Versicherungen:Private Krankenversicherer und Verbraucherschutz fordern Reformen

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Wer privatversichert ist, muss immer wieder mit sprunghaften Anstiegen der Versicherungsbeiträge rechnen. (Foto: Mareen Fischinger/imago images)

Private Krankenversicherer wollen ihre Beiträge schon seit Langem flexibler anpassen. Nun bekommen sie Unterstützung vom Bund der Versicherten.

Von Ilse Schlingensiepen, Köln

Der Schock für viele Mitglieder einer privaten Krankenversicherung (PKV) kommt alle drei bis sechs Jahre. Dazwischen ist Ruhe. Dann erhöhen die Versicherer die Beiträge wieder mächtig. Zwanzig Prozent Steigerung oder mehr, davon berichten empörte Betroffene.

Bei der aktuellen Erhöhung versucht der PKV-Verband zu beruhigen: Im Durchschnittschnitt liege die Erhöhung für 2022, über die Kunden jetzt informiert wurden, bei 4,1 Prozent. Und drei Viertel der 8,7 Millionen Versicherten seien überhaupt nicht betroffen. Das heißt aber im Umkehrschluss nur, dass die Kunden im restlichen Viertel umso steilere Erhöhungen erleben. Ohnehin: Auch die durchschnittlichen Anpassungen haben es in sich. Für 2021 betrug die Erhöhung im Schnitt 8,1 Prozent, für 2020 2,8 Prozent. Und es gibt Versicherte, die mehrere Jahre hintereinander von einer Erhöhung betroffen sind - wie ein SZ-Leser aus Erding, der von drei Erhöhungen in Folge berichtet, und zwar um 25 Prozent, 21 Prozent und 19 Prozent.

Der sonst meist übliche Wechsel aus Ruhephasen und krassen Erhöhungen gefällt selbst den Versicherern nicht - aber er liegt an den Gesetzen. Seit Jahren fordert die Branche Regeländerungen, um die Erhöhungen gleichmäßiger umsetzen zu können - vergeblich. In der großen Koalition mauerte die SPD. Möglicherweise ändert sich unter der Ampel etwas. Denn jetzt hat sich ein prominenter Verbraucherschützer zumindest in dieser Frage auf die Seite der Versicherer geschlagen.

"Privatversicherte sind keine Bürger zweiter Klasse", heißt es beim Bund der Versicherten

"Es wird Zeit, etwas zu tun", sagt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des Bunds der Versicherten (BdV), in einem gemeinsamen Interview mit Roland Weber, Vorstand des größten privaten Krankenversicherers Debeka. Auch der Bund der Versicherten habe privat versicherte Mitglieder, die vernünftig behandelt werden müssen. "Das werden sie aber nicht immer", sagt Kleinlein. Das liege nicht nur an den Versicherern, sondern auch daran, dass ihnen durch gesetzliche Vorschriften die Hände gebunden sind. "Privatversicherte sind keine Bürger zweiter Klasse, sondern genauso fair und sauber zu behandeln wie alle anderen auch", stellt Kleinlein klar.

Debeka-Vorstand Weber sieht das auch so: Bei den Krankenkassen gebe es ständig gesetzliche Anpassungen, in der PKV keine. "Nach zwei Legislaturperioden Stillstand ist im Interesse der privat Krankenversicherten ein weiteres Aussitzen von Reformoptionen für die PKV nicht vertretbar."

Das Problem ist die sogenannte Kalkulationsvorschrift. Die Versicherer dürfen nur dann Prämien anpassen, wenn einer der auslösenden Faktoren greift. Darunter versteht man eine Änderung in der Sterblichkeit oder - viel entscheidender - bei den Leistungsausgaben der Versicherer. Erst wenn diese um fünf Prozent beziehungsweise um zehn Prozent steigen, können und müssen die Versicherer die Prämien anpassen. Dann müssen sie aber auch alle anderen Faktoren berücksichtigen, die Einfluss auf die Prämienhöhe haben. Das sind zurzeit vor allem die niedrigen Zinsen. Alles zusammen kann für heftige Ausschläge sorgen.

Kleinlein und Weber sind beide speziell ausgebildete Versicherungsmathematiker. Sie wissen, wovon sie reden. Es geht ihnen auch um die Beiträge für ältere Versicherte. "Wir brauchen eine stabile Beitragsentwicklung, insbesondere im Alter", sagt Weber. Er plädiert dafür, den sogenannten gesetzlichen Beitragszuschlag in der PKV zu ändern.

Die Grünen-Gesundheitsministerin Andrea Fischer hatte Anfang 2000 für Vollversicherte in der PKV einen Zuschlag von zehn Prozent auf die von den Gesellschaften kalkulierten Beiträge eingeführt, um die Beitragssteigerungen im Alter abzufedern. Die Versicherer hassten Fischer mit Inbrunst - und erst recht ihren Beitragszuschlag. Doch jetzt sind sie heilfroh, dass der Zuschlag da ist. Denn sonst wären die Preise für ältere Versicherte sehr viel höher und der politische Druck entsprechend schärfer.

PKV-Versicherte müssen den Zuschlag ab dem 22. und bis zum 60. Lebensjahr zahlen, ab dem 65. Lebensjahr werden mit ihm Beitragssteigerungen aufgefangen. Auch bestimmte Teile der Kapitalerträge müssen für das Alter zurückgestellt werden.

Weil aber die Zinsen schon lange so niedrig sind, reichen die so generierten Mittel nicht mehr aus, um die Preissteigerung im Gesundheitswesen auszugleichen. "Deshalb müssen wir die Strukturen verändern", sagt Weber. Sein Vorschlag: "Man sollte den Beitragszuschlag erhöhen und vielleicht früher mit der Beitragsentlastung beginnen." Er hält eine Anhebung des Zuschlags von zehn auf 15 Prozent für sinnvoll. Entlastung könnte bei den Versicherten mit Mitte oder Ende 50 beginnen statt mit 65.

BdV-Chef Kleinlein kann sich das vorstellen, es reicht ihm aber nicht. Ihm ist ein ganz anderer Reformschritt wichtiger: "Die medizinische Inflation muss in die Prämienkalkulation Eingang finden", fordert er. Das würde zu fairen Preisen und nachvollziehbaren Prämiensteigerungen führen.

Die PKV soll bei speziellen Lebenssituationen wie der Elternzeit kundenfreundlicher werden

Die bessere Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts bei der Berechnung der Prämien hält auch Weber für einen sinnvollen Ansatz. Damit dürfte sich der Debeka-Vorstand in der Branche nicht nur Freunde machen: Eine Umsetzung würde zu deutlich höheren Einstiegsprämien führen, was den Verkauf der Policen nicht gerade erleichtert. Kundenfreundlicher muss die PKV nach Ansicht von Debeka-Vorstand Weber bei speziellen Lebenssituationen wie der Elternzeit werden. Anders als in der GKV müssen Privatversicherte auch während dieser Zeit ihre Beiträge bezahlen. Weber schlägt vor, dass Vater und oder Mutter den Beitrag bei gleichem Leistungsumfang reduzieren können.

Er erneuert zudem eine alte Forderung der Branche: Der Gesetzgeber soll die Versicherungspflichtgrenze deutlich absenken. Das ist das Einkommen, ab dem es Angestellten möglich ist, von einer gesetzlichen Krankenkasse in die PKV zu wechseln (Beamte und Selbstständige dürfen auch mit geringerem Einkommen in die PKV). Der Wert für die Angestellten liegt zurzeit bei 64 350 Euro im Jahr, Weber möchte eher 58 000 Euro sehen.

Im Gegenzug könnte sich die PKV zu einer Öffnungsaktion verpflichten, wie es sie auch für Beamte gibt. Ein halbes Jahr nach Erreichen der Versicherungspflichtgrenze hätten Angestellte dann unabhängig von ihrem Gesundheitszustand die Möglichkeit, sich privat zu versichern. Die PKV-Unternehmen müssten auch Versicherte mit Vorerkrankungen oder Behinderungen aufnehmen, könnten allerdings Risikozuschläge verlangen.

"Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach weiß, dass er nicht zehn Prozent der Versicherten links liegen lassen kann, wenn er das Gesundheitswesen voranbringen will", sagt Weber. Natürlich weiß Weber seinerseits, dass Lauterbach ein Feind der PKV ist. Helfen könnte Webers Meinung nach die Einrichtung eines Verbraucherbeirats beim PKV-Verband. Dort könnten Vorschläge zur Stabilisierung der Branche diskutiert werden: "Dann kann die Politik das schlechter ignorieren."

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