Plan gegen Steuerflucht:Der Kampf um die Milliarden beginnt erst

Hunderte Milliarden Euro Steuern vermeiden Konzerne weltweit jedes Jahr. Endlich wehren sich die Länder dagegen. Doch damit kündigt sich schon der nächste Wettlauf an.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Das Positive vorweg: Ja, es ist anzuerkennen, dass sich die großen Industrie- und Schwellenländer in nur zwei Jahren auf einen Aktionsplan geeinigt haben, um legale Steuerschlupflöcher zu schließen. Die Politik versucht, sich nicht länger von internationalen Unternehmen, die trotz satter Gewinne kaum Steuern zahlen, auf der Nase herumtanzen zu lassen. Insofern sei den Finanzministern der G-20-Staaten, die am Donnerstag bei einem Treffen in Lima den Aktionsplan beschließen wollen, ein Glas Cava vollumfänglich gegönnt.

Eine neue, weltweite und womöglich gerechtere Steuerpolitik wird durch den Aktionsplan freilich nicht begründet. Die Finanzminister haben nicht mehr - und nicht weniger - als ein Ziel vor Augen: Sie wollen durchsetzen, dass Unternehmen dort Steuern zahlen, wo Wertschöpfung, Forschung und Entwicklung stattfinden, und nicht mehr dort, wo es Steuervorteile gibt. Das heißt auch: Grundlage und Höhe der Steuersätze sowie die Verteilung der Einnahmen bleiben ausschließlich nationales Hoheitsgebiet. Mit der Folge, dass die Staaten, die gegen Steuervermeider vorgehen wollen, auch klare Konkurrenten im Kampf um Steuereinnahmen bleiben und das Vorgehen gegen Steuerdumping eine nationale Angelegenheit bleibt.

Aber der gefeierte Aktionsplan reicht nicht, um Firmen wie Ikea oder Amazon zur Kasse zu bitten

Der Festredner in Lima sollte deshalb nicht vergessen, auf erwartbare Nebenwirkungen hinzuweisen - und auch darauf, dass selbst der gefeierte Aktionsplan allein noch nicht reicht, um Konzerne wie Ikea, Starbucks, Google oder Amazon steuertechnisch nachhaltig zur Kasse zu bitten. Wenn die Staaten künftig wenigstens einen Bruchteil der geschätzten 100 bis 240 Milliarden Dollar kassieren wollen, die dem globalen Fiskus bisher durch Steuervermeidung und Sonderabsprachen entgangen sind, müssen sie sofort den nächsten Schritt gehen. Sie müssen den Aktionsplan umsetzen.

Die Liste von Maßnahmen, welche die Finanzminister in Lima beschließen wollen und die von der Besteuerung der digitalen Wirtschaft über Lizenzgebühren und Schiedsgerichte bis hin zu standardisierten Offenlegungspflichten für Konzerne reicht, ist bisher eine unverbindliche Absichtserklärung. Sie wird nur dann Konsequenzen haben, wenn sie in Gesetze gegossen, von den nationalen Parlamenten beschlossen und schließlich ausgeführt und überwacht werden wird.

Deshalb hält sich die Zuversicht in Grenzen. Schon im Vorfeld haben die verhandelnden Regierungen zu Protokoll gegeben, nur vier der insgesamt 15 Maßnahmen gegen Steuervermeider für wirklich wichtig zu erachten. Etwa die standardisierten Auskünfte der Konzerne über Einkommen, Gewinne und Beschäftigte von Tochtergesellschaften im Ausland, die ausreichend Transparenz schaffen sollen, um Steuerverschiebung über komplizierte Unternehmensstrukturen zu vermeiden. Dazu der Kampf gegen steuerschädlichen Wettbewerb durch sogenannte Patentboxen, die dazu dienen, mittels überhöhter Patent- und Lizenzgebühren Gewinne aus einem Hochsteuerland in ein Niedrigsteuerland zu schleusen - oder auch in ein Land wie Luxemburg, in dem die Steuerbehörden internationalen Konzernen bilateral Steuerrabatte anbieten.

Nicht zu unterschätzen sind diplomatische Verwicklungen, die sich aus dem Aktionsplan ergeben könnten. Nationale Regierungen haben sich schon bisher schwergetan, gegen Konzerne vorzugehen, die in großem Umfang Steuern vermeiden. Es geht auch um Arbeitsplätze, Folgeaufträge, Zulieferer und Sponsoring. Künftig aber müsste eine Regierung nicht mehr gegen das Unternehmen vorgehen, das Regeln unzulässig dehnt, sondern gegen eine Regierung, die es versäumt, den Aktionsplan umzusetzen. Regierungen müssten sich gegenseitig kontrollieren, ein heikles Unterfangen, in dem Sünder über Sünder richteten.

Die größte Nebenwirkung aber ist eine andere. Zwar hat der Aktionsplan das Potenzial, den bisherigen Wettbewerb der Steuervermeider einzuschränken. Er löst aber gleichzeitig einen neuen globalen Wettlauf um Steuerdumping aus, weil plötzlich 100 bis 240 Milliarden Dollar entgangene Steuereinnahmen neu zu verteilen sind. Jede Regierung wird versuchen, sich ein großes Stück des neuen Steuerkuchens zu sichern und über neue Steuervergünstigungen Unternehmen zu locken. Beispiel Bundesregierung. Sie wird sich gut überlegen, ob sie zusieht, wie BASF oder Bayer ihre Forschungsabteilungen wegen der neuen Regeln in Niedrigsteuerländer verlagern, oder ob sie selbst Steuerrabatte einführt, was nicht nur die hiesigen Konzerne hält, sondern womöglich weitere Forschungsabteilungen anlockt. Der neue Steuerwettbewerb wird schon 2016 in vollem Gange sein.

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