Süddeutsche Zeitung

Kunststoffmüll:Plastikverbot muss viel weiter gehen

Das EU-Parlament bringt das Verbot von Einwegplastik auf den Weg. Doch Brüssel geht zu zaghaft vor. Wer es ernst meint, muss den Konsumenten etwas wegnehmen.

Kommentar von Vivien Timmler

Kaum wird es wieder wärmer, zeigt der unreflektierte Plastikkonsum sein hässlichstes Gesicht. Am Fluss wird angegrillt, im Park wieder gepicknickt. Zurück bleiben Berge von Müll. Teller, Besteck, Becher und Strohhalme türmen sich in, auf und neben den dafür vorgesehen Eimern. Aber nicht mehr lange: Von 2021 an sollen genau diese Produkte aus Einwegplastik in allen EU-Ländern aus den Regalen verschwinden. Das Europaparlament stimmte dem Verbot am Mittwochabend zu.

Prinzipiell ist das eine gute Idee. Keine Regierung kann die Plastikflut im Alleingang bekämpfen, es braucht europaweite Regeln, manchmal sogar Verbote. Und so banal die Liste der verbannten Produkte auch klingen mag - es handelt sich dabei nach EU-Angaben um die Plastikartikel, die etwa 70 Prozent des in den Meeren schwimmenden Kunststoffmülls ausmachen. Der Ansatz ist also gut, er sendet das richtige Signal: Schluss mit Einwegplastik in den Ozeanen.

Doch der Plan der EU hat einen Haken. Die Kommission betont in ihrem Entwurf mehrfach, dass sie nur solche Produkte verbieten will, für die es bereits "leicht verfügbare und erschwingliche" Alternativen gibt. Das ist viel zu zaghaft. Es ist gerade keine Lösung, Plastikteller und Gabeln einfach durch ihre Pendants aus Papier, Bambus oder Pappe zu ersetzen. Diese sind in der Herstellung meist genauso ressourcenintensiv und landen nach einmaliger Nutzung ebenfalls im Müll. Dort werden sich statt Plastikabfall eben künftig Papp-Teller, Bambus-Besteck und Papier-Strohhalme sammeln.

Wirklich konsequent wäre es, nicht nur auf Einwegplastik, sondern auf Einwegprodukte aller Art zu verzichten. Wer zum Grillen Tupper-Teller und Edelstahl-Besteck mitnimmt, verliert nicht an Lebensqualität. Und es ist keine persönliche Einschränkung, Strohhalme einfach ganz wegzulassen. Das ist schlicht das Mindeste, was ein umweltbewusster Mensch tun kann.

Aber Brüssel scheut sich, die Bürger und Wähler zu frustrieren, will sie in ihrem Konsumverhalten bloß nicht zu sehr einschränken. Schließlich ist aus der Konsumpsychologie bekannt, dass Frustration zu Gegenreaktionen und Abwehrhaltungen führen kann. Aber selbst wenn: Was sind ein paar frustrierte Kunden gegen Weltmeere, in denen es bald mehr Plastik als Fische gibt? Wenn die Verbraucher nicht in der Lage sind, ihr Konsumverhalten zugunsten des Planeten anzupassen, muss die Politik ihnen dabei helfen, zur Not auch mit Verboten. Und die dürfen weiter gehen als eine Handvoll Produkte aus Einwegplastik. Die Sensibilität ist da. Sie muss nur genutzt werden.

Wer es ernst meint, muss den Konsumten etwas wegnehmen - sie werden es verkraften

Brüssel tut das nicht. Die Kommission hat sich dafür entschieden, ein zaghaftes Zeichen zu setzen, anstatt einen Masterplan zu entwickeln, der klar definiert, wo Plastik in Zukunft noch eingesetzt werden darf und wo nicht. Zwar gehen die Vorschläge über eine reine Verbotsliste hinaus, unter anderem sollen auch Hersteller zur Verantwortung gezogen und Mehrwegsysteme geprüft werden. Aber an den entscheidenden Stellen überlässt die Kommission es den EU-Ländern wieder einmal selbst, wann sie welche Maßnahmen wie umsetzen.

Für Umweltministerin Svenja Schulze ist das eine Chance. Sie kann jetzt zeigen, ob sie es ernst meint mit dem Kampf gegen Einwegplastik. Vor der UN-Umweltkonferenz in Nairobi hatte sie noch groß für eine UN-Konvention zum Schutz der Meere vor Vermüllung geworben, wollte auch weltweites Recycling darin verankern - zur Konferenz selbst ist sie dann nicht einmal angereist, die Konvention scheiterte. Nun hat Schulze die Wahl: Noch ist das Regelwerk der EU nicht in nationales Gesetz umgesetzt, noch kann sie Maßnahmen einbringen, die über die EU-Vorgaben hinausgehen: verbindliche Ziele zur Müllvermeidung, Ansätze für eine echte Kreislaufwirtschaft,schärfere Regeln für den Müllexport, damit deutscher Plastikmüll nicht wie bislang zu Hunderttausenden Tonnen in Südostasien landet. Das EU-Verbot von Einwegplastik kann nur ein winziger Anfang sein. Die Einschnitte müssen auch in Deutschland viel tiefer gehen. Die Konsumenten werden es schon verkraften.

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SZ vom 28.03.2019
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