Forderungen von Betreiberfirmen:Das Maut-Debakel wird immer teurer

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Andreas Scheuer (CSU), Bundesverkehrsminister, spricht bei der aktuellen Stunde zum Scheitern der PKW-Maut im Deutschen Bundestag. (Foto: Lisa Ducret/dpa)
  • In Regierungskreisen wird vermutet, dass die Betreiberfirmen dem Bund für die gescheiterte Pkw-Maut mindestens 700 Millionen Euro in Rechnung stellen könnten.
  • Mit den Befürchtungen dürfte das Debakel um die Pkw-Maut endgültig gefährlich für Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) werden.
  • Der Vorwurf: Er hätte keine Verträge abschließen dürfen, bevor das Urteil aus Luxemburg vorlag.

Von Markus Balser, Berlin

Wie lange es dauert, eines der größten Prestigeprojekte der eigenen Partei zu beerdigen? Verkehrsminister Andreas Scheuer setzte vergangene Woche Maßstäbe. Über fünf Jahre trieb seine CSU die Einführung der umstrittenen Pkw-Maut voran. Nicht mal eine halbe Stunde dauerte es dann, ihr Ende einzuleiten. Um 9.30 Uhr habe der EuGH mit seinem Urteil am Dienstag vor einer Woche das Aus für die Abgabe besiegelt. Um zehn Uhr habe er in seinem Ministerium eine Task-Force eingesetzt, erzählte Scheuer in dieser Woche nach SZ-Informationen hinter den verschlossenen Türen des Bundestags-Verkehrsausschusses. So berichten es Teilnehmer übereinstimmend. Noch am gleichen Tag hätten seine Leute die Ausgaben gestoppt und die Kündigungen der Verträge mit beteiligten Unternehmen eingeleitet. Das Ziel: Schnell handeln, um die finanziellen Belastungen für den Steuerzahler gering zu halten.

Doch in Kreisen der Bundesregierung wachsen die Zweifel, ob das wirklich gelingt. Insider des Projektes erwarten, dass die nie gestartete Pkw-Maut den Bund und seine Bürger noch deutlich teurer kommt als bislang befürchtet. Von 300 bis 500 Millionen Euro an Entschädigungszahlungen war in den schlimmsten Szenarien bisher die Rede. Doch in Regierungskreisen wird vermutet, dass die Betreiberfirmen dem Bund mindestens 700 Millionen Euro in Rechnung stellen könnten. "Es seien aber sogar auch noch höhere Forderungen möglich", heißt es. Die Betreiberfirmen Kapsch Trafficom und CTS Eventim wollten sich zu den Vorgängen nicht äußern. Das Ministerium bezeichnete die Zahlen am Freitag als "reine Spekulation".

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Mit den Befürchtungen dürfte das Debakel um die Pkw-Maut allerdings endgültig zum Politikum werden. Immer lauter wird auch innerhalb der großen Koalition die Frage an Scheuer gerichtet, warum er mit der Vergabe der Verträge eigentlich nicht auf das Urteil aus Luxemburg gewartet habe, um Schaden für die Steuerzahler zu verhindern. Stattdessen schloss Scheuer bereits im Dezember einen zwei Milliarden Euro schweren Vertrag über den Aufbau und Betrieb der Maut-Infrastruktur bis zum Jahr 2032 mit dem Ticket- Vermarkter CTS Eventim und dem österreichischen Telekommunikationsanbieter Kapsch ab. Vom 1. Oktober 2020 an sollte die Maut nach Scheuers Plänen Geld in die Kassen des Bundes bringen. Die Verträge werden nun zum Millionenrisiko. Denn die Unternehmen könnten entgangene Gewinne über mehrere Hundert Millionen Euro und Negativfolgen für den Firmenwert einklagen. Noch hätten sie die finanziellen Folgen dem Bund gegenüber jedoch nicht offiziell beziffert, heißt es weiter.

In Berlin gilt es bereits dennoch als so gut wie sicher, dass es zu einer juristischen Auseinandersetzung ums Geld kommt. Zur wichtigsten Streitfrage dürfte zwischen Bund und den Unternehmen dabei in den nächsten Monaten die Kündigung der Verträge zu Ende September werden. Hatte Scheuer tatsächlich Gründe für eine Kündigung, dürfte nur wenig Geld an die Betreiber fließen. Stellen sich die Kündigungsgründe als haltlos oder gar vorgeschoben heraus, dürfte es teuer werden, heißt es in Regierungskreisen. Für Scheuer könnte das auch deshalb zum Problem werden, weil der wissenschaftliche Dienst des Bundestags bereits 2017 vor juristischen Problemen mit dem Europarecht durch die Pkw-Maut gewarnt hatte. Scheuer nannte das Gutachten damals als CSU-Generalsekretär so fehlerhaft, dass es sofort zum Altpapier gehöre.

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Das Bundesverkehrsministerium führte nun gegenüber dem Verkehrsausschuss vorsichtshalber gleich mehrere Gründe für die Kündigung an. So hätten die Unternehmen auch nach dem EuGH-Urteil noch Unteraufträge an andere weitere vergeben, erklärte Scheuer. Das sei ein sehr, sehr triftiger Kündigungsgrund". Insider des Falls sehen den Grund allerdings kritisch. Die Verträge liefen noch bis Ende September. Ein abruptes Ende der Arbeiten hätte man den Unternehmen deshalb ebenfalls vorwerfen können.

Das Ministerium führt zudem die schlechte Leistung der Firmen sowie ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Bund und Betreibern an. Es seien Fristen überschritten worden, heißt es vielsagend. Dabei spielen offenbar die im Vertrag aufgeführten "Meilensteine", die zu bestimmten Terminen erreicht werden sollten, eine Rolle. Das zuständige Kraftfahrtbundesamt sei jedoch mit der Arbeit der Firmen zufrieden gewesen, heißt es dagegen aus Kreisen der Flensburger Behörde. Es habe zwar Nachbesserungswünsche bei fünf oder sechs Punkten und Fristen dafür gegeben. Das sei aber bei Großprojekten normal und wohl kein Kündigungsgrund, heißt es weiter. Das Maut-Projekt sei von Seiten der Unternehmen weitgehend im Plan gewesen. Grüne und FDP wollen nun endlich Klarheit und drohen Scheuer bereits mit einem Untersuchungsausschuss des Bundestages. Sie verlangen vollständige Einsicht in alle Maut-Unterlagen.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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