Süddeutsche Zeitung

Recycling:Mehr Plastikabfälle wegen Corona

In den Privathaushalten ist der Verpackungsmüll aus Kunststoff um zehn Prozent gestiegen. Das ist schlecht für die Umwelt, denn wegen des niedrigen Rohölpreises wird weniger recycelt. Eine Plastiksteuer soll den Trend umkehren.

Von Michael Kläsgen

Home-Office, die Kantine ist immer noch geschlossen. Viele Arbeitnehmer haben den Kühlschrank deswegen gut gefüllt, oft liegen in Plastik verpackte Lebensmittel darin: Wurst, Sushi, Fleisch, Gemüse, Beeren, und selbst das Bio-Obst umspannt nicht selten eine enge Plastikfolie. Wohin damit? Klar, in den Müll. Das Ergebnis: Laut dem Dualen System Deutschland (DSD), besser bekannt als der Grüne Punkt, einst Monopolist und Inbegriff der deutschen Mülltrennkultur, ist die Menge an Plastikverpackungen in den Mülltonnen von Privathaushalten im Frühjahr um etwa zehn Prozent gestiegen. Die Zahl bezieht sich auf die Monate, in denen wegen des Coronavirus so gut wie alle zu Hause bleiben mussten und wird in der Branche für plausibel gehalten. Solange viele weiter zu Hause arbeiten, dürfte sie weiter hoch bleiben. Ja und?, könnte man jetzt fragen. Wo ist das Problem?

Zum einen trennen die meisten Verbraucher den Müll nicht richtig. Im Durchschnitt gehört nach Angaben der Kampagne "Mülltrennung wirkt" die Hälfte dessen, was in die üblicherweise gelben Behältnisse für Plastik und Leichtmetallverpackungen geworfen wird, dort gar nicht hinein. Je größer jedoch der Müllberg, desto mehr "Fehlwürfe" sind darin enthalten und umso aufwendiger ist es, die verwertbaren Wertstoffe wieder herauszufischen.

Viel gravierender aber ist ein anderer Effekt, den das Coronavirus ebenfalls verursacht hat. Weil die Wirtschaft weltweit zusammenbrach und weiter schwächelt, ist der Rohölpreis auf ein außergewöhnlich niedriges Niveau gesunken. Das Herstellen von neuem Plastik aus Rohöl macht das historisch günstig, das Recyceln von Kunststoffen aus Haushaltsabfällen, was schon in "normalen" Zeiten teuer ist, hingegen in Relation noch teurer. Hersteller, die bislang geschreddertes Altplastik oder Rezyklat für ihre Produkte und Verpackungen verwendet haben, schwenken daher auf Neuplastik aus billigem Rohöl um, beklagen Vertreter der Recyclingindustrie.

Für Altplastik gibt es kaum noch Abnehmer. Anlagen stehen still oder produzieren weniger

Das sei ein "riesiger Rückschritt für den Klima- und Umweltschutz und ein schwerer Schlag für die Kreislaufwirtschaft", sagt etwa Reinhard Schneider, Inhaber des Reinigungsmittelunternehmens Werner & Mertz, bekannt durch die Marke Frosch, und Träger des Deutschen Umweltpreises 2019. Vor Corona schreckten Bilder von vermüllten Meeren die Öffentlichkeit. Fotos von in Plastiktüten verhedderten Schildkröten begleiteten Anfang 2019 die Einführung des Verpackungsgesetzes, das helfen sollte, den Berg Plastikmüll abzutragen und das Recycling dank höherer Quoten zu verbessern.

Doch nun liegt wegen des Ölpreises der Markt für Rezyklate darnieder, einige Anlagen wurden abgestellt oder fahren mit geringer Leistung und die Recyclingindustrie schlägt Alarm. In einem seltenen Schulterschluss warnen Remondis, der mit Abstand größte Entsorger des Landes, der Grüne Punkt, Werner & Mertz und der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft "vor dem Kollaps" des Industriezweigs. Das mag übertrieben erscheinen, doch dass die Industrie unter Druck steht, räumen auch Kritiker ein.

Grüner-Punkt-Geschäftsführer Michael Wiener, sagt: "Wir erleben ein umfassendes Marktversagen. Recyclingkunststoff spart bis zu 50 Prozent der Treibhausgasemissionen, die durch neuen Kunststoff erzeugt werden - das schlägt sich im Preis aber nicht nieder." Der Preis für Rohöl spricht gegen umweltfreundliches Recycling. Axel Subklew, Sprecher der Kampagne "Mülltrennung wirkt", will deswegen was am Preis ändern: "Die Logik ist ja nun mal simpel. Wenn Primärware immer billiger wird und wir unsere endlichen Rohstoffe verballern, dann scheint der Preis nicht der richtige Weg zu sein. Oder anders formuliert: Der Markt richtet es nicht zum Guten, wenn wir Recycling wollen."

Umweltministerium ist offen für eine Plastiksteuer

Und Recycling, das will die Bundesregierung ebenso wie die EU mit dem Green Deal stärken. Im Bundesumweltministerium ist man sich im Klaren, welch negative Auswirkungen der niedrige Ölpreis hat. Berlin dringt daher während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf Rezyklateinsatzquoten für bestimmte Produkte wie PET-Einwegflaschen in ganz Europa. Der Sinn dahinter ist, was im Verpackungsgesetz bereits beabsichtigt ist: Die Hersteller sollen über einen finanziellen Anreiz dazu zu bewegt werden, Rezyklate einzusetzen. Je mehr sie davon verwenden, desto stärker sinken die Entsorgungskosten. "Sie haben die Kostenentwicklung in der Hand", sagt ein Sprecher, das Ministerium prüfe derzeit "Möglichkeiten einer unmittelbaren finanziellen Förderung des Rezyklateinsatzes". Das Umweltministerium stehe etwa einer EU-weiten Plastiksteuer offen gegenüber. Diese müsse jedoch so ausgestaltet sein, dass sie die gewünschte ökologische Lenkungswirkung entfalte, das heißt zum Beispiel zu einem signifikanten Rückgang des Verbrauchs überflüssiger Einweg-Kunststoffprodukte führt.

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EU-Ratspräsident Charles Michel schlug bereits eine EU-Steuer auf nicht-recycelte Kunststoffverpackungsabfälle vor, stieß damit aber auf den Widerstand der kunststoffverarbeitenden Industrie. Bei den Vertretern der deutschen Recyclingindustrie erhält Michel hingegen Zuspruch. Werner & Mertz-Chef Schneider befürwortet wie seine Kollegen eine zweckgebundene Plastiksteuer, die nur auf Neuplastik angewandt wird, so wie dies in Italien geplant ist. Er sieht sie allerdings als Ergänzung eines Fonds, in den alle Hersteller einzahlen müssen, aus dem aber nur diejenigen, die Rezyklate einsetzen, eine Rückzahlung erhalten. Rezyklateinsatzquoten für bestimmte Produktgruppen begrüßen die Industrievertreter ebenfalls. Dadurch könnten Rezyklatmärkte entstehen, die für ein nachhaltiges Wirtschaften nötig seien und den Unternehmen die erforderliche Investitionssicherheit gegeben werden.

Noch aber ist das Wunschdenken, noch steht dem Ansinnen der niedrige Rohölpreis entgegen. Und je länger er niedrig bleibt, desto größer könnte das Umweltproblem werden. Allein in Deutschland fallen etwa 38 Kilo Kunststoff pro Kopf und pro Jahr an - Tendenz wegen Corona steigend. Wenn nichts passiert, so die Mahner aus der Recyclingindustrie, hat das vorbildliche, aber aufwendige Trennen von Haushaltsabfällen in Deutschland irgendwann keinen Sinn mehr.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2020
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