDE. Noch in diesem Jahr werde die Zahl der Einwegtüten an Obst- und Gemüsetheken reduziert. Fleisch- und Käsetheken experimentierten schon mit Mehrwegboxen. Allerdings gebe es auch einen Zielkonflikt: Für die Frische und Haltbarkeit seien Plastikverpackungen oft "unverzichtbar", sagt Falk. Andernfalls drohten steigende Mengen an Lebensmittelabfällen, und gegen die kämpft das Ernährungsministerium. Zudem seien die Hygienevorschriften häufig von Ort zu Ort verschieden. Das mache alles unnötig kompliziert.

Neue Regeln zur Entsorgung könnten helfen

Olga Witt wiederum sieht auch das anders. Wer nicht wolle, dass Gurken in Folie verpackt daherkommen, müsse vielleicht zu bestimmten Jahreszeiten auf Gurken verzichten. Schließlich bräuchten die eine Folie vor allem wegen der weiten Transportwege. Die regionale Gurke in der Gurkensaison geht auch ganz ohne Folie.

Den Handelsketten dagegen fallen noch viele andere Probleme ein. Edeka etwa verweist auf die Rolle der Lebensmittelindustrie, die schließlich die Produkte erst verpacke. "Die muss stärker in die Pflicht genommen werden", sagt ein Sprecher. Eigenen Angaben zufolge könne Edeka bei den meisten Artikeln von Shampoo bis zum Joghurtbecher gar nicht mitbestimmen, wie diese verpackt werden. Drei Viertel des Sortiments seien Produkte von Markenherstellern, die - inklusive Verpackung - fertig geliefert würden, heißt es beim größten Händler Deutschlands.

Fragt man jedoch bei Herstellern wie Procter&Gamble (P&G) und Nestlé nach, fällt die Reaktion recht schmallippig aus. P&G wollte sich zunächst nicht äußern, Nestlé teilte mit, sich das Ziel gesetzt zu haben, weltweit bis 2025 alle der Verpackungen recyclingfähig oder wiederverwendbar zu machen. Die meisten Händler, darunter Aldi, Edeka, Lidl und Rewe wollen dieses Ziel mit ihren Eigenmarken schon früher erreicht haben. Wobei ohnehin nicht geklärt ist, was mit "wiederverwertbar" gemeint ist. Ziel sollte nach Ansicht von Experten sein, die Zahl der verwendeten Kunststoffe zu senken und zudem sicherzustellen, dass die Bestandteile, sogenannte Rezyklate, erneut in den Kreislauf eingespeist werden.

Vorausgesetzt, die Verbraucher trennen richtig. Schätzungen zufolge läuft das in Deutschland bei etwa 60 Prozent des Verpackungsmülls nicht korrekt. Vielen Verbrauchern ist nicht immer klar, was genau in welches Sammelsystem gehört. Eine Aldi-Sprecherin veranschaulicht das Problem an einem Bio-Joghurtbecher. "Der Becher besteht aus Kunststoff, der Deckel aus Aluminium und bei der Banderole handelt es sich um Papier. Werden die drei Komponenten nicht voneinander getrennt, lassen sie sich anschließend nicht richtig recyceln." Der Discounter will deshalb auch mehr in Verbraucheraufklärung investieren. Auf die Artikel der eigenen Marken pappt Aldi deshalb nun häufiger Hinweise zur richtigen Entsorgung. Edeka geht ähnlich vor.

Neue Regeln zur Entsorgung könnten helfen. Erst zum Jahresbeginn ist ein neues Verpackungsgesetz in Kraft getreten, das Hersteller verpflichtet, für ökologisch nachteilige Verpackung höhere Entsorgungskosten zu schultern. Auch die Recyclingquoten sind nun höher. Dennoch brauche es parallel eine Kraftanstrengung, fordert Schulze. Schon bis zum Herbst solle eine freiwillige Vereinbarung aller Beteiligten stehen. "Wir wollen da mehr Geschwindigkeit reinbekommen", sagt die Ministerin, die Dinge müssten sich schneller verändern.

Unternehmerin Olga Witt kann da ganz entspannt zuschauen. Viel vermindern lässt sich bei Tante Olga nicht mehr. Und die Kunden wissen es offenbar zu schätzen. Die Geschäfte, sagt sie, laufen immer besser.

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SZ vom 28.02.2019
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