Auswirkungen des Brexit:Frankfurt kämpft um Einfluss nach dem Brexit

FILE PHOTO:  The headquarters of Germany's Deutsche Bank are seen in Frankfurt

Die Stadt Frankfurt hofft, von den Folgen des Brexit profitieren zu können.

(Foto: REUTERS)
  • Nach dem Brexit werden viele Beschäftigte nicht mehr in London arbeiten können. Die Frage ist deshalb, wo Aufsichtsbehörden und Banken hinziehen werden.
  • Für Banker, EU-Beamte und Stadtplaner kommt kommt es nun darauf an, welche Leitlinien die Staats- und Regierungschefs für die Austrittsverhandlungen beschließen.
  • Neben Städten wie Paris, Dublin oder Luxemburg kämpft auch Frankfurt um Einfluss, unter anderem soll die Europäische Bankenaufsicht hierher ziehen.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel, Jan Willmroth, Frankfurt, und Benedikt Müller

In London machen sie sich Sorgen. 1000 Beschäftigte wissen nicht, wie es weitergeht - schon gar nicht, wo. Nach dem Brexit im März 2019 werden sie nicht mehr in der britischen Hauptstadt arbeiten können. Deshalb drängen die Chefs der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) darauf, dass die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Brexit-Gipfel am Samstag über den künftigen Sitz der Agenturen reden. Mögliche Standorte wetteifern schon fleißig.

Wohin geht die Reise: Frankfurt? Paris? Dublin oder Luxemburg? Das fragen sich auch Banken, die in London ansässig sind. Nach dem Brexit können sie den EU-Markt womöglich nicht mehr von London aus bedienen. Viele Fragen seien offen, sagt Sylvie Matherat, Regulierungsvorstand der Deutschen Bank, am Mittwoch. Müssen Mitarbeiter, die sich um Kunden in der EU kümmern, in der EU angesiedelt werden? "Wir sprechen von mehr als 2000 Menschen." Sollten weitere Abteilungen wie das Risikomanagement betroffen sein, müsse die Deutsche Bank womöglich weitere 2000 Jobs aus London verlagern.

Banker, EU-Beamte, Stadtplaner: Für sie kommt es nun darauf an, welche Leitlinien die Staats- und Regierungschefs für die Austrittsverhandlungen beschließen. Großbritannien soll keinen Deal bekommen, der besser wäre als die EU-Mitgliedschaft - so sehr sich die Staaten in dieser Linie einig sind, so unterschiedlich sind die Interessen, wenn es darum geht, wie das eigene Land vom Brexit profitieren kann.

Geht es nach der Bundesregierung, soll die Europäische Bankenaufsicht nach Frankfurt ziehen. Am Mittwoch sprachen der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und ein Staatssekretär aus dem Bundesfinanzministerium mit Vertretern der EU-Kommission und des Europäischen Rats. "Sie haben uns wissen lassen, dass wir gute Karten haben", sagt Bouffier. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will die EBA in Frankfurt mit der Versicherungsaufsicht EIOPA zusammenlegen. Auch die EU-Kommission hält diese Fusion für sinnvoll, weil Banken und Versicherungen eng verflochten sind. Auch die Europäische Zentralbank sitzt in Frankfurt, ebenfalls mit Bankenaufsicht befasst. Eine Bündelung der Behörden am Main soll Kosten reduzieren, wovon die ganze EU profitiere.

Doch allein um die Sache geht es bei EU-Entscheidungen selten. Frankreich fürchtet, dass der Finanzplatz Frankfurt zu mächtig werden könnte, wenn sich dort immer mehr Institutionen angesiedelten. Hessens Ministerpräsident Bouffier macht sich nichts vor: "Mit Paris stehen wir ganz sicher im Wettbewerb." So gut wie jeder EU-Staat interessiert sich nun für die ein oder andere Behörde: Luxemburg bewirbt sich für die EBA; Dänemark will die EMA. Rom sähe beide Agenturen gerne in Italien. Deutschland hält sich offen, sich auch für die EMA zu bewerben. So hoffen Bonn, Berlin und Hannover auf den Sitz der EU-Arzneimittelagentur. In einer Vorlage für den Berliner Brexit-Kabinettsausschuss hat Schäuble die Vorteile für Frankfurt zusammengetragen. Einen Seitenhieb auf Frankreich konnten sich die Deutschen nicht verkneifen: Die Bedeutung des Finanzplatzes Paris nehme ab, zudem habe Frankreich bereits vier EU-Agenturen. Für Frankfurt wiederum sprächen die im europäischen Vergleich "sehr günstigen" Mieten und "mehrere interessante Immobilien in zentraler Lage".

In Frankfurt stehen viele Büroflächen leer, Großbanken prüfen einen Umzug

Mit solchen Objekten beschäftigt sich Markus Kullmann seit Jahren. Der Makler leitet die Bürovermietung der Firma JLL in Frankfurt. Nach dem Brexit-Votum sei der Markt zunächst paralysiert gewesen. "Niemand wusste genau, welche Auswirkungen das Referendum haben würde." In diesem Jahr nun suchten ausländische Banken konkreter nach Büroflächen, erzählt Kullmann. "Erste Unternehmen besichtigen vor Ort, allerdings nicht nur in Frankfurt, sondern auch in anderen europäischen Metropolen."

Auch mit Hilfe anderer Maklerfirmen wie CBRE, Colliers oder Savills prüften Großbanken nun ernsthaft Standorte in Frankfurt, berichtet Bloomberg. "Es gab aber noch keine konkreten Verhandlungen über Anmietungen", ergänzt Kullmann. "Die Unternehmen wissen noch nicht genau, wie viele Beschäftigte hierher kommen könnten." Zudem können Vermieter auf eine höhere Nachfrage setzen, indem sie heute freie Flächen zurückhalten. Bislang steht in Frankfurt so viel Bürofläche leer wie in keiner anderen deutschen Stadt. Leerstand gibt es vor allem am Stadtrand. Im Zentrum hingegen, wo Deutschlands größte Bürotürme mit den höchsten Mieten stehen, kommen bis 2019 viele neue Büroflächen hinzu. "In Frankfurt wird zurzeit viel spekulativ gebaut", sagt Kullmann. Der Makler sieht die Stadt am Scheideweg: Erfüllen sich die Brexit-Fantasien, könnte der Markt zum "Vermietermarkt" mit knappen Flächen werden. Verblassen sie hingegen, bleibe Frankfurt ein Markt mit genug Auswahl für Mieter.

Allerdings dürfen sich die EU-Staaten bei den Brexit-Verhandlungen auf eine Finte aus London gefasst machen: Die britische Regierung hat bereits erklärt, dass die beiden EU-Behörden auch nach einem Brexit durchaus in London bleiben könnten.

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