Süddeutsche Zeitung

Pipers Welt:Wer das Geld macht

Christine Lagarde kann eine gute Zentralbank-Präsidentin werden, auch wenn sie keine Ökonomin ist. Aber sie muss der Politisierung der Bank entgegentreten.

Von Nikolaus Piper

Jetzt wird viel Gewese darum gemacht, dass Christine Lagarde, die designierte neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), keine Ökonomin ist, sondern Juristin. Kann sich eine gelernte Rechtsanwältin wirklich in die Feinheiten der Geldpolitik einarbeiten, in "Quantitative Easing", "Inflation-Targeting", "Maturity Extension" und ähnliches? Die Lagarde-Kritiker sollten in diesem Punkt erst einmal beruhigt sein. Auch andere Zentralbanken sind schon von Juristen geführt worden, sogar die hochmögende Deutsche Bundesbank, Vorbild und Keimzelle der EZB. Ein gutes Beispiel ist Karl Klasen, der von 1970 bis 1977 an der Spitze der Bank stand, in jener Zeit also, als das nach Ende des Krieges beschlossene Währungssystem mit seinen festen Wechselkursen zusammenbrach und die Bundesbank plötzlich ganz neue Aufgaben übernehmen musste. Klasen begann seine Karriere als Justitiar der Deutschen Bank und schaffte es bis in deren Vorstand. Dort hatte er genauso wenig mit Geldpolitik zu tun, wie Lagarde heute an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Sorgen muss sich die EZB-Chefin in spe wegen etwas anderem machen. Als die Personalie aus Brüssel an den Finanzmärkten bekannt wurde, begannen dort die Zinsen europäischer Staatsanleihen zu sinken. Grund dafür war die feste Überzeugung der Spekulanten, dass Lagarde eine "Taube" ist, dass sie also die ultralockere Geldpolitik von Mario Draghi fortführen, wenn nicht sogar noch intensivieren wird. Ergebnis:Der italienische Staat kann sich heute zu 1,6 Prozent Geld leihen, ein Satz, der kaum die Risiken der populistischen Haushaltspolitik der Regierung in Rom abbilden dürfte,

Das Problem liegt darin, dass hier Erwartungen geweckt werden, die Lagarde eigentlich nicht erfüllen sollte, will sie nicht ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Gut möglich, dass es angesichts der schwächeren Konjunktur in Europa richtig sein wird, weiterhin Staatspapiere zu kaufen und so viel Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Aber wenn die EZB als Sachwalterin vor allem der finanzschwachen Südländer erscheint, wird die Bank politisiert, mit unabsehbaren Folgen für die EU. Eine Bürde, die die neue Chefin mitbringt.

Ohnehin entspricht die Politisierung der Geldpolitik dem Zeitgeist, vorerst besonders in Amerika. Präsident Donald Trump hat es sich zur Gewohnheit gemacht, per Twitter die US-Notenbank Federal Reserve zu drängen, endlich die Zinsen zu senken, um den Aufschwung zu verlängern und dem Präsidenten 2020 die Wiederwahl zu sichern. In den vergangenen Jahrzehnten galten Kommentare führender Politiker zum Kurs der Notenbank als tabu. Deren Unabhängigkeit galt als hohes Gut, weil sie die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik und damit langfristig auch den Geldwert sichert.

Vor diesem Hintergrund fällt es auf, dass in dieser Woche die Zinsen von Staatsanleihen nicht nur in Europa, sondern auch in den Vereinigten Staaten sanken, und zwar ebenfalls nach einer Personalentscheidung Trumps. Neu ins Board der Notenbank will der Präsident Judy Shelton schicken, die derzeit als Direktorin bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung arbeitet. Im Gegensatz zu Lagarde ist Shelton tatsächlich Ökonomin mit Abschlüssen der Universitäten von Portland und Utah.

Shelton ist allerdings eine Ökonomin der besonderen Art. Sie gehört zur Gemeinschaft derer, die man in Amerika "gold bugs" nennt. Das sind die Außenseiter, die den Wert des Geldes an eine genau bestimmte Menge Gold binden wollen. Ein Konzept, das nach Meinung der Mehrheit in Zunft niemals aufgehen kann. In der Vergangenheit kritisierte Shelton die Fed immer wieder, weil diese die Zinsen ihrer Meinung nicht schnell genug erhöhte. Doch dann wurde sie Beraterin Trumps im Wahlkampf, und seither verlangt sie, dass der Zins der Fed, die federal funds rate, auf null sinkt, was die Spekulanten an der Wall Street am Dienstag schon ein Stück vorweggenommen haben.

Gut möglich, dass Sheltons Sinneswandel damit zu tun hat, dass sie die Fed zu einer grundlegenden Änderung ihrer Politik zwingen will und irgendwann doch noch zur Goldbindung kommt. Vielleicht ist es auch nur Opportunismus. Wie auch immer -sollte Judy Shelton tatsächlich in den FedVorstand berufen werden, wäre dort ein bisher nicht gekanntes Maß an Politisierung erreicht. Die Politisierung der Geldpolitik wird aber auch von links betrieben. Ein Beispiel ist die "New Monetary Theory", die derzeit unter Linken in der Demokratischen Partei sehr populär ist. Sie besagt, dass Staaten sich praktisch unbegrenzt verschulden können, weil sie die Macht haben, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Die Notenbanken müssen die Anleihen dabei garantieren, sie sind nur noch ausführendes Organ der Regierung. Ausläufer der neuen Theorie sind inzwischen auch in Europa angekommen. Der gescheiterte griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der in Deutschland bei der Europawahl kandidierte, legte ein Investitionsprogramm vor, für dessen Kosten die EZB hätte geradestehen müssen - angewandte neue Geldtheorie.

Das Problem ist, dass die Staatsfinanzierung über frisches Geld durchaus eine Zeit lang gut gehen kann. Nur wenn man merkt, dass der Bogen überspannt wurde, dann ist es für gewählte Politiker meist zu spät. Dann wird es schwer, umzukehren und Sparmaßnahmen einzuleiten. Deshalb waren die Entpolitisierung der Geldpolitik und die Unabhängigkeit der Notenbanken in den vergangenen Jahrzehnten so erfolgreich. Das Vertrauen in Dollar und Euro blieb durch alle Krisen ungebrochen. Das alles steht jetzt zur Disposition. Christine Lagarde wird ihr Amt in schwierigen Zeiten übernehmen.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2019
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