Pläne der großen Koalition:Statt Wagemut nur Vages

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Einige Passagen im Koalitionsvertrag von Union und SPD klingen unfreiwillig komisch - dafür herrscht bei den wichtigen Fragen der Wirtschaftspolitik Leere. Jetzt kommt heftige Kritik von Ökonomen und Unternehmern.

Von Karl-Heinz Büschemann

Der Koalitionsvertrag liest sich zuweilen so, als hätten Kabarettisten daran mitgeschrieben. Der Tourismus in Deutschland, so heißt es allen Ernstes in dem über 180-seitigen Papier von Union und SPD, brauche "ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis". Der Ausbau der touristischen Infrastruktur müsse mit den "bewährten Fördermitteln weiter unterstützt werden". Selbst merkwürdige Fragen der Gesellschaftspolitik finden ausführlichen Niederschlag: "Fördermittel für die Kultur- und Kreativwirtschaft sollten in einer Datenbank dargestellt werden." An den Straßenverkehr wird ebenfalls gedacht. "Die Qualität der pädagogischen Ausbildung der Fahrlehrer" soll erhöht werden.

Dafür fehlen in dem Regierungsprogramm wichtige Passagen. Die Republik diskutiert über Marginalien wie eine Autobahnmaut, wobei es darum gehen könnte, wie Schwarz-Rot die großen Fragen der Wirtschaftspolitik beantworten will. Bei diesen Fragen herrscht Leere. Wo gesagt werden sollte, wie viel Geld die künftige Regierung in Straßen, Schienen, Bildung und technische Infrastruktur stecken will, um ein Versprechen aus dem Wahlkampf zu halten, kommt nur wenig. "Wir setzen auf eine Doppelstrategie aus Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen", heißt es pauschal. Genaueres fehlt.

Jetzt hagelt es Kritik. Die Koalition stelle die Weichen falsch, sagen die Wirtschaftsforscher der Deutschen Bank. Die Ausgaben für Sozialleistungen würden etwa dreimal so stark ausgeweitet wie die wachstumsfördernden Leistungen. Die künftige Koalition habe zusätzliche Ausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro aus Steuermitteln für die nächsten vier Jahre beschlossen, sagen die Forscher. Hinzu kämen mindestens 40 Milliarden Euro aus beitragsfinanzierten sozialen Sicherungssystemen. "Zu viele Wohltaten, zu wenige Impulse, keine Reformen" schreiben die Analysten über ihr kritisches Papier vom Wochenende.

"Die Große Stagnation"

Der Wirtschaftsweise Lars Feld hält die Koalitionsvereinbarungen von Union und SPD für verfehlt. "Ich bin erschrocken über diese Weichenstellungen, die meines Erachtens in die völlig falsche Richtung weisen", sagte der Direktor des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg. Der Economist macht sich über die deutschen Regierungsplaner lustig und überschrieb einen galligen Kommentar mit der deutschen Überschrift "Die Große Stagnation". Auch Unternehmensvertreter sind irritiert, weil der Koalitionsvertrag statt Wagemut nur Vages bietet. Vor der Wahl hätten die Politiker die Verbesserung von Straßen, Brücken und Kommunikationsinfrastruktur versprochen, stellt ein Berliner Verbandsmann fest. Davon sei nicht mehr die Rede. "Es wird zu wenig in Neues investiert."

Die Wirtschaft vermisst Vorgaben, die das Wachstum und staatliche wie private Investitionen fördern könnten. Stattdessen flössen die zusätzlichen Sozialleistungen für Rentner in den Konsum - und nicht in Investitionen, die für das Wachstum von morgen sorgen müssen. "Für Investitionen steht nichts drin", klagt Ralph Wiechers, Chefvolkswirt des Maschinenbauverbandes VDMA über den Koalitionsvertrag.

Die Organisation der Industriestaaten OECD kritisiert die von Union und SPD vereinbarten Rentenbeschlüsse. "Das macht Arbeit teurer", sagte der Deutschland-Experte der OECD, Andrés Fuentes. "Das wird sich negativ auf Konjunktur und Beschäftigung auswirken", so der Experte. "Deutschland sollte sein Steuersystem reformieren, um Arbeit weniger stark zu belasten", sagte Fuentes.

Zu wenig steuerliche Anreize

Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, der schon lange mehr öffentliche Ausgaben für Straßen, Schienen oder Bildung fordert, hält die geplanten fünf Milliarden Euro, oder etwas mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr, die Deutschland demnächst zusätzlich in Verkehrsinfrastruktur, in Bildung sowie in Forschung und Entwicklung stecken will, für viel zu wenig. Es müssten allein zusätzlich zehn Milliarden in die Verkehrsinfrastruktur gesteckt werden, nur um die Substanz zu erhalten, rechnet Fratzscher vor. Auch bei den Ausgaben für Bildung sowie Forschung und Entwicklung "hätte man sich mehr gewünscht". Offen sei auch die Frage geblieben, wie die Regierung die privaten Investitionen fördern wolle. Der Staat müsse Rahmenbedingungen schaffen, die Investitionen förderten. Dazu gehörten auch steuerliche Anreize. Davon sei aber wenig zu sehen.

Auch die Frage der Finanzierung öffentlicher Investitionen steht nach der Meinung des DIW-Chefs auf wackeligen Beinen. "Dazu wurden die erwarteten Überschüsse bei den Steuereinnahmen schon verplant." Doch ob die realistisch sind, bezweifelt der Berliner Forscher. "Da stecken noch Unwägbarkeiten drin." Der DIW-Chef ist zudem der Meinung, dass zur Verbesserung der Standortbedingungen auch günstigere Preise für Strom gehören. "Wir müssen die Energiepreise senken, um international wettbewerbsfähig zu bleiben", fordert Fratzscher. Die Energiewende an sich, so der Professor, sei aber ohne Alternative. Nur: "Die ist nicht umsonst."

Die Mehrkosten, die wegen der Abkehr von der Atomenergie drohen, sind in den Augen mancher Manager ein Risiko. Vor allem die Chemieindustrie gibt sich kritisch. Die Koalitionspartner hätten in ihrem Regierungspakt noch zu viele wichtige Fragen nicht beantwortet. "Wir erwarten höhere Strompreise", sagt ein Vertreter der chemischen Industrie in Berlin. Die Branche weist bereits mit drohendem Unterton darauf hin, dass sie inzwischen mehr im Ausland als im eigenen Lande investiert. Wegen der Stromkosten.

© SZ vom 03.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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