Plan W:Wieso programmieren sie nicht?

Mädchen und junge Frauen für Technik oder Naturwissenschaften zu begeistern, ist immer noch schwierig. Das hat mehrere Gründe.

Von Marlene Thiele

"Falls Taste Pfeil nach rechts gedrückt.... Dann ändere x um zehn" - Sarah blickt von ihrem PC auf, schaut auf die Projektion an der Wand, klickt sie weiter, Schritt für Schritt, wie der Programmier-Trainer Simon es in seiner Musterlösung vorgibt. Die einzelnen Befehle findet sie im Menü rechts: "Falls Taste Pfeil nach links gedrückt..." Mit der Maus zieht die Zehnjährige den blauen Block herüber auf ihre Benutzeroberfläche, schaut, was Simon geklickt hat und wählt den nächsten Block aus: "...ändere x um minus zehn." Sarah programmiert eine virtuelle Rakete. Wenn sie die linke Pfeiltaste drückt, wird die Rakete um zehn Pixel nach links verrückt. Es ist ihr erster Tag im Sommercamp der Haba Digitalwerkstatt. Gemeinsam mit sechs anderen Kindern wird das Mädchen in fünf Tagen Roboter bauen, Stop-Motion-Filme gestalten und die Grundzüge des Programmierens lernen.

"Die Welt ist heute digital. Ich verstehe nicht, warum das in der Schule nicht aufgegriffen wird", sagt Verena Pausder, die 2016 die erste von inzwischen sechs Digitalwerkstätten gegründet hat, als Ergänzung zum noch immer ziemlich analogen Schulunterricht. "Wenn die Kinder mit 18 Jahren die Schule verlassen, wird Technik zu ihrer Lebensrealität gehören", sagt die 39-Jährige. Sie bezieht sich auf das Humboldt'sche Bildungsideal: Eine ganzheitliche Ausbildung hin zum mündigen Bürger der Zukunft. "Im Jahr 2018 gehört dazu eben auch die digitale Mündigkeit. Es ist wichtig, Kinder früh an die Technik heranzuführen und dabei vor allem die Mädchen mitzunehmen."

A WOMAN PASSES A HALLWAY AT THE CEBIT FAIR IN HANOVER.

Computercodes in einer Messehalle. Frauen sind in technisch oder technologisch ausgerichteten Berufen unterrepräsentiert.

(Foto: Peter Mueller/Reuters)

Das Sommercamp richtet sich an Kinder zwischen acht und zwölf Jahren - ein Alter, in dem die Mädchen genauso neugierig auf Computer und Technik sind, wie Jungen. In einer europaweiten Studie im Auftrag von Microsoft hat KSR Research das Interesse von Mädchen an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, kurz MINT, untersucht. 11 500 junge Mädchen und Frauen zwischen elf und 30 Jahren wurden befragt. Über die Ländergrenzen hinweg sind sie mit elf noch sehr interessiert an naturwissenschaftlichen Fächern. Mit 15 bis 16 Jahren bricht das Interesse signifikant ein und erholt sich in den meisten Fällen nicht mehr. Das spiegelt sich später in den Frauenquoten von MINT-Studiengängen, in der Anzahl der Frauen in technischen Ausbildungsberufen und in der Zahl praktizierender Ingenieurinnen.

Auch im Sommercamp der Digitalwerkstatt sind unter den sieben Kindern nur zwei Mädchen. "Das liegt an den veralteten Rollenklischees der Eltern", sagt Pausder. "Mädchen werden oft nicht auf solche Veranstaltungen aufmerksam gemacht." Die Microsoft-Studie nennt Ungleichbehandlung als eine von vier Ursachen für das mangelnde Engagement der Frauen im technischen Bereich. Mathematik und Informatik sind nichts für Frauen, lautet das Vorurteil. Den Technik-Baukasten zu Weihnachten gibt es deswegen für den Sohn, Mädchen bekommen Malstifte oder ein Puppenhaus. Dadurch haben sie weniger Praxiserfahrung - die zweite Ursache für die MINT-Müdigkeit der Mädchen. Verena Pausder will mit ihrer Digitalwerkstatt dagegen ankämpfen.

Plan W

"Frauen verändern Wirtschaft" ist das Motto des Magazins Plan W. Die nächsten Ausgabe erscheint am 30. November, zum Thema Selbstmarketing. Weitere Texte zu Plan W finden Sie hier.

Und nicht nur sie: Deutschlandweit gibt es zahlreiche Workshops, Kurse und Initiativen, um Mädchen jeden Alters für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern. Wer im Internet danach sucht, gelangt schnell auf die Projektlandkarte von "Komm, mach MINT.", auf der mehr als 1000 Angebote für Schüler, Studenten und Absolventen gelistet sind. Mal können sie unter Anleitung die Gene von Raps analysieren, mal wird ihnen mit interaktiven Methoden Einsteins Relativitätstheorie erklärt. "Komm, mach MINT.", der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen, vernetzt über 270 Partner aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden. Das Ziel ist, junge Frauen für eine Karriere im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich zu begeistern. Den Pakt gibt es seit 2008, durchgeführt vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit und mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

"Technik und Informatik wird in allen Berufen immer wichtiger. Da können wir nicht ein Geschlecht komplett ausklinken", sagt Barbara Schwarze. Sie lehrt Gender und Diversity in Ingenieurwissenschaften und Informatik an der Hochschule Osnabrück und ist seit 2005 ehrenamtliche Vorsitzende des Kompetenzzentrums. Inzwischen entscheiden sich mehr junge Frauen für ein MINT-Studium, allerdings werden technisch-naturwissenschaftliche Fächer insgesamt beliebter, was sich auf den Frauenanteil auswirkt. Laut MINT-Frühjahrsreport 2018 vom Institut der Deutschen Wirtschaft war 2016 knapp ein Drittel der Erstabsolventen eines MINT-Studiums weiblich. Im Verlauf der vergangenen zehn Jahre ist der Frauenanteil damit leicht rückläufig. Unter den Erstabsolventinnen entscheidet sich etwa jede fünfte Studentin für ein MINT-Fach - zu wenig. Es mangelt gerade an Ingenieuren. Um den Bedarf decken zu können, müsste jede vierte Studentin ihren Abschluss in einem naturwissenschaftlich-technischen Fach machen.

"Probiert euch ruhig aus, hier könnt ihr nichts kaputt machen."

"Ich könnte mir schon vorstellen, später am Computer zu arbeiten aber so richtig programmieren will ich nicht, glaube ich", sagt Sarah, während sie in ihrem Programmcode die x-Achse durch die y-Achse ersetzt. Ein kleiner Fehler, der sich leicht korrigieren lässt. "Probiert euch ruhig aus", sagt Trainer Simon, "hier könnt Ihr nichts kaputt machen." Wenn Simon unterrichtet, werden die Mädchen etwas stiller und die Jungen noch quirliger. Steht eine junge Frau vorne, ist es tendenziell andersherum. Der Microsoft-Studie zufolge sind mangelnde Rollenvorbilder die dritte Ursache für die Scheu der Mädchen vor der MINT-Karriere. Schon im Schulunterricht wird sichtbar, dass sich mit 41 Prozent fast doppelt so viele Mädchen für naturwissenschaftliche Fächer interessieren, wenn sie ein Vorbild in diesem Bereich haben. Dann schätzen sie auch ihre eigenen Fähigkeiten höher ein und können sich eher einen technisch-naturwissenschaftlichen Beruf vorstellen. Aus diesem Grund gibt es bereits zahlreiche Mentorinnen-Programme. "Der wechselseitige Austausch ist sehr wichtig", sagt Schwarze. "Das gilt auch für Netzwerke unter Studentinnen oder Absolventinnen." Auch im Beruf könnten sie sich noch ziemlich allein fühlen. Der Frauenanteil unter den Erwerbstätigen im MINT-Bereich steigt nur langsam: 2015 waren 21 Prozent mehr Akademikerinnen aus naturwissenschaftlich-technischen Fächern berufstätig als noch vier Jahre zuvor. Insgesamt liegt der Frauenanteil nun bei 21,5 Prozent. 2011 waren es noch 20,1 Prozent. Bei den erwerbstätigen Fachkräften hingegen ist der Frauenanteil gesunken. 2015 lag er bei elf Prozent. 2011 waren es 11,6 Prozent.

Der vierte Grund für diese noch immer bestehende Ungleichheit basiert auf Unwissenheit: Viele Mädchen glauben, in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern nicht kreativ arbeiten zu können. Mit ihrer Digitalwerkstatt versucht Verena Pausder, die Kinder auf das kreative Potenzial aufmerksam zu machen, das in Computern und Robotern steckt. "Im Moment konsumieren wir nur amerikanische Anwendungen und Produkte. Unsere Kinder sollten nicht nur etwas auf Facebook posten oder auf Instagram teilen, sondern eigene Ideen entwickeln. Sie sollten Gestalter dieser neuen Welt werden."

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